Es war Sommer, also habe ich noch mehr Bücher gelesen als sonst. Ein paar Romane, Essays, Sachbücher, eher das, was man gerade nicht unbedingt gelesen haben muss, um bei der allgemeinen Aufregung über die Feuilletonboys mittwittern zu können. Eine junge Autorin hat einen Roman über eine junge Frau geschrieben. Die Feuilletonboys finden die Geschichte zu naiv und nicht plausibel, irgendwo stand, das Reflexionsniveau der Protagonistin sei im Grundschulalter steckengeblieben. Das wiederum wollen ziemlich alle, die keine Feuilletonboys sind, so natürlich nicht stehen lassen. Alles wie immer also, auch im Sommer.
Da ist es vielleicht sogar noch etwas extremer, weil weniger Mails beantwortet werden müssen und deshalb mehr Tweets geschrieben werden können. Statt "Miroloi" zu lesen oder die Longlist zum Deutschen Buchpreis durchzuackern, habe ich mir von meiner Lieblingsbuchhandlung Bücher bestellen lassen oder mitgenommen, die den Anschein machen, Auskunft über das digitale Zeitalter geben. Auch hier, alles wie immer.
Semi-deepe Reflektion über Fame im Zeitalter sozialer Medien
Die amerikanische Autorin Natasha Stagg hat schon 2016, das ist das Bemerkenswerte, einen Roman über Influencer geschrieben. Kurz zusammengefasst: Eine junge Frau arbeitet in einer Mall, sehr langweilig der Job, und lernt im Internet einen Typen kennen, mit dem sie sich zu einem Influencer-Pärchen hochpostet – sehr aufregend plötzlich das Leben. Sie hosten Parties, verdienen viel Geld, reisen viel und werden mittelgroße Promis.
Leider hat der Typ, Jim, es nicht so mit der Treue und fängt etwas mit einer Bloggerin an. Blöd, denn das bleibt nicht unentdeckt. Drama. Colleen fängt an, semi-deep über Fame im Zeitalter sozialer Medien und über ihre Mediennutzung nachzudenken. Das Ergebnis, man kann es sich denken, Glück ist auch offline möglich.
Eine der Schlüsselszenen geht so: "Ich schaute richtiges Fernsehen statt neuen Videos, die geposted und mir zugeschickt wurden. Ich schlief und wachte auf und hielt mein Versprechen, das Telefon und den Laptop auszulassen. Ich öffnete die Vorhänge, und es war Nachmittag. Der Fernseher war noch an. (...) Die Philadelphia Story lief und ich sah zu, ich starrte nur auf einen Bildschirm oder aus dem Fenster, nichts, was ich manipulieren konnte. Es war zuerst schwieirg. nicht doch eine Zeile zu notieren, die mir gefiel oder einem Freund zu schreiben, was ich gerade tat. Aber ich wickelte mich in die Decke und sah jeden Moment an, und verstand alles davon."
Wir sind nicht viel weiter gekommen
Das liest sich heute, drei Jahre nach Erscheinen des Romans, banaler als es damals war, weil mittlerweile gefühlt in jedem Medium Erfahrungsberichte über ein Leben ohne Smartphone erscheinen. Was wiederum bedeutet: Wir sind mit der Diskussion nicht viel weitergekommen.
Gerade ist die Essaysammlung "Trick Mirror. Reflections on Self-Delusion" der amerikanischen Autorin Jia Tolentino erschienen. Sie schreibt für den "New Yorker" und wird als die neue Susan Sontag gefeiert. Gleich im ersten Essay "The I in the Internet" erzählt sie, wie sie im Internet aufgewachsen ist und analysiert, wie sich Selbstdarstellung und Debattenkultur durch soziale Netzwerke verändert haben. Facebook war schon um das Jahr 2012 herum langweilig geworden, Instagram schien vielversprechender zu sein, bis es zu einem, wie Tolentino es beschreibt, "Drei-Ringe-Zirkus aus Freude und Beliebtheit und Erfolg" wurde.
Während sich auf Twitter alle den ganzen Tag beschweren, zeigen sie sich auf Instagram von ihrer besten Seite. Selbst wenn sich im Internet jetzt hauptsächlich gezofft wird, geht es doch immer noch um Selbstdarstellung und maximale Sichtbarkeit. Um sichtbar zu sein, muss man kommunizieren und ständig präsent sein. Nicht irgendwie, man muss dabei einen guten Eindruck machen. Warum das alles? Tolentino hat eine Erklärung: "Online-Belohnungsmechanismen betteln darum, Offline-Äquivalente zu ersetzen und sie dann zu übernehmen."
"Wir müssten skeptisch gegenüber uns selber sein"
Deshalb auf Instagram die penetrante Kommunikation von Erfolg und auf Twitter die moralische Überlegenheit in politischen Debatten. Einen Ausweg aus der Misere bietet sie am Ende ihres Essays: "Wir müssten uns sehr genau überlegen, was wir vom Internet bekommen und wie viel wir dafür geben. Wir müssten uns weniger um unsere Identität kümmern, tief skeptisch gegenüber unseren eigenen unerträglichen Meinungen sein, vorsichtig sein, wenn Oppositionen uns dienen, uns richtig schämen, wenn wir nicht solidarisch sein können, ohne uns selbst in den Vordergrund zu stellen." Kurz: Wir müssten uns im Internet zurücknehmen.
