"Renaissance 3.0" im ZKM Karlsruhe

Neue Schnittstellen

In der Ausstellung "Renaissance 3.0" im ZKM Karlsruhe hat Peter Weibel ein letztes Mal gezeigt, wo Kunst und Wissenschaft sich treffen

Zweifellos war Peter Weibel einer der wichtigsten Medientheoretiker. Knapp 25 Jahre leitete er das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe und verhalf der Institution durch bedeutende Forschungs- und Ausstellungsprojekte zu internationalem Renommee. Als letzte von ihm initiierte Schau ist nun, kurz nach seinem Tod, eine Art Konklusion seines Lebenswerks zu sehen. "Renaissance 3.0" verschreibt sich in weibelscher Manier der Verbindung von Kunst, Wissenschaft und Technik, blickt dabei weit in die Menschheitsgeschichte zurück und gibt Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Zu den 35 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern gehört Tomás Saraceno, der für seinen forschenden Blick auf Spinnen bekannt ist. Seine raumgreifende Installation kann vom Publikum hautnah erlebt werden, wenn es an der netzartigen Fadenkonstruktion zupft. Die erklingenden Töne und spürbaren Erschütterungen geben eine leise Ahnung von der Welt der Spinnen und lassen uns die eigene Sinneshierarchie überdenken – spüren und hören statt sehen. Das überdimensionierte Spinnennetz lässt sich bis ins All weiterdenken, von wo aus elektromagnetische Vibrationen auf die Erde gelangen und uns beeinflussen.

Die "Tools of Practice" unserer Zeit

Die Ausstellung spricht sich für gemeinsamen Erkenntnisgewinn aus, der aus der Kollaboration von Kunstschaffenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entsteht. Sie nimmt das digitale Zeitalter in den Fokus und reiht es an zwei historische Blütezeiten an: die Renaissance des arabischen Raums (8. bis 10. Jahrhundert) sowie die italienische Renaissance (15. und 16. Jahrhundert). Bereits damals spielten Künstlerinnen und Künstler eine ent­scheidende Rolle für das sich ändernde Weltverständnis, etwa durch das Schaffen von ästhetischen Erfahrungen. An der Herstellung und Nutzung von