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Der Pfad in den Sündensumpf ist gut beschildert. "Trigger Warning: Geil" prangt über der Tür des kleinen Ausstellungsraums in der Waschbeton-B-Ebene des Kölner Ebertplatzes. Hier wäre zu anderen Zeiten der treffende Ort für ein Pornokino oder ähnliches gewesen, jetzt also Kunst. Die Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule bespielt das "Gold+Beton" mit insgesamt fünf Skulpturen, Textil- und Videoarbeiten, die dank pink abgeklebter Schaufensterscheiben von außen größtenteils nicht einsehbar sind. Genauso wie die Nacktbilder der beteiligten Künstlerinnen und Künstler aus eigener Kindheit, doch dazu später mehr.
Erst wenige Tage zuvor flatterte die Ankündigung zu dieser Ausstellung ins E-Mail-Fach. Die Frankfurter Hauptschule verschickt in unregelmäßigen Abständen eine Art PR-Newsletter für ihre Aktionen, die mit dem berühmten, alle ansässigen Redaktionen plus einige Schaulustige herbeirufenden Heroin-Schuss vor dem Frankfurter Römer 2015 ihren Lauf nahmen. Fast schon öde befand es manch einer, dass womöglich, so ging das Gerücht, beim vermeintlichen Zeichen gegen die Gentrifizierung des Bahnhofsviertels gar kein echtes Opiat in der Kanüle gewesen sein könnte.
Es folgte eine Aktion gegen die sogenannten Liebesschlösser am Eisernen Steg, einer berühmten Frankfurter Brücke, in der deutlicher noch als in der Vorgänger-Performance der Anarcho-Humor der Gruppe durchblitzte: Auch hier regte sich im liberalen, grundentspannten Frankfurt eigentlich kaum jemand ernstlich auf, doch vielleicht war ja gerade dies mit einkalkuliert?
Nicht weniger als die Verteidigung der Kunstfreiheit
Vor kurzem dann die selbstbetitelte Schändung des Goethehauses durch Klopapierrollen, und jetzt, nur wenig später, scheinbar die Rolle rückwärts. Diesmal, so die Künstlergruppe vollmundig, solle es um nicht weniger als die Verteidigung der Kunstfreiheit wider die sogenannte Zensur gehen. Das Mittel zum Zweck: Nacktbilder aus der eigenen Kindheit, die die Künstlerinnen und Künstler gegen Bilderverbote, gekränkte Zuschauer, falsche Pädophilie-Vorwürfe und abgehängte Meisterwerke ins Feld führen wollen.
Keine Frage, das Vokabular des Aktionismus beherrscht die Frankfurter Hauptschule, in immer wieder wechselnder Besetzung, aus dem Effeff. Spätestens an dieser Stelle konnte man aber dann schon skeptisch werden, wie viel doppelter Boden in der Ankündigung selbst steckt, die den Ton für diese nun folgende Ausstellung setzt. Ob hier also wirklich mit jugendlichem Schmiss und ein bisschen mit dem Totalitären flirtender Geste heiße Thesen gestrickt und die berühmten Debatten angestoßen werden sollten? Der Künstlerwitz lauert schließlich überall, wie es gerade auch wenige Kilometer Luftlinie entfernt Andrea Fraser mit ihrer Videoperformance "Art must hang / Jetzt kommt ein Künstlerwitz" von 2001 im Museum Ludwig aufzeigt.
Die Meta-Ebene ist kein trittsicheres Terrain
Doch die Meta-Ebenen sind auch von Künstlerseite betrachtet kein trittsicheres Terrain, gerade dann, wenn sich ernsthafte Empörung an der einen und dauerironische Haltung an der anderen Stelle überlagern. Die fünf versprochenen Kinderfotografien, je eine je Künstler, hängen jedenfalls alibimäßig nebeneinander an der Rückwand, alles andere als prominent platziert: Ein pausbäckiges Baby wird von der Mutter in die Wanne gehievt, ein anderes trägt Sonnenhut, ein Kleinkind posiert mit Pulli und ohne Hose vor der Kamera, zwei weitere Kinder aus vermutlich kunstnäheren Haushalten werden eher arty abgelichtet (zum Beispiel in einem Berg von ausschließlich braunfelligen Kuscheltieren). Und damit wäre dieser Aufhänger, das Trojanische Pferd der Ausstellung, dann auch beinahe schon abgehakt.
