In Kreuzberg feiert ein Kunstraum eine Eröffnung mit queerer Fotografie, in derselben Nacht fallen in einer Osloer Gay-Bar Schüsse. Eine Betrachtung der Berliner Ausstellung unter dem Eindruck des Attentats
Es ist Freitag, der 24. Juni 2022, 19 Uhr, als sich im Kreuzberger Fhoch3 – Freiraum für Fotografie die Türen zur "New Queer Photography"-Ausstellung öffnen. Zu sehen sind einige Werke des bereits 2020 von Benjamin Wolbergs veröffentlichten, gleichnamigen Bildbandes: Eine herzlich lachende Schwarze Frau in roter Schuluniform, eine Schwarz-weiß-Fotografie einer Transfrau, die in Modelpose ihre haarigen Achseln präsentiert, eine ganze Bilderreihe in Neonfarben über eine Gender-Transition, Paare, die sich hinter Blumen verstecken müssen oder hinter schützenden Wänden, vietnamesische Queers beim Entspannen, ein Porträt einer weißen Person, auf der Seite liegend, in schwarzer Jeans und oben ohne.
Es sind Werke von Mohamad Abdouni, Michael Bailey-Gates, Maika Elan, Milan Gies, Julia Gunther, Robin Hammond, Claudia Kent, Clifford Prince King, Laurence Rasti, Bradley Secker, Shahria Sharmin, Melody Melamed, Laurence Philomene, Pauliana Valente Pimentel und Soraya Zaman, die alle vor allem eines wollen: die marginalisierte Community in den Mittelpunkt stellen. Und das gelingt, im Buch wie in der Ausstellung.
Beim Eröffnungsgespräch mit der künstlerischen Leitung Katharina Mouratidi antwortet Julia Gunther auf die Frage, was sie an ihrer Arbeit "Rainbow Girls" am schönsten finde: "That the girls come together." Das Zusammenkommen ist für marginalisierte Gruppen schon immer essenziell gewesen und ist es heute nicht weniger für die Wahrung von Safe Spaces und queerer Clubkultur. Das Zusammenkommen in sicheren Räumen dient dem eigenen Empowerment, der Selbstpräsentation, aber eben auch dem Selbstschutz. Mit ihrer dokumentarischen Fotoreihe über die Miss-Lesbian-Wahl mitten in Kapstadt illustriert Gunther die außergewöhnliche Stärke und den Widerstand, den Menschen durch gemeinsame Ermächtigungsprozesse entwickeln können – und damit ihren Status als Opfer überwinden. Die "Rainbow Girls" hätten alle auf unterschiedliche Arten Leid und unbegreifliche Ungerechtigkeiten erfahren. Und trotzdem seien sie stolz, sagt Gunther, stolz auf sich selbst, auf ihre Leben und auf die Liebe, die sie repräsentieren. "Happy Pride! Und jetzt lasst uns feiern!", beendet Mouratidi das Eröffnungsgespräch.
Schüsse in Oslo
Es ist Samstag, der 25. Juni 2022, 1 Uhr, als in Oslo Schüsse fallen. Schüsse, die sich gegen die Queer Community richten, Schüsse, die einmal mehr zeigen, wie bedroht queere Personen noch immer jeden Tag, überall auf der Welt sind und wie viel Hass sie noch immer erleben: In Deutschland allein werden jeden Tag drei Menschen aus queerfeindlichen Motiven angegriffen.
Während die Party in Kreuzberg langsam ausklingt, die Besucher*innen weiterziehen, passiert 1.041 Kilometer entfernt in Oslo genau das, wovor die Protagonist*innen der Bilder fürchten, das wogegen sie gemeinsam mit den Fotograf*innen ein Zeichen setzen wollen – der größte Queer Club der Stadt wird angegriffen. Über 20 Menschen werden verletzt, zwei von ihnen werden getötet. Es ist ein Angriff auf einen Safe Space, ein Angriff gegen die Selbstermächtigung, gegen von der Heteronorm abweichende Identitäten und gegen die Liebe. Am nächsten Tag sollte ein großer Pride March durch Oslo stattfinden. Es sollte der 50. Jahrestag der Entkriminalisierung von Homosexualität in Norwegen gefeiert werden. Er wird abgesagt. Und dennoch versammeln sich tausende Menschen in Oslo, um derer zu gedenken, die erneut zu Opfern demarkiert werden, um zu zeigen: Wir stehen ein für die, die wir sind. Sie rufen: "We’re here, we’re queer, we won’t disappear!"
Ähnliches vermitteln Robin Hammonds Porträts von Menschen aus den verschiedensten Orten der Welt, die rechtliche oder soziale Diskriminierung aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechteridentität erfahren. Das Paradoxe daran: Obwohl einige von ihnen ihre Gesichter nicht zeigen, um ihre Identität zu schützen, wollen alle fotografiert werden und bestimmen selbst, in welcher Weise sie dargestellt werden. Sie wollen gezeigt werden, wie sie sich selbst sehen, wer sie sind – und nicht als Opfer von Spott und Gewalt.
Bedrohung von queeren Menschenleben
Die Nacht des Anschlags in Oslo verdeutlicht mit aller Härte, dass der Kampf gegen die Unterdrückung noch lange nicht gewonnen ist, dass es Solidarität braucht und Allyships, überall auf der Welt. In Istanbul versammeln sich einen Tag später, am Sonntag, hunderte Menschen, die trotz Verbots einen Pride March veranstalten. Über 200 Teilnehmer*innen sollen dabei nach späteren Schätzungen festgenommen werden.
Die Bedrohung von queeren Menschenleben rückt Laurence Rasti in den Mittelpunkt der Arbeit "There are no homosexuals in Iran". Ihr Titel stammt aus der Rede des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad im Jahr 2007. Rastis Fotografien zeigen homosexuelle Iraner*innen an der türkischen Grenze, die geflohen sind aus einem Staat, der ihre Existenz leugnet und ihre Leben mit der noch immer existierenden Todesstrafe für homosexuelle Handlungen bedroht. Die Farben der Bilder sind satt, die Gesichter der Porträtierten versteckt hinter zarten Pflanzen. Die Bilder sollen denen, die keinen Ort für sich beanspruchen können, Raum zum Atmen geben, zum Leben.
In Berlin leuchtet in der auf den Anschlag folgenden Nacht das Brandenburger Tor in Regenbogenfarben. Regenbogenfarben als Zeichen der Solidarität. Zwei Tage später gibt es einen Post aus der queeren Community auf Instagram über die eigenen Assoziationen, wenn unerwartet ein solidarischer Regenbogen aufgebaut wird: "Ich bleibe stehen und meine Augen fixieren die Farben […] Tränen füllen meine Augen. Ich fühle eine Schwere in mir; ein Kloß in meinem Hals. Bilder in meinem Kopf […] queere Personen beginnen, durcheinander zu reden", schreibt @tinischick. Bei der Farbe Rot würden Gedanken an Blut kommen, an Schmerz und die Frage wie etwas so Schmerzhaftes so bunt dargestellt werden könne. Sie selbst seien es, die bunt sind und die das Recht haben sollten, zu strahlen.
Und es liegt an uns als Gesellschaft, dieses Recht zu schützen und zu wahren. Es darf nicht sein, dass der Regenbogen irgendwann verschwindet, weil sich niemand mehr wagt, zu strahlen.