Kann Architektur eine Gesinnung haben? Anlässlich eines Forschungsprojekts der Architekturzeitschrift "Arch+" zum Thema "rechte Räume" wird verstärkt über ideologisch umkämpfte Orte diskutiert. Dabei geht es um neue europäische Nationalismen, die sich auch an konkreten Bauweisen festmachen lassen, genauso wie um rechte Infrastrukturen, die Machtzuwachs sichern sollen. Wir haben Philipp Oswalt gefragt, den Architekturtheoretiker und ehemaligen Direktor der Bauhaus-Stiftung Dessau, wie er die Debatte einschätzt und welche Bauvorhaben er für problematisch hält.
Herr Oswalt, seit einiger Zeit wird in Deutschland verstärkt über "rechte Räume" gesprochen. Was versteht man darunter?
Es gibt vielgestaltige Phänomene. Die offensichtlichste Auslegung wären wohl rechtsradikale Erinnerungsräume und Pilgerstätten wie die Geburtsorte von Hitler und Mussolini oder die Grabstätte von Franco in Spanien. Dann gibt es so etwas wie eine rechte Infrastruktur. Wir wissen, dass rechtsradikale Akteure gerade im ländlichen Raum Immobilien kaufen, weil diese dort recht billig sind und im Fall von Burgen oder Gutshöfen auch eine historische Konnotation haben. Das ist sehr bedenklich. Und dann muss man außerdem darüber reden, inwiefern "konservative" Tendenzen im Städtebau auch eine politische Dimension haben.
Sie meinen Rekonstruktionsprojekte von historischen Bauten?
Auch, aber nicht nur. Ich erinnere nur daran, wie in Berlin in den 90er-Jahren über "Neue Berliner Architektur preußischen Stils" diskutiert wurde, und man anhand von Architektur so etwas wie eine nationale Identitätsfindung versucht hat. Wir haben inzwischen in Deutschland mehrere Heimatministerien. Gegen den Begriff ist an sich nichts zu sagen, aber er hat in der deutschen Geschichte eben doch einen Beigeschmack, und es ist kein Zufall, dass die Union als Reaktion auf rechtspopulistische Strömungen mit einer solchen Begrifflichkeit hantiert. Bis heute ist völlig unklar, was der Staat zum Thema Heimat für eine Rolle übernehmen soll.
Aber kann die Architektur denn etwas für ihre Deutung?
Das ist eine sehr komplexe Frage. Es gibt durchaus Bauten, die mit bestimmten Ideologien verbunden sind. Es ist kein linearer Zusammenhang, aber die Architektur ist eben auch nicht frei von Ideologie. Gebäude sind nicht unabhängig von der Gesellschaft.
Wie kann "rechte Architektur" denn aussehen?
In Deutschland gehen wir natürlich schnell von einem monumentalen Klassizismus Speerscher Art aus. Aber das muss gar nicht sein. Verschiedene populistische Regime bevorzugen verschiedene Architektur. Wenn man schaut, welchen Stil Erdogan, Putin oder Trump bevorzugen, ist man schnell bei barockisierenden Bauten und opulenten Interieurs. Dagegen sind die Diktaturen in Ostasien teilweise modernistisch geprägt, und in Italien waren es die Rationalisten, die Mussolini die Architektur bereitgestellt haben. Es gibt nicht den einen Ausdruck.
Warum beschäftigt Sie das Thema gerade so?
Weil wir sehen, dass rechtspopulistische Kräfte in Europa an Einfluss gewinnen und die rechtsradikale Infrastrukturen ausgebaut werden. Und es gibt Projekte, die ich sehr bedenklich finde. Für mich ist der geplante Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam ein absoluter Tabubruch, weil sich dort mit staatlichen Geldern und unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten die gesellschaftliche Mitte mit rechtsradikalen Entwicklungen verbindet.
Inwiefern?
Das eine ist die Historie des Ortes. Die Garnisonkirche ist die Potsdamer Militärkirche, wo sich Staat, Militär und Kirche zusammenfinden. Wie wir aus der Geschichte wissen, ist das eine sehr problematische Verknüpfung. In dieser Kirche sind die deutschen Kolonialkriege gefeiert und gesegnet worden, darunter auch der Völkermord an den Herrero und Nama. In der Weimarer Republik war es ein rechtsradikaler Identifikationsort, an dem Gruppierungen wie der Kyffhäuser Bund, Stahlhelm und später die NSDAP zusammenkamen. Es war der Gegenort zu Weimar. Auch der "Tag von Potsdam", bei dem sich 1933 das alte Deutschland mit den neuen Machthabern der Nationalsozialisten verband und die preußische Macht auf die NSDAP überging, fand dort statt. Es wird immer so getan, als wären das singuläre Ereignisse, als wäre die Kirche vergewaltigt worden. Dem ist aber nicht so.
