Valie Export, Sie führten Ihren Kollegen Peter Weibel an einer Leine durch Wien und schrieben Geschichte auch mit anderen radikalen Performances. Das war Ende der 60er aber sicher nicht ganz ungefährlich.
Als ich mein „Tapp- und Tastkino“ zum ersten Mal im Rahmen eines Filmfestivals in Wien vorführte, schrie man mir entgegen, ob das noch Film sei. Ein Schweizer-Regisseur brüllte: „Müssen wir uns das bieten lassen!“ Es gab einen regelrechten Tumult. Beim erweiterten Film, dem „Expanded Cinema“, war die Unmittelbarkeit entscheidend: die direkte Konfrontation von Kunstwerk und Teilnehmern, um einen Moment zu erzeugen, der Machtstrukturen ausstellt und aufbricht. Die Interaktion auf der Straße bedeutet natürlich auch, nicht durch ein institutionelles Drumherum geschützt zu sein. Sich auszusetzen. Ebenso wie sich die „Besucher“ meines Kinos den voyeuristischen Blicken der Umherstehenden nicht entziehen konnten.
In Ihren Aktionen gehen Sie auch körperlich an Grenzen.
Dass man den eigenen Körper als künstlerisches Medium einbringt, begann eigentlich schon in den 50er-Jahren. Aber in den späten 60ern kam dem noch eine andere Bedeutung zu: Es war auch ein Infragestellen der Restriktionen, die der Körperlichkeit auferlegt waren, eine Befreiung davon und ein selbstbestimmter Umgang. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin ihren Körper instrumentalisiert, geht davon eine besondere Kraft aus. Das sieht man auch heute noch, zum Beispiel aktuell bei Pussy Riot in Russland. Sie haben diese Kunstform als expressives Mittel gewählt, um auf Missstände und staatliche Repressalien aufmerksam zu machen. Die jungen Frauen werden bestraft, aber es hat funktioniert.
Die Studentenrevolten der 68er fielen in Österreich relativ flach aus – die Reaktionen auf Ihre Performances umso heftiger. Waren die Skandale nützlich, um eine Botschaft zu landen?
Die Botschaft ist sowieso nicht angekommen im Österreich jener Tage. Wenn man es so betrachtet, waren alle Aktionen für das damalige Wien zu früh. Es gab kein Publikum, nur eine Öffentlichkeit. Es gab eine sozialistische Studentenbewegung, die Proteste organisierte. Es gab ein Sträuben zu gewissen Anlässen, wie bei der Enttarnung eines Universitätsprofessors, der Nationalsozialist gewesen ist. Aber das alles war in der Tat marginal vorhanden. Ein kleiner Zirkel, der offensiv vorgegangen ist. Allerdings wollte ich auch nie einen Skandal „provozieren“. Allein der Begriff ist sehr negativ konnotiert. Meine Intention war es, dass es zu einem Gespräch kommt, zu einer Vertiefung. Wenn von einem Skandal die Rede ist, geht der Diskussion häufig die Aussage ab, dreht sich nichts mehr um die eigentliche Botschaft in dem Vermittlungsprozess. Eine Provokation kann auch schon durch den Umgang mit einer Materie erzeugt werden, wie etwas in den Blick genommen wird – das trifft sicherlich auch auf meine konzeptuelle Fotografie zu.
Sie sind in den vergangenen Jahren in Ihren Werken politisch kritisch geblieben – auch feministisch?
Ja, das ist geblieben. Ganz sicher hat sich der Begriff „Feminismus“ gewandelt und ist vielleicht nicht mehr prägnant. Aber das Thema ist keinesfalls veraltet, im Gegenteil. Eine Auseinandersetzung ist nach wie vor zwingend, wie auch aktuelle Debatten in den unterschiedlichen Kulturen spiegeln. Wenn ich etwa wie 2007 bei der Biennale in Venedig Aufnahmen des weiblichen Stimmorgans zeige, dieser Stimmritze, dann ist das für mich genauso ein feministisches Thema, nur anders ausgedrückt als früher.
