Liebe Anna,
das hier ist ein Geständnis … Nein, noch einmal von vorn. Dieser Begriff ist furchtbar, weil es zynisch klingt angesichts der Tatsache, dass Du da in einem echten Gericht sitzt, mit echten Handschellen und einem echten Urteil, das Dich für mindestens vier Jahre ins Gefängnis bringen soll. Da sind Metaphern wie diese fast schon Hohn. Also, noch einmal von vorn. Anna, ich glaube, ich habe mich in Dich verliebt. Nein, nein, nicht die Liebe, die Männer meinen, wenn sie Liebe sagen: diese mörderische Liebe verpackt in Seidennegligées und Pfirsichhaut. Meine Liebe ist ehrlich. Weil sie nicht dem gilt, was Du bist, sondern dem, was Du geschaffen hast.
Ich bin wütend auf diese ganzen Artikel, in denen sie Dich zu ihrem Bild machen wollen. In ellenlangen, widerlichen Ergüssen, fahren sie ein ums andere Mal die ganze Engel-mit-den-eisblauen-Augen-Scheiße auf; fast schon zwanghaft, dieses Abarbeiten an Deinem Körper. Sie sagen ihn, benennen ihn, mustern jeden Zentimeter, befühlen den Stoff, Viskose, nein, Seide, sie hatte doch tatsächlich einen Stylist für die Gerichtsverhandlung, das verwöhnte Biest, sie reißen Dir die Seide vom Leib, tasten Dich ab, markieren Dich, Schlagzeile um Schlagzeile, mit ihren gierigen Fingerchen formen sie Dein kindlich trotziges Gesicht, deine struppigen Haare, Deine Céline-Handtasche, Deine Prada-Schuhe, Deine traurigen Augen.
Der Unterschied ist der Pimmel und der Cashflow
Deine Geschichte ist die Geschichte einer Frau. Denn was ist der Unterschied zwischen dem, was Du getan hast und dem, was der Präsident der Vereinigten Staaten tut? Der Präsident dieses Landes, dessen Polizei Dich nun in Handschellen gelegt hat. Der Präsident, der sich sogar "höherer Gewalt" bedient, um seine eigenen Schulden nicht zurückbezahlen zu müssen. Der Unterschied, liebe Anna, das ist der Pimmel und der Cashflow.
Also, meine Liebe ist eine andere. Ich glaube, der Moment, an dem es mich überkam, war ein völlig unscheinbarer. Es gibt diese Szene, da sitzt Du in Marrakesch in einer Villa, der Villa, um die es ging, der Villa, die Dein Verhängnis wurde. Da sitzt Du jedenfalls versunken in einem viel zu großen Erwachsenen-Bademantel und einer Audrey-Hepburn-Sonnenbrille mit einem Handy so groß wie Dein Gesicht. Hinter Dir eine Landschaft, die irgendeine Landschaft sein könnte, eine dieser Landschaften, die Du tausend Mal gesehen hast, so wie ich sie tausend Mal gesehen habe, diese unberührten Hügel, die uns anbrüllen von tausenden hübschen kleinen Ansichtskarten, die Leben sind. Ein Urlaub, der nach Abenteuer schreit, wie aus dem Film, 62.000 Euro kostet so ein Urlaub, flawless und sugarfree. Du konntest es Dir nicht leisten, Du hast es Dir geleistet. Viel mehr als sich in einer Summe ausdrücken lässt.
Du sitzt ganz alleine auf diesem Stuhl, die leere, öde Landschaft im Rücken, wie eine Kulisse, ein Schauplatz, wer ist mehr Schauplatz, Du oder die Hügel aus Pappmaché da hinten? Du reckst Deinen Arm, streckst ihn ganz ungelenk von Dir weg, in alle Richtungen, fotografierst Dein Gesicht mit diesem riesigen Handy von allen Seiten, so als würdest Du Dir selbst versichern wollen, dass es wirklich da ist.
In diesem Moment warst Du Alice hinter den Spiegeln. Du hattest die Schlüssel zwar gefunden, doch die Türen, durch die Du musstest, wurden immer winziger, und genau da warst Du auf einmal zehn Meter groß, ja, Du warst tatsächlich larger than life. Dieses Life, ja, ach ja, was war das nochmal für 1 Life? Es war das Life, dieses Life eben, das über allen Leben schwebt, das Life, das so viele Leben leben macht, das Life-Versprechen, das Life aller Lifes, dieses Life, das aus allen Ecken und Enden aus dem Hut gezaubert wird. Ja, Du betratst eine Welt voller verrückter Hutmacher und Grinsekatzen, die so leicht zu bezirzen waren, weil sie alle an das Life glaubten, das Life, das sie da lebten, das Life, in das Du Dich so leichtfüßig hineingeschlichen hattest, und nun sitzt Du da vor der Polizei dieses Herzkönigs mit blondem Toupet, der alles und jedem den Kopf abschlagen will, ja, Du musst nun vorgeführt werden in diesem Schauprozess, weil Du allen gezeigt hast, dass es das Life, das sie da leben, gar nicht gibt.
