Nicolaus Schafhausen leitete sechseinhalb Jahre die Kunsthalle Wien. Im Mai kündigte der Deutsche seinen Vertrag vorzeitig: Er könne es sich als Direktor nicht vorstellen, einmal mit einer rechtsnationalen Regierung zu verhandeln. In den kommenden Monaten wird der 52-Jährige eine Ausstellung am NS-Dokumentationszentrum in München kuratieren. Das Projekt "Tell me about yesterday tomorrow" will zeitgenössische künstlerische Positionen und institutionelle Erinnerungsarbeit zusammenbringen.
Herr Schafhausen, Sie haben in Wien wegen des erstarkenden Rechtspopulismus’ gekündigt. Bald arbeiten Sie NS-Dokumentationszentrum in München - Zufall oder ein klares Signal?
Das sieht aus wie geplant, ist es aber nicht. Tatsächlich hat sich der Job in München erst nach meiner Kündigung ergeben, als mich die Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, Mirjam Zadoff, kontaktiert hat. Ich bin froh, aus Österreich wegzugehen. Der Diskurs ist in den letzten Jahren in sämtlichen Bereichen des Lebens ziemlich nach rechts gerückt und ist zu selbstbezogen. In Deutschland wird insgesamt diverser und heterogener diskutiert. Das liegt nicht zuletzt auch einfach an der Größe des Landes. Außerdem wollte ich wieder die volle Kontrolle über mein berufliches Leben. Ich freue mich sehr, jetzt mit einer solchen Einrichtung zu arbeiten. Das wird hochspannend.
Sie kommen aus der zeitgenössischen Kunst. Inwieweit ist ein historischer Ort wie das NS-Dokumentationszentrum für Sie eine Herausforderung?
Das Zentrum ist ein extrem aufgeladener Ort, ein Ort des Lernens und der Reflektion. Solche Orte sollten meiner Meinung nach eine größere und diversere Diskurskultur haben. Es könnten Orte eines Erinnerungsdiskurses sein - der Begriff Erinnerungskultur verweist zu sehr auf Vergangenheit. Also Orte, wo überlegt wird: Was hat das Vergangene mit der Zukunft zu tun und umgekehrt? Mit einem solchen Ort muss ich lernen umzugehen, aber ich freue mich sehr darauf. Man kann dort wahnsinnig viel herausarbeiten und entstehen lassen.
Hoffen Sie, in München freier arbeiten zu können als in Wien?
Ich hoffe vor allem, in München den Diskurs auf eine ganz andere Weise anstoßen zu können, als ich das in Wien konnte. Wir haben das dort im Rahmen der dortigen Möglichkeiten immer versucht, aber das NS-Dokumentationszentrum bietet einen anderen Rahmen als eine Kunsthalle. Außerdem ist München gut ausgerüstet mit spannenden Institutionen – und mit hochintelligenten Köpfen in der Leitung diverser Institutionen. Ich glaube, dass wir dort etwas auslösen können.
Was planen Sie in den kommenden Monaten genau?
In "Tell me about yesterday tomorrow" werden sich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinandersetzen, aber auch mit Themen wie Migration und Rassismus. Wir werden nicht nur im Dokumentationszentrum ausstellen, sondern auch an anderen Orten, vielleicht dem Lenbachhaus oder den Kammerspielen. Ich freue mich sehr, die Zusammenarbeit zwischen Künstlerinnen und Künstlern und Historikerinnen und Historikern als Kurator zu initiieren und zu begleiten, das ist neu für alle Seiten.
Ist es schwierig, wenn sich zeitgenössische Künstler mit so einem aufgeladenen Thema auseinandersetzen? Kann der Holocaust hinter der Ästhetik von Kunst sozusagen verschwinden?
Das ist auf jeden Fall eine extreme Herausforderung. Natürlich gibt es ein Risiko. Aber das müssen wir eingehen. Wir müssen nicht nur mit der historischen, sondern auch der aktuellen Realität umgehen, die jeden von uns etwas angeht. Die Künstlerinnen und Künstler bilden ja nicht platt etwas ab - es geht darum, sich intellektuell und emotional mit dem Thema zu beschäftigen. Und ich weiß aus Gesprächen, dass sich viele Kunstschaffende heute eine Auseinandersetzung mit solchen historischen Orten wünschen.
Muss Kunst heute als Reaktion auf den Rechtspopulismus politischer werden?
Ich finde nicht, dass sie je wirklich unpolitisch war. Aber es stimmt: Ich wünsche mir manchmal, dass bekannte Künstlerinnen und Künstler ihre Öffentlichkeit anders nutzen, dass sie einstehen für gewisse Werte. Wir sind alle viel zu passiv.