In Großhennersdorf bei Zittau betreiben drei Enthusiasten das "Neiße Filmfestival". Auf dem Programm stehen Filme aus Deutschland, Polen und Tschechien
Die Haltestelle des Busses aus dem zwölf Kilometer entfernten Zittau heißt Kulturhaus. Kurios, denn zu sehen sind zunächst nur ein paar Milchkannen auf der Dorfstraße. Dabei soll die 1500-Seelen-Gemeinde mit dem "Neiße Filmfestival (NFF)" im Kunstbauerkino doch eines der interessantesten Filmfestivals in Europa beheimaten. Auf einer Anhöhe schließlich erblickt man die Gebäude des Katharinenhofs, schon zu DDR-Zeiten eine kirchlich betriebene Einrichtung für geistig behinderte Menschen und Anlaufstelle für viele, die mit dem System nicht zurechtkamen. Zu diesen zählte damals auch der Dresdener Andreas Friedrich, der die DDR 1983 aus politischen Gründen verlassen musste.
Anfang der 90er-Jahre aber kam er zurück und gründete mit engagierten Freunden das Kunstbauerkino. Seit diesen Anfangsjahren gehört auch Antje Schadow aus Meißen mit dazu. Als Heilerziehungspflegerin arbeitete sie damals ohnehin im Katharinenhof. Und dort blieb sie, da es "für eine im ländlichen Raum liegende Gegend eine überdurchschnittliche kulturelle Vielfalt gibt". Auch Ola Staszel verliebte sich einige Jahre später in die Region. Die polnische Literatur- und Filmwissenschaftlerin leitet seit 2011 zusammen mit den beiden anderen das Festival und kümmert sich als einzige Festangestellte um die nötige Öffentlichkeitsarbeit.
Aus der oppositionellen Aussteigerkultur von damals entstand über die Jahrzehnte ein Netzwerk, aus dem ein Begegnungszentrum, eine Umweltbibliothek, ein Café, das Kunstbauerkino und schließlich eben auch das 2004 ins Leben gerufene "Neiße Filmfestival" hervorgingen. Früh schuf man Kontakte ins tschechische Liberec und ins polnische Jelenia Góra. Heute werden bei dem Festival 22 Kinos an zwölf Orten in drei Ländern bespielt.
Im Spielfilm-Wettbewerb werden Debüt- und Zweitfilme aus der Region gezeigt, man sieht sich dabei als politisches Festival – "ein Muss", sagen die Macher. Auf dem Programm der Sektion Fokus stehen etwa Schwerpunktthemen wie der Braunkohleabbau und der soziale Strukturwandel in der Region, Sinti und Roma oder die Sorben. "Das gefällt nicht jedem", sagt Friedrich. "Da werden Ängste geweckt. Es kommt automatisch zu politischen Auseinandersetzungen." Denen will man sich in diesem Jahr mit dem Fokus "Homo Politicus" stellen. "Ein europäisches Verständnis wird bei uns eben nicht in große Worte gepackt, es wird ganz selbstverständlich vorgelebt", sagt Friedrich. "Zu diskutieren sind letztlich die Filme, die wir zeigen." Aus gut 600 Einreichungen wählt man das Programm aus. Dabei fällt auf, dass immer mehr deutsche Filme eingereicht werden, während in den vergangenen Jahren immer weniger Material aus Tschechien kam.
Das Publikum nimmt das Programm dankbar auf. Das war indes nicht immer so, denn nach der Wende gab es in dem ländlich geprägten Raum eine starke Abwanderung. Auch viele Kreative gingen damals fort. Allmählich aber vollzieht sich eine Trendwende: "Für viele junge Zuzügler aus Polen und Tschechien ist die Gegend mittlerweile so attraktiv geworden, dass es inzwischen schwerfällt, eine angemessene Wohnung zu finden", erzählt Staszel.
Angefangen hatte man 1993 im Wohnzimmer: Es gab 24 Sitzplätze – manche Zuschauer saßen auf dem Kachelofen und mussten bei der Filmprojektion den Kopf einziehen. 2006 dann wurde der Neubau des Kunstbauerkinos eingeweiht, ein Saal mit 60 Plätzen, umgebaut aus einer ehemaligen Scheune. Das urige Café blieb, und während des Festivals im Frühsommer werden einfach noch weitere Catering-Zelte im Garten aufgebaut. Das Team mit 15 ehrenamtlichen Helfern wird dann auf bis zu 200 Mitarbeiter aufgestockt, die eine komplexe Logistik am Laufen halten müssen, vom Shuttle-Fahrer bis zu Übersetzern und Dolmetschern: Die unsynchronisierten Filme mit englischen Untertiteln werden nämlich in drei Sprachen übersetzt. "Die Sprache sollte man nicht als Barriere sehen, sondern als Chance", findet Ola Staszel. "Auch in dieser Hinsicht haben wir eine Brückenfunktion."
Was das Festival neben seiner Internationalität so besonders macht, sind die längst legendären Abende am Lagerfeuer. Gäste wie der Regisseur Christian Petzold oder die Schauspielerin Barbara Auer kommen dann direkt mit dem Publikum ins Gespräch. "Dann merkt man, warum man das macht", so Staszel. "Man gibt den jungen Menschen Hoffnung. Durch unsere Arbeit bleiben wir im Dialog."
Zum Festival kommt daher längst nicht mehr nur das Dorfpublikum. Das Einzugsgebiet wächst und wächst. "Das ,Neiße Filmfestival‘ hat sich inzwischen ein Stammpublikum erspielt", sagt Friedrich, der überzeugt davon ist, dass sich das große Engagement gelohnt hat: "Vielleicht sind wir hier so etwas wie das kleine gallische Dorf", sagt er und lächelt zufrieden.