Ein ernsthaft geführter Streit um abgehängte oder noch abzuhängende Bilder könnte natürlich ganz andere Fragen streifen, als dies aktuell der Fall ist. Fernab von Eugen Gomringer und Caravaggio: Wenn beispielsweise von der Objektivierung von Menschen zum Zwecke des Bildes die Rede ist, die ja gerade bei nicht voll geschäftsfähigen Abgebildeten relevant ist – wo wäre da denn konkret der Unterschied zu machen zwischen den kommerziellen Baby-Kitsch-Fotografien einer Anne Geddes, deren Bilder von Neugeborenen in Blumentöpfen oder nackt als Marienkäfer bemalt Millionen weltweit begeistern und kaum jemanden empören, und den vielfach kritisierten Fotografien einer Künstlerin wie Sally Mann, die immer wieder ihre eigenen Kinder für die große Kunstausstellung inszenierte?
Um Fragen wie diese soll es hier aber nun gar nicht wirklich gehen. Viel eher ließe sich die in der Mail trotzig angekündigte Geste wider die Bilderzensur als Mimikry verstehen, eine Aneignung des Diskussionssprechs zwecks Verweigerung jeglichen Diskurses. Als Persiflage der aktuell vielfach bezeugten bürgerlichen Verteidigung der Kunstfreiheit. Nacktbilder, so impliziert zumindest diese Ausstellung, sind kein Argument für irgendetwas.
Wie immer man die Aktionen der Künstlergruppe auch finden mag: Die Frankfurter Hauptschule scheint zumindest recht genau zu wissen, dass sie aus dem Lager der sonst emsigen Verteidiger etablierter Museumskunst in ihrem Falle eher wenige Sympathien zu erwarten hätte. Touché.
Das Werk hat vor allem "geil" zu sein
Doch weil es bei so viel Subversion und um-die-Ecke-Manövrieren von einer Empörung, die sich ein bisschen ironisch über die andere stellt, dann auch schnell sehr neunmalklug werden kann, sollten spätestens jetzt endlich auch die ausgestellten Arbeiten selbst an die Reihe kommen (ein "Bild"-Redakteur hätte sicherlich große Freude daran, einen Kunstrundgang im thematisch passenden Pseudo-Erotik-Jargon zu begehen):
Zur rechten Seite wurde von Marcel Walldorf ein sexy Nerz übers Bügelbrett gelegt und, wenn man genauer hinschaut, vom pinkfarbenen Eisen an einer Stelle gekonnt abgeflämmt. Nural Moser ruft mit zweckentfremdetem Haushalts-Inventar Sadomaso-Assoziationen wach, und Il Jin Atem Chois Bartisch-hohe "Liebesgrüße aus Eppstein" aus Kunstharz und Styropor beeindrucken mit fetisch-glänzender Lackoberfläche in Giftgrün und Violett. Eva Vuillemin lässt Aktfotografien in Vorder- und Rückseite auf Stoffhüllen drucken, die wie Schlachtvieh von der Decke baumeln, und in Theresa Weisheits Videoarbeit schließlich tanzt sich ein nacktes Baby zum Autotunes-Song durch eine trashig zusammengebaute Gamingwelt. Was dann ähnlich albern aussieht, wie es hier klingt. So geht es wohl auch in dieser Schau wieder und nicht zuletzt (bloß? oder zum Glück?) ums einzelne Werk, und das hat dann, quod erat demonstrandum, natürlich vor allem "geil" zu sein.