Europa, sagt Dorotty Szalma, ist in Zittau und Umgebung längst gelebte Praxis. Das sähe man ja schon an ihr. Die Schauspielintendantin des Gerhart-Hauptmann-Theaters Zittau ist in Ungarn geboren, hat in Österreich und Deutschland studiert und als freie Regisseurin an zahlreichen Bühnen da wie dort gearbeitet. Vielleicht fühlt sie sich deswegen im Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien so wohl, weil hier die Grenzen im Alltag ganz nebenbei überwunden werden und die Menschen täglich erfahren, dass das gut für sie ist. Seit dem Fall der Mauer und dem Beitritt der Nachbarländer zur EU sind unzählige Kooperationen und grenzübergreifende Projekte entstanden, sowohl im kulturellen Sektor als auch in anderen Bereichen.
Dorotty Szalma freut sich besonders über das Theaterfestival "J-O-Ś" (gesprochen Josch), das seinen Namen den markanten Bergen des Dreiländerecks Ještěd (Jeschken), Oybin und Śnieżka (Schneekoppe) verdankt. Hierbei werden Produktionen aus größeren wie kleineren Orten der drei Länder und jeweils ein Gastland vorgestellt, etwa Georgien oder Palästina. Simultanübersetzungen oder Übertitel helfen gegen Sprachprobleme. Dazu gibt es Konzerte, Partys, die eine oder andere Koch-Show, "was uns halt so einfällt", lacht Dorotty Szalma vergnügt und freut sich bereits auf die nächste Auflage im Mai 2019. Stabilisiert wird dieser Austausch durch ein Theaterabonnement für Zittau, Liberec und Jelenia Góra (Hirschberg), bei dem die Besucher in Bussen von Ort zu Ort befördert und zu anschließenden Diskussionsrunden eingeladen werden. Übers Jahr und mit der im Sommer genutzten Waldbühne Jonsdorf lassen sich so um die 70 000 Zuschauer im Zittauer Theater zählen.
Dorotty Szalma, temperamentvoll, und energisch ("mein ungarisches Erbe"), inszeniert Oper und Schauspiel, liebt die Kunst und die Künstler – und vergisst dabei nie, in welchem politischen und sozialen Umfeld sie sich bewegt. Ihr Publikum will sie nicht belehren, sondern mit einem möglichst ausgewogenen Spielplan vielfältig ansprechen.
Ein Zitat von Gerhart Hauptmann, großer Namenspatron des Zittauer Theaters, ließ sie – quasi als Motto ihrer Amtszeit an diesem Haus – 2014 ins Programmheft zum damals noch "3Länderspiel" genannten trinationalen Festival drucken: "Ich war Europäer ebenso selbstverständlich, wie ich Deutscher war, und vielleicht war man kein ganz richtiger Deutscher, wenn man sich nicht gleichzeitig als Europäer fühlte." Das ist heutzutage fast ein politischer Auftrag. Szalma jedenfalls will den Satz genau so verstehen: Die Kunst, sagt sie, müsse politisch sein, sie dürfe nur nicht parteipolitisch werden. Das hat sie nicht daran gehindert, sich für "Zittau kann mehr" zu engagieren und in den Stadtrat wählen zu lassen. Dieser "Verein auf kommunalpolitischer Ebene" stellt mittlerweile sogar den Oberbürgermeister. Durch die konkrete politische Arbeit erhält Szalma Einblicke in den "speziellen Mikrokosmos der Politik": "Ich lerne, die Menschen umfassender zu begreifen – wie sie denken, was sie wollen."
Ein nächstes wichtiges Projekt in diesem Zusammenhang ist für Mai 2019 anberaumt. Dann werden die knapp 26 000 Einwohner aufgerufen sein, darüber zu entscheiden, ob sich Zittau im Namen der ganzen Region Oberlausitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 bewerben soll. "Wenn nicht alle dahinterstehen, geht das nicht", erläutert Szalma. An ihr wird es nicht scheitern: "Schauen Sie", sagt sie, "Zittau wird immer verkannt. Die einen verwechseln es mit Zwickau, die anderen denken, es ist am Arsch der Welt. Aber das stimmt alles nicht! Wir sind nicht am Rande Europas, wir sind das Herz von Europa! Und für viele ist Europa ihr Herz."
Auch wenn es am Ende nicht klappen sollte, erscheint ihr eine Bewerbung sinnvoll, weil Zittau dadurch bekannter werden und sich der Zusammenhalt innerhalb der örtlichen Gesellschaft und deren Selbstwertgefühl verstärken würde: "Wenn man hier wohnt, dann sieht man oft nicht mehr, was es überall an Schönheiten gibt, wie viel Geschichte zu entdecken ist, wie viel Tradition und Zukunft." Gerade in Sachsen wäre es wünschenswert, wenn die bestehenden grenzüberschreitenden Verbindungen weiter intensiviert würden, wenn Völkerverständigung und Internationalismus, Toleranz und Offenheit noch deutlicher gelebt werden könnten. Fast hört man jetzt die Politikerin durch Szalmas Worte. Vermutlich aber ist es vor allem die Menschenfreundin und Lokalpatriotin: "Andere kleine Städte könnten von einem Beispiel wie dem unseren profitieren. Es zeigt, dass sich auch Kreativität und Power jenseits der Metropolen findet."