Eine wiederaufgebaute Garnisonkirche würde also in dieser Tradition stehen, auch wenn sie heute ganz anders genutzt wird?
Es geht auch um das Zustandekommen des Wiederaufbauprojekts. Es überrascht überhaupt nicht, dass die Initiative in den 80er-Jahren von einem rechtsradikalen Bundesoffizier aus Westdeutschland, Max Klaar, kam, der das Projekt mit seinen Kameraden bis in die 2000er-Jahre befördert hat. Unterstützt übrigens von CDU und SPD. Dann hat die Kirche übernommen und hat durchaus ein verändertes Nutzungskonzept vorgestellt, was in den rechten Kreisen für Irritation gesorgt hat. Aber man hat gleichwohl versucht, mit Klaar und seinen Verbündeten eine Verständigung zu finden und hat sich nie klar von diesen und der rechtslastigen Geschichte des Ortes vor 1933 distanziert.
Die Geschichte der Kirche hat viele Kapitel: der preußische Ursprung, die Kolonial- und Nazizeit, die Sie beschreiben, die Beschädigung im Zweiten Weltkrieg und den Abriss durch das SED-Regime. Könnte ein Wiederaufbau als Ort des Erinnerns nicht auch genau das reflektieren?
Es geht einmal darum, wie man bauen will. Eine Rekonstruktion war in der Architekturgeschichte bis vor kurzem eine Aneignung aus der Gegenwart, weil gar keine Fotos von den "Originalen" existierten. Die Orthodoxie, mit der der optisch identische Wiederaufbau der Potsdamer Kirche betrieben wird, finde ich absolut indiskutabel. Da wird nichts aktualisiert oder differenziert. Dabei wäre es eine Selbstverständlichkeit, zu diesem hochproblematischen historischen Ort eine Differenz aufzubauen, auch wenn man den Wunsch hat, den Bau wiederauferstehen zu lassen. Warum werden nun auch die Waffen in Stein nachgebildet? Was soll die Aussage davon sein?
Und der zweite Punkt?
Ist die Trägerschaft. Die ist in gewisser Weise ein reenactment dieses Schulterschlusses zwischen Kirche, Politik und Militär, die alle drei auch in der heutigen Stiftung Garnisonkirche Potsdam vertreten sind. Da frage ich mich, was das soll.
Was glauben Sie denn?
Ich frage mich, ob man eine historische Kontinuität herstellen will. Ich würde mir vielmehr wünschen, dass Organisationen wie Aktion Sühnezeichen, Sea-Watch oder Pro Asyl einbezogen werden, dann würde ein klarer Grenzstrich nach rechts gezogen. Das Konzept eines Friedenszentrums, das es derzeit gibt, ist mit den Kollegen von Max Klaar abgestimmt, man hat Konzessionen an diese gemacht, um sie einzubinden. Wir haben es mit einem modernisierten Rechtsradikalismus zu tun, der sich durchaus damit arrangieren kann, Begriffe wie Frieden und Versöhnung an diesem Ort zu zelebrieren. Die Stiftung betreibt eine Geschichtsklitterung, in der die negativen Seiten der Geschichte minimalisiert oder ausgelassen werden. Die Kirche wird zum Opfer und Widerstandsort gegen das NS-Regime stilisiert. So gut wie nichts davon ist wahr. Ich kann nicht den erforderlichen Bruch mit der Vergangenheit erkennen, viel eher das Bemühen um eine Weiterführung mit gewissen Zugeständnissen an den Zeitgeist.
Was, wenn Menschen den Wiederaufbau als Zurückgewinnen von etwas Verlorenem im Stadtbild empfinden und es vielleicht tatsächlich eine Identifikation mit dem Gebäude gibt? Ist das schon problematisch?
Die Bürger wurden ja eben gar nicht gefragt. Die Potsdamer Politik hat trickreich einen Bürgerentscheid verhindert, weil man Angst hatte, dass das Projekt abgelehnt wird. Es ist nicht so, als würde eine große Mehrheit der Potsdamer Bevölkerung das Vorhaben fördern. Als Kirchenraum wird es auch gar nicht benötigt. Es ist ein Projekt, das von den kirchlichen und politischen Eliten vorangetrieben wird.
