"Berlin, I Love You"

Kinopudding aus der Hauptstadt

Der Episodenfilm "Berlin, I love You" hat schon für Häme gesorgt, bevor irgendwer ihn gesehen hat. Er ist genauso klischeeüberladen und bemüht wie befürchtet – mit einer Ausnahme

Manchmal rettet eine flüchtige Begegnung einen ruinierten Abend. Man könnte den Episodenfilm "Berlin, I Love You" komplett vergessen, würde nicht der mexikanische Regisseur Fernando Eimbcke für einen kleinen Lichtblick sorgen. Sonntagmorgens wartet ein 16-Jähriger am Spreeufer darauf, von seinem Vater abgeholt zu werden. Und trifft auf einen Mann im Frauenfummel, der eine lange Clubnacht und einen Streit mit seinem Freund hinter sich hat. Der Knabe weiß noch nicht, ob er auf Männer oder Frauen steht. Also wird ein ergebnisoffenes Kuss-Experiment gestartet.

Eimbckes Episode ist die fraglos stärkste unter zehn überwiegend bemühten, anstrengenden, klischeestrotzenden Liebesgeschichten eines Kino-Puddings, der den Spruch von den vielen Köchen, die den Brei verderben, anschaulich macht. Nur dieses eine Mal wurde tatsächlich etwas von der ephemeren Qualität urbanen Lebens aufgefangen. Ansonsten stört das Bemühen, abgerundete Geschichten zu erzählen und angegammelte Berlin-Klischees (oder RomCom-Konventionen) für heißen Scheiß zu verkaufen.

#MeToo, aber in humorig 

Aus Liebeskummer will sich einer der Helden in Berlin zu Tode saufen. Als er auf ein Leihauto zwecks Suizid umsattelt, macht ihm das einfühlsame Navigationsgerät (Stimme: Katja Riemann) einen Strich durch die Rechnung. Das ist so halb amüsant. Völlig daneben ist die von Til Schweiger inszenierte Story eines Barflirts, vor allem weil Mickey Rourke sich darin vergeblich als tragischer Charakterdarsteller versucht. Und Veronika Ferres, der es ebenfalls misslingt, ihren angeknacksten Ruf als Schauspielerin wiederherzustellen, berlinert sich als Waschsalon-Besitzerin durch eine rumpelige Episode, in der die #MeToo-Debatte humorvoll aufgegriffen werden soll.

Darstellerisch solide agieren Keira Knightley und Helen Mirren in einer Szenenfolge, in der sich Mutter und Tochter über das Engagement der Jüngeren um einen Flüchtlingsjungen aus dem Hangar von Tempelhof erzürnen. Der iranisch-amerikanischen Regisseurin Massy Tadjedin ist hier eine der besseren Episoden gelungen. Auch Dany Levys tragikomische Story um einen Flüchtling, der versucht, in einem Bordell unterzutauchen – Hannelore Elsner als Puffmutter hat einen ihrer letzten Auftritte – bringt ein wenig Leben in die lahme Filmwohngemeinschaft.

Das Stadtmarketing freut sich, der Cineast zuckt die Schultern

In fast jeder Szene spürt man das Bemühen, möglichst jede Berlin-typische Schlagzeile, jedes Thema und – besonders fatal – jede Sehenswürdigkeit in den Film zu stopfen. Siegessäule, Brandenburger Tor, Olympiastadion: Das Stadtmarketing freut sich, der Cineast zuckt mit den Schultern.

Verbissen versucht "Berlin, I Love You" die Vorgaben einer Reihe zu erfüllen, die 2006 mit "Paris, je t’aime" begann. Unter der Federführung des französischen Produzenten Emmanuel Benbihy besteht das Konzept darin, Liebesgeschichten aus verschiedenen Metropolen zu erzählen. Ein Porträt Shanghais ist bereits in Arbeit. Berlin, das sich in den vergangenen Jahren stärker gewandelt hat als andere Städte, scheint sich einer filmischen Charakterisierung zu entziehen. Erschwerend tritt bei diesem Projekt hinzu, dass ein Großteil der Dreharbeiten bereits 2017 stattfand. Für Berliner Verhältnisse ist das eine Ewigkeit her.

Vor China eingeknickt?

Eine Episode, die sogar schon 2015 gedreht wurde, hat im Vorfeld für mächtigen Ärger gesorgt, weil Benbihy sie aus der endgültigen Filmfassung entfernen ließ: Der regimekritische Künstler Ai Weiwei war darin zu sehen, wie er von China aus über Skype mit seinem in Berlin lebenden Sohn kommunizierte. Da Ai aber schon 2015 aus China ausreisen durfte, wurden einige in China spielende Szenen in Berlin nachgedreht. Ist die Episode um den Künstler Ai Weiwei als Konzession gegenüber China aus dem Film eliminiert worden? Immerhin lebt Benbihy zurzeit in Shanghai, um ungestört das Franchise "Shanghai, I Love You" vorzubereiten. Die Episode sei "zu politisch" für das Format, das um urbane Liebesgeschichten kreise, ließ Benhiby verlauten. Kritiker sprechen dagegen von Selbstzensur. Und werfen der Verleihfirma Warner mangelnde Courage vor, aus schlichter Angst, es sich mit dem chinesischen Filmmarkt zu verscherzen.

Wäre "Berlin, I Love You" inklusive der Ai-Weiwei-Episode ein künstlerisch besserer Film geworden? Die Frage lässt sich angesichts des mediokren Rests, der nun im Kino läuft, getrost verneinen.