Kann man die eigene Mutter wirklich kennen und verstehen? Die Fotografin Judith Weber nähert sich dieser Frage mit der Kamera an
Die Berliner Fotografin Judith Weber hat von ihrer Mutter immer wieder denselben Satz gehört: "Ach, wäre ich doch Schauspielerin geworden". Als Künstlerin hat sie dieses Mantra zu der Frage geführt, wie gut man einen Menschen verstehen kann, der einem einerseits so nahe steht wie kein anderer, und doch immer irgendwie fremd bleiben muss. Für ihre Serie "Ich ist eine andere" hat sie ihre Mutter über ein Jahr in verschiedenen Posen und Umgebungen fotografiert, hat ihr Rollen zugewiesen, die etwas mit ihr zu tun haben, aber doch nicht "authentisch" sein wollen.
Die Situationen lassen eine Annäherung und eine gewisse Intimität zu, doch immer wieder tauchen Elemente der Distanz auf. Ein Rahmen, eine Gesichtsmaske, ein Schleier schieben sich zwischen die Fotografin und ihr Modell. Oft ist das Gesicht der Mutter verschattet, mal wendet sie sich von der Kamera ab. Judith Weber reflektiert mit ihrer Serie einerseits die Beziehung einer Tochter zur Mutter – dem Wesen, mit dem jeder Mensch einst untrennbar körperlich verbunden war und das man im Leben loslassen lernen muss. Aufwachsen bedeutet auch immer die Neuverhandlung von Grenzen. Von der absoluten Einheit der Säuglingszeit bis zur notwendigen Distanz zweier erwachsener Menschen.
Und andererseits geht es auch um das Medium der Fotografie und dessen Ambivalenz: Bis zu einem gewissen Grad können Fotos die Besonderheiten eines Menschen einfangen, eine Idee und eine Aura erfahrbar machen, aber dann ist ein Bild doch immer eine Fiktion. Ich ist immer eine andere.