Sicherlich, die Soundsuits von Nick Cave funktionieren durchaus auch als Skulpturen. Der Raum mit den Anzügen, die Cave berühmt gemacht haben, der das Zentrum seiner Retrospektive am New Yorker Guggenheim bildet, ist ein begehbares Diorama, eine gespenstische, fantastische Szenerie mit wilden Fabelgestalten.
Man wandelt zwischen einer Figur aus dem Jahr 2021, deren Kopf in einem Wald von Globen, Drehkreiseln, bunt bemalten Konservendosen und Holzspielzeugen verschwindet. Dahinter lugt eine Gestalt aus bunten Stoffblumen hervor, die auf schwarzes Textil aufgenäht sind. Und schließlich kommt man zum berühmtesten Soundsuit, dem Original aus dem Jahr 1992, das komplett aus vorgefundenem Kleingehölz besteht.
Doch trotz der Kraft, die diese Stücke auch leblos entfalten, wünscht man sich beim Begehen dieses Raumes nichts mehr, als dass sie tanzen. So wie vor wenigen Jahren in der Werkstatt Nick Caves und seines Partners Bob Faust in Chicago, als die beiden mit Jugendlichen aus einer LGBTQ-Unterkunft eine Choreografie in den Soundsuits einstudiert haben. Es wurde zu einem rituellen Tanz von überwältigender Ausdrucksstärke.
In Schmerz gehüllt
Man freut sich natürlich, dass eine Institution wie das Guggenheim einem so wichtigen zeitgenössischen afroamerikanischen Künstler wie Nick Cave eine Retrospektive auf drei Stockwerken einräumt. Einerseits. Andererseits stellt sich gerade in dem Raum mit seinen bekanntesten Arbeiten, den Ganzkörperkostümen, von denen es mittlerweile mehr als 500 gibt, die Frage, ob der museale Rahmen den Arbeiten immer gut tut.
Die Entstehung des originalen, des "Ur"-Soundsuits ist mittlerweile zur Legende geworden. Es war 1992 und die Bilder des Afroamerikaners Rodney King, der in Los Angeles grundlos von Streifenpolizisten brutal zusammengeknüppelt wurde, liefen endlos über US-amerikanische Bildschirme. Nick Cave war außer sich vor Entsetzen, Schmerz und Zorn und setzte sich in den Grant Park in Chicago um sich zu sammeln. Als er dort gedankenverloren mit den Zweigen auf dem Boden spielte, kam ihm dann die Eingebung zu dem ersten Suit.
Der Anzug, der wie alle seine Anzüge über den Kopf geht und statt einem Gesicht einen nach innen gewendeten Flechtkorb besitzt, wird seitdem wechselweise als Rüstung und als Camouflage gelesen. Der Träger wird geschlechtslos und Ethnien-neutral. Er legt sich einen Panzer an und erzeugt doch eine mächtige Präsenz. Vor allem jedoch macht er Geräusche, wenn der Träger sich darin bewegt, man kann damit Rhythmen erzeugen, man kann ihn sprechen lassen.
Im Museum erstarrt
Das alles geht in der statischen Präsentation verloren. Und man fragt sich bei diesem Raum, sowie bei anderen Räumen der Werkschau, wieviel von dem Anliegen Nick Caves insgesamt bei der Musealisierung verloren geht: Nämlich die Erfahrung spürbar zu machen, was es bedeutet, mit schwarzer Hautfarbe in den USA zu leben.
Die Soundsuits bleiben gewiss Caves eindrücklichste Art und Weise diese Erfahrung zu vermitteln. Sie demonstrieren die Unmöglichkeit, in der US-Gesellschaft sichtbar zu sein, ohne den eigenen Körper der wahllosen Brutalisierung auszusetzen.
Dabei behalten sie jedoch trotz der Bitterkeit und Härte dieser Erfahrung etwas Spielerisches, Leichtes. Im tanzenden Ritual, für das die Soundsuits viel mehr gemacht sind, als für das Museum, finden Schmerz und Lebensfreude allen gesellschaftlichen Realitäten zum Trotz beide Ausdruck. So, wie dies für so vieles in der afroamerikanischen Kunst und Kultur zutrifft.
Der Gestus zieht sich durch das gesamte Werk von Cave, das im Guggenheim in drei Phasen unterteilt wird – "What it was", "What it is“ und "What it shall be". Dabei sind die drei Abteilungen alles andere als eine chronologische Ordnung von Caves Werk. Es sind viel mehr Fragestellungen, die er an die Welt hat. Wie, so will Nick Cave wissen, kann eine Bevölkerungsgruppe, die ihrer Geschichte und ihrer Wurzeln beraubt ist, eine Gegenwart und eine Zukunft imaginieren?