In welchem Film bist Du jetzt gelandet? In Deinem Rücken die braun-nüchternen Reihen des Gerichtsaals, eine Kulisse, wie keine andere. Haben wir es nicht tausend Mal im Fernsehen gesehen? Das Gericht, das ultimative aller Spektakel. Doch hier ist nichts mehr, womit Du Dich versichern könntest, jetzt machen andere Dein Bild, denn Deine Hände sind Dir gebunden. Die Handschellen, die sind echt.
Du hast Erwachsene gespielt
Sie machen Dich zum "trotzigen Kind", Anna, weil sie Dich bestrafen müssen. Dafür, dass Du Erwachsene gespielt hast. Als Kinder sagen wir "Ich bin" und meinen: "Ich spiele, ich bin." Dann, mit einem Mal sind wir erwachsen und auf einmal ist Geld Geld. Ein Banker ist ein Banker. Ein Präsident ist ein Präsident. Und eine Erbin ist eine Erbin. Aber haben wir aufgehört zu spielen? Kann man Banker sein, ohne dabei Banker zu spielen, ohne die hart glänzende, steif stehende, smart-smoothe Figur im Kopf, die am Ende Sharon Stone flachlegt oder zumindest mit dem Maserati gen Sonnenuntergang pflügt? Kann ich eine Tarte backen, ohne mich dabei so zu fühlen, wie Juliette Binoche in diesem Film mit dem Mehlstaub auf der Nase und dem Garten mit den karierten Tischdecken und dem summenden Lavendelfeld vor dem Fenster? Kann ich Malerin sein, ohne mich dabei als Malerin zu denken, diese wilde Malerin mit Zigarette im Mundwinkel, tiefen, körperlichen Gedanken und Farbflecken im Haar? Gibt es ein Leben ohne Fiktion? Und wäre es ein lebenswertes? Sind die Grenzen dieser Fiktion das Gesetz?
Ich hatte schon immer eine Liebe zu Fälschern, Trickbetrügern, Hütchenspielern, zum großen, glitzernden Als-ob, denn im Als-ob ist meist mehr "ist" als im "so ist's." Ein verkleidetes Kind verirrt sich in die Wall Street und entblößt durch seine Verkleidung die Verkleidung der Männer mit den grauen Anzügen und den Lederkoffern mit den eingestickten Initialen als Alltagskostüm eines Erwachsenenspiels. Jeden Tag spielen wir uns, wir spielen Berufe, wir spielen Liebe und wir spielen Politik. Und wo wird mehr gespielt als in der Kunst? Es ist ein Spiel, das Spielen spielt, ein "als ob wir spielen" mit aller Seriosität, die es dazu braucht, behaupten zu können, genau darin liege eben der Ernst.
Die Fiktion ist Kunst, und die Hochstapelei, das ist die größte Kunst. Vor allem dann, wenn alle Kunst hinfällig geworden ist, ja, dann gewinnt die Hochstapelei noch mehr an Kunsthaftigkeit, sie wird zur einzigen Kunst, kommt zurück auf den Grund der Kunst, auf die Mimesis, so nah an Gott, in der Nachahmung, oh, wie gut Du das gemacht hast.
Auf Instagram hast Du tausende Follower. Du selbst folgst nur drei Accounts. Als man Dich danach gefragt hast, hast Du gesagt, dass Du Akteurin sein wolltest. Handelnde, doch mehr noch Actress, die, der zugesehen wird, die gesehen wird, in dem was sie tut, in dem, was sie ist. Spieglein, Spieglein, ach, Du weißt, wie die Geschichte ausgeht.
Du warst Akteurin, denn Du hast Dein eigenes Bild geschaffen. Du hast eine Welt geschaffen, das war Arbeit. Und was für eine Arbeit! Ich bin verliebt in Deine Arbeit, weil Du Frau-Gott gespielt hast. Das war Kreation, Anna. Du hattest keine Lust, das Rippchen zu sein, rausgebrochen und geformt nach der Gestalt dieser großen Mann-Ordnung des Staates, des Gesetzes, gerade genug Life eingehaucht, um darin funktionieren zu können. Nein, Du wolltest selbst Spare Ribs essen, mit sauberen manikürten Alabasterhänden, das große Fressen, ja, God save America. Was hast du getan, wenn nicht Widerstand geleistet? Widerstand gegen die hohle Logik der Arbeit in einer Welt, in der das Geld erfunden ist. In der die Kunst in Experience ertränkt, mit 1000 Meter Seidenpapier umwickelt und mit Spritz übergossen wurde. In der zwischen Jeff Koons und Jochen Schweizer nur ein paar Meilen liegen, ausgezahlt in free access zur priority line. Im Taxi weint es sich besser als in der Metro. Bei Ryanair gibt es nicht mal Kotztüten.
Ich liebe Dich, weil Du ein Kunstwerk geschaffen hast. Vielleicht das beste, das ich je gesehen habe. Ein one women play, mit Dir selbst in der Hauptrolle. Du wolltest nichts weiter als das echte Leben. Und dieses echte Leben, das wusstest Du, das gibt es nur im Film. Ich weiß, die Mauern sind echt und es sind welche, für die man keine Schlüssel erfinden kann. Und es tut mir schrecklich leid, Anna. Aber weißt Du, der Film, der ist noch nicht zu Ende. Es ist Dein Film, denn er spielt in Deinem Kopf. Und den wird Dir zum Glück niemand so schnell abschlagen.
In Liebe,
Deine Anna!