Metahaven, das irre kluge Amsterdamer Designkollektiv, das nur zu Beginn ein Designkollektiv war, aber weiterhin oft als Designkollektiv bezeichnet wird, weil Künstlerduo ihre Arbeit in der Gesamtheit auch nicht so recht fassen mag, versuchen es in ihrem Essay "Digital Tarkovsky" nicht mit Kulturpessimismus, können dann am Ende angesichts des Plattformkapitalismus auch nur leicht ratlos einknicken. Ausgangspunkt ihres Textes ist die starke Smartphone-Nutzung. Der durchschnittliche Erwachsene in Amerika nutzt jeden Tag zwei Stunden und 51 Minuten das Smartphone. Das ist nicht so lang, argumentieren Metahaven, wenn man als Vergleich die Länge eines Films des russischen Filmemachers Andrei Tarkovsky heranzieht. Sein Film "Stalker" ist acht Minuten kürzer.
Spätestens jetzt ist klar, warum der Essay "Digital Tarkovsky" heißt. Metahaven möchten nicht in das allgemeine Klagelied einstimmen und lamentieren, dass Smartphones unsere Zeit stehlen und wir verlernt haben, offline einfach nur zu warten oder herumzugucken. Stattdessen schauen sie sich die Erfahrungen genauer an, die bei der Nutzung von Smartphones und sozialen Netzwerken gemacht werden und ziehen das Kino als Vergleich heran, weil die Elemente Bild, Sound, Bewegung, Interaktion und Dauer zusammenkommen.
Instagram ist das schädlichste Medium für die Psyche
Der Raum um uns herum ist das Kino, der Screen die Leinwand. Je mehr Leuten man folgt und je weniger man ständig Instagram checkt, desto länger sind die Stories, die man sich am Stück ansehen kann. "Stories" setzen Metahaven in Anführungszeichen, weil es keine Storyline gibt, sondern nur eine Anhäufung von visuellem Material von verschiedenen Absendern, zu denen man im besten Fall in irgendeiner persönlichen Beziehung steht.
Und hier ist der Punkt, an dem Metahaven natürlich auch nicht um eine Kritik herumkommen, denn das Ergebnis ist eben oft FOMO, also das Gefühl etwas zu verpassen. Sie erinnern daran, dass Instagram als das schädlichste soziale Netzwerk für die psychische Gesundheit gilt. Hinzu kommt der Algorithmus, der entscheidet, was für den jeweiligen Nutzer relevant ist. Das Fazit von Metahaven: "Das ist ein Kino, dessen Inhalt und Textur die Selbstdarstellung und Selbstproduktion eines sozialen Gefüges unter dem Druck des Plattformdesigns ist. (…) Momentan wird das Kino für das Interface kontinuierlich von den größeren kapitalistischen Strukturen mitproduziert und konditioniert, in denen und durch die es existiert." Die logische Konsequenz müsste auch hier lauten: Wir sollten uns im Internet zurücknehmen. Kann bitte sehr schnell jemandem etwas einfallen, das Instagram ablöst und nicht von Facebook kommt.
Von Instagram ins Studio
Wenn man den Praxistest in der Kunstwelt macht, wissen zwar alle um die Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie, Konsequenzen hat das bisher aber eher keine. In den letzten Wochen habe ich einige junge Künstler in ihren Studios besucht, die meist im Medium Malerei arbeiten. Ich war bei Titus Schade in Leipzig, der aktuell eine Einzelausstellung in der Galerie Eigen + Art vorbereitet. Ich habe den New Yorker Brandon Lipchik in seinem temporären Berliner Studio besucht, wo er Bilder malt für seine Einzelausstellung im Salon Dahlmann in Kooperation mit Robert Grunenberg Berlin. Bei Hannah Sophie Dunkelberg habe ich vorbeigeschaut, die gerade ihren Abschluss an der Berliner Universität der Künste gemacht hat und ich war u.a. bei Cathrin Hoffmann in ihrem Hamburger Atelier zu Besuch.
Der Kontakt kam immer über Instagram zustande – ich weiß gar nicht, wann mir zuletzt ein Künstler oder eine Künstlerin eine Mail geschrieben hat, um Kontakt aufzunehmen. Wie Brandon Lipchik im Gespräch sagte, Instagram ist unverbindlich, man kann sich ein Portfolio anschauen, ohne das Gefühl zu haben, Feedback geben zu müssen.
Eine Einladung ist auch schneller ausgesprochen, weil man sich anders, auf einer vermeintlich privaten Ebene kennenlernt. Und eigentlich alle haben sie erzählt, dass ein Großteil der Anfragen sie direkt über Instagram erreicht. Oder, so ein Fall, dass Galerien plötzlich Interesse haben, seit der Künstler auf Instagram ist und Einladungen zu Ausstellungen aus New York und London kommen. Plötzlich müssen Anfragen abgesagt werden, weil es zu viel wird. Vorher kamen nur Absagen.
Was sagt das über den Kunstbetrieb? Klar, so eine Präsenz auf Instagram sagt erst einmal, dass der Wille zur Selbstvermarktung da ist. Wenn schon ein paar Follower da sind, muss bei der Aufbauarbeit des Künstlers außerdem nicht bei null angefangen werden, Follower bedeuten potentiell Publikum und Käufer. Der britische Maler Oli Epp hat mir einst erzählt, dass er 2017 nach seinem Abschluss alle Arbeiten über Instagram verkauft hat und das ohne Galerie. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse.
Verwunderlich derweil ist, dass alles ist wie immer.