Entschiedene Subjektivität
Es ist die Fragestellung des Afrofuturismus, ein Label, welches das Guggenheim sorgsam umschifft. Die Chefkuratorin Naomi Beckwith, die zuvor unter anderem mit Okwui Enwezor an der bahnbrechenden Ausstellung "Grief and Grievance“ am New Museum gearbeitet hat, wollte das Werk von Nick Cave nicht auf vorgefertigte Begriffe einengen. Caves Arbeit sollte im Guggenheim vor allem für sich stehen.
Und tatsächlich lohnt es sich, sich tief auf Caves ganz eigenen Umgang mit diesen Fragen einzulassen. Denn Nick Caves Suche nach einem Weg, als Schwarzer Mann, noch dazu als queerer Schwarzer Mann, in den USA sein zu können, ist an vielen Stellen vor allem sehr persönlich.
So sind viele seiner früheren Arbeit, wie etwa seine Ready-Made-Collage "Time and Again", ein Versuch, die Lebenswelten seiner Vorfahren im ländlichen Mississippi zu konservieren. Sie sind voll von Objekten, die direkt aus dieser Zeit und von diesem Ort stammen oder die Cave daran erinnern. Gleichzeitig haben sie in ihrer entschiedenen Subjektivität eine surreale Qualität.
An anderer Stelle greift er Figuren aus der Schwarzen Kultur wie den Hustler auf und interpretiert sie auf seine ganz eigene Art. Der "Hustle Coat" mit seinem übertriebenen Reichtum an billigem Schmuck auf der Innenseite zitiert sowohl den Hang der Ghetto-Mode zur ironischen Opulenz als auch das Weltverhältnis einer Mehrheit von Afroamerikanern, die ständig damit beschäftigt sind, sich mit Geschäften am Rande der Mainstream Ökonomie über Wasser zu halten.
Wie die Soundsuits ist der Hustle Coat Caves individuelle Reaktion auf Schwarze Lebenswirklichkeiten. Auch er ist Panzer und Verkleidung zugleich und lässt den Betrachter in einer eigenartigen Ambivalenz zwischen Schwere und Überschwang verharren. Und genau daraus beziehen die Arbeiten von Cave ihre Kraft.
Eine afroamerikanische Lebensrealität
Manche der späteren Werke wirken dagegen ein klein wenig zu eindeutig. Ein Schwarzer Kopf, vom Körper abgetrennt, der auf einem Stapel von US-Fahnen liegt, etwa. Ein ähnlicher Kopf, in stummem Schrei erstarrt und eingerahmt von romantischen Gemälden großer Kriegsschiffe der Kolonialmächte des 18. Und 19. Jahrhunderts. Oder eine Schwarze Hand zum Empfang eines Trinkgelds ausgestreckt unter einem Stapel von Handtüchern, so, wie man sie Tausendfach auf den Toiletten vornehmer Etablissements in den USA bis heute erleben kann. Auch sie entfalten Kraft in der Darstellung der Schwarzen Erfahrung in den USA. Doch als politische Polemik wirken sie flacher, als die privaten Reaktionen von Cave auf das Leben als Schwarzer in den USA.
Spätestens mit der Retrospektive am Guggenheim hat sich Cave nun als erkennbare Stimme in den wachsenden Kreis Schwarzer Künstler eingereiht, die in den vergangenen Jahren den Kanon der zeitgenössischen US-Kunst nicht nur erweitern, sondern ihn in ein längst überfälliges neues Licht stellen. Künstler wie Cave, Kehinde Wiley, Kara Walker, Mickalene Thomas oder Kerry James Marshall. Sie beanspruchen, dass die afroamerikanische Erfahrung kein Anhängsel der amerikanischen Erfahrung ist, sondern für sie konstitutiv.
Daran lässt auch das Werk von Cave keinen Zweifel. Ob sich das letztlich dem Besucher des Guggenheim mitteilt, bleibt freilich fraglich. So haben die Kuratoren entschieden, die Rotunda des Frank-Lloyd-Wright-Baus dem Neo-Realisten Alex Katz zu überlassen und Cave in die Seitenräume zu verbannen. Aber immerhin eröffnet die Show der Welt und der Sprache von Cave ein Publikum, das noch vor wenigen Jahren zu seiner Kunst niemals einen Zugang gefunden hätten.