Sie werden als Künstlerin häufig auf die 60er- und 70er Jahre festgelegt. Ist Ihnen das recht?
Ich habe natürlich meine eigene Sicht und würde mich nicht festlegen. Meine künstlerische Thematik erweitert sich ständig, so wie sich auch die Gesellschaft in ihren Ausprägungen stetig verändert. Ein Dialog, der im Werk verarbeitet wird, Fragestellungen und Inhalte werden ergänzt oder umgeformt. So habe ich mich etwa schon in den 70ern mit Sprache befasst. Aber damals gab es noch nicht die technische Möglichkeit, die Stimmbänder in dieser Form aufzunehmen und zu präsentieren.
Sie arbeiten inhaltlich wie medial vielschichtig, waren als Professorin, Kuratorin und Filmemacherin tätig. Ihr Spielfilm „Praxis der Liebe“ war 85 für den „Goldenen Bären“ nominiert ...
Von Anfang an habe ich verschiedene Medien miteinander in meinem Werk verbunden. Meine Filme hatten für mich auch immer etwas Performatives, ich bringe mich selbst ein oder teilweise das Publikum. Gerade in den 60er- und 70er-Jahren erhielt Medienkunst nur wenig Zuspruch als neuartige Form. Im Ausland verhielt es sich schon anders. Ich bin viel gereist, hatte Auftritte in Deutschland, Belgien oder England. Dort wurde auch anders über die Inhalte nachgedacht.
Zu Beginn waren Sie als Künstlerin nicht kategorisierbar, heute sind Sie mit Werkblöcken in der Sammlung des MOMA in oder der Tate Modern vertreten. Die Straßenaktionen, die sich gegen einen kapitalistischen Kunstapparat richteten, haben Einzug ins Museum gehalten.
Das Museum ist auch ein öffentlicher Raum – wie die Straße. Ich finde solche Entwicklungen weder gut noch schlecht.Für wichtig halte ich die Archivierung, nur so lassen sich die unterschiedlichen Zusammenhänge sichtbar und vergleichbar machen, nur so können sie in die Welt hinausgehen, über Generationen hinweg vermittelt werden. Über die Form der Archivierung lässt sich beratschlagen. Ich finde es zum Beispiel durchaus denkbar, dass es zukünftig auch Archive geben kann, die nur mit Tönen bestückt sein werden.
Performancekunst scheint präsenter in den letzten Jahren. Entspricht sie dem Zeitgeist einer Medien- und Informationsgesellschaft?
Ich könnte mir vorstellen, dass dies Entwicklungen sind, die sich gegenseitig bedingen. Die Performance bietet Künstlern und Künstlerinnen viele Möglichkeiten, ihre Überlegungen auszudrücken und ein Publikum direkter zu involvieren, anders als ein gemaltes Bild oder ein Foto. Aber es gibt auch immer Bewegungen, die gegen den Strom wirken, wie in diesem Kontext vielleicht die Wiederbeschwörung der Langsamkeit in der Literatur oder die Reduzierung in der Kunst – junge Künstler, die sich in ihrer Performance auf einen Gestus beschränken.
Ist zu befürchten, dass Performancekunst in den nächsten Jahren auf ein kurzweiliges Entertainment reduziert wird?
Teilweise wird oder kann sie von den Medien so rezipiert werden, die einordnen und begrenzen, diesen Wert zuschreiben und jenen absprechen. Die Gesellschaft greift gewisse Motive für sich heraus, die sich dann etwa in Happenings mit Eventcharakter wiederfinden. Aber es wird sicher immer einzelne Werke geben, die mit ihren Überlegungen für sich stehen, sich nicht verschlingen lassen von einer Maschinerie.
Arbeiten von Valie Export sind bis zum 7. Oktober in der Gruppenausstellung "In Aktion - Performance, Aktionismus und Konzepte aus der Sammlung Charim" im Salon Dahlmann in Berlin zu sehen. Die Schau wurde von A Private View (Heike Fuhlbrügge, Joëlle Romba und Ute Weingarten) kuratiert