Gibt es denn Protest dagegen?
Ja, gerade erst wieder auf dem Kirchentag in Dortmund. Dort waren verschiedene Gruppierungen vertreten, darunter auch viele jüngere Leute. Es gibt durchaus ältere Protagonisten, die aus dem linken Spektrum und einer DDR-Tradition kommen, aber ebenso liberal bürgerliche Kräfte, sowie sehr muntere studentischer Gegner der jüngeren Generation. Es ist eine recht breite und heterogene Protestbewegung, die sich aber bisher eher lokal bewegt, weil das Thema bundesweit noch wenig Aufmerksamkeit bekommt.
Der Turm der Kirche ist bereits im Bau. Was tun Ihrer Meinung nach?
Bisher ist nur der Rohbau finanziert, noch nicht die Schmuckelemente. Mit dieser Basis kann man ja arbeiten. Ich sage nicht: Alles sofort wieder abreißen! Ich fordere ein Moratorium, in dem noch einmal neu über die Trägerschaft und die zukünftige Ausrichtung des Projekts diskutiert wird, wie auch seine äußere Erscheinung. Dafür ist es nicht zu spät. Mir geht es um das Andersmachen. Vielleicht erkläre ich es an der Stelle biografisch. In Dessau habe ich damals am Aufbau der zerstörten Meisterhäuser des Bauhaus gearbeitet. Ich wollte den Wunsch nach einer Rekonstruktion akzeptieren, aber nicht als Selbstzweck. Ich denke, in Dessau ist uns eine konstruktive Debatte über das Wie und Wofür gelungen.
In den Feuilletons wurde zuletzt darüber debattiert, ob in Berlin um die Jahrtausendwende ein Raum für Rechte geschaffen wurde. Beispiele sind der omnipräsente Neoklassizismus oder der Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg, auf dem ein Zitat des antisemitischen Dichters Ezra Pound eingelassen ist. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
In meiner Einschätzung trifft diese Debatte nicht den Kern der Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind. Weder ist Hans Kollhoff, der Architekt des Benjamin-Platzes, ein Faschist oder Antisemit, noch hat seine Architektur eine Resonanz in rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kreisen. Gleichwohl ist das Pound-Zitat hier deplatziert und geschmacklos; und Kollhoff beschwört mit seiner Architektur Gesellschaftsideen, die ich problematisch finde. Für ihn ist der Begriff der Gemeinschaft zentral, die er etwa auch in der Stalin-Allee realisiert sieht. Aus heutiger Sicht zeigt sich die Problematik des Berliner Architekturstreits der 1990er-Jahre nochmals in neuem Licht.
Es gibt auch den Einwand, diese Diskussion führe weg von den wahren kriminellen Bauten: den überall sprießenden Investorentürmen, die Städte für viele unbezahlbar machen.
Wir müssen allgemein von einer Baupolitik sprechen, die in den letzten Jahrzehnten bestimmte Weichen gestellt hat. Und uns als Gesellschaft darauf verständigen, was wir eigentlich wollen. In den letzten 20, 30 Jahren gab es einen Boom von Rekonstruktionsvorhaben, und das ist genau der Zeitraum, in dem sich auch eine neoliberale Stadtpolitik verbreitet hat und die kommunalen Infrastrukturen und Wohnungsbestände privatisiert wurden. Das sind für mich zwei Seiten einer Medaille. Ich finde es sehr bedenklich, dass der politische Wille, das Alltagsleben von Menschen zu gestalten, stark abgenommen hat, und stattdessen von Symbolpolitik und Prestigeprojekten abgelöst wird, die keine Probleme lösen, sondern eher neue Identitätskonflikte schaffen.
Welche Rolle spielen in diesen Konflikten eigentlich die Architekten?
Es gibt ein gutes Zitat von Rem Koolhaas: "Der Architekt ist wie die Geisel, die mit der Pistole an der Schläfe zu Hause anruft und sagt, dass alles in Ordnung ist." Der Architekt ist erstmal Erfüllungsgehilfe der Bauherrn, und ich würde mir wünschen, dass es mehr von ihnen gäbe, die die Probleme der Branche ansprechen. Aber die Architekten sind meist nicht das primäre Problem. Es wäre leicht, welche zu finden, die guten Wohnungsbau machen. Da sind die Bauherren entscheidend. Und die Frage: wer baut für wen mit welchem Geld? Das ist zunächst ein politisches Problem, was einer politischen Antwort bedarf.