Fröhlich-feministische "Nana"-Skulpturen bekommt man in diesem Biopic über die französische Künstlerin Niki de Saint Phalle nicht zu sehen. Stattdessen herrscht Verzweiflung und tränenreiche Auflehnung. Das ist ein kluger Schachzug, auf die Vorgeschichte und die Rolle des Missbrauchs in der Kindheit zu setzen, statt im inzwischen weltbekannten, bunten Pop-Universum der voluminösen Polyester-Damen zu schwelgen.
Es beginnt mit einem Foto-Shooting, das die junge Niki gelangweilt über sich ergehen lässt. Hände greifen ihr in die Haare, ein Fotograf gibt Anweisungen. Sie ist ein Objekt männlicher Projektionen und von der wütenden Bilderstürmerin, die auf Farbbeutel und damit symbolisch auf das Patriarchat schießt, noch meilenweit entfernt.
Die französische Film- und Theaterschauspielerin Céline Sallette liefert ein erstaunlich reifes Regiedebüt ab, das inszenatorisch glänzt, ohne sich selbst mit allzu übergriffigen Einfällen in den Vordergrund zu schieben. So bleibt der grandiosen Hauptdarstellerin Charlotte Le Bon genug Raum, um die Protagonistin in allen seelischen Verästelungen einzufangen, von mädchenhafter Verträumtheit bis zur aggressiven Raserei.
Erst Stromschläge, dann Ursachenforschung
Trotz Ehe, Kindern und Bühnenauftritten in Stücken von Cocteau kommt Niki nach ihrer Rückkehr aus den USA nicht zur Ruhe. Sie schleppt ein Trauma mit sich herum, das sie buchstäblich um den Verstand bringt. Der Ehemann, der Schriftsteller Harry Mathews, ist zwar verständnisvoll, aber auch überfordert von ihren heftigen Gefühlsausbrüchen und der Faszination für Messer und Waffen, die sie unter ihrer Matratze hortet. In der Psychiatrie, wo sie wegen Panikattacken eingeliefert wird, meint man, erstmal Stromschläge verschreiben zu können - noch bevor man nach der Ursache des potenziell selbstverletzenden Verhaltens fragt.
In Rückblenden schält sich dann allmählich das Bild einer auf den ersten Blick behüteten Kindheit in einer streng katholischen Familie der Oberschicht heraus. Doch der Vater, ein französischer Adeliger, der im US-Finanzbusiness tätig war, ging notorisch fremd und machte auch vor Übergriffen auf seine elfjährige Tochter jahrelang nicht Halt. Erst als die Jugendliche zu rebellieren begann und im Museum die Genitalien männlicher Marmorskulpturen mit rotem Lippenstift anpinselte, bekam die heile Familienfassade tiefe Risse.
Von ihrem Psychiater, einem loyalen Vertreter des männlichen Herrschaftssystems, wird Niki ebenfalls im Stich gelassen. Der vernichtet lieber ungläubig den Brief, in dem der Vater vor seiner Tochter den Missbrauch zugab, statt die Tat öffentlich zu machen.
Allein mit den Dämonen
Niki bleibt mit ihren Dämonen allein und findet Trost in der Kunst. Weil man ihr in der Klinik die Farbe verweigert, sucht sie sich ihr Material im Abfall zusammen. So findet sie zu einer Welt, in der sie das Erlebte als "Terroristin der Kunst" abladen kann. Auf dem Weg dorthin trennt sie sich von ihrem Ehemann. Vorher hatte ihr Joan Mitchell, Ende der 1950er eine der wenigen anerkannten Künstlerinnen, während eines Dinners verächtlich vorgeworfen, sie sei nur "eine Ehefrau, die malt".
Ein Wendepunkt für Niki. Sie lehnt eine Kinorolle bei Bresson ab und findet als Künstlerin bei Jean Tinguely, dem Schöpfer kinetischer Figuren, neben Liebe auch kollegiale Unterstützung. Der Film endet 1956, dem Jahr der ersten "Schießbilder". Bei diesen handelte es sich um mit Gips überzogene Objekt-Assemblagen, in die Farbbeutel eingefasst waren. Niki attackierte sie öffentlich mit Schusswaffen, bis sie "bluteten".
Man bekommt die spektakulären Werke nicht wirklich zu sehen, genauso wenig wie den Rest ihrer Kunst. Das hat einen schlichten Grund: Sallette erhielt die Bildrechte nicht. Dafür sieht man ihre eigensinnige Heldin immer wieder bei der Arbeit. Sie hantiert mit Puppenköpfen und allerlei furchteinflößenden Utensilien, hoch konzentriert und mit sich selbst im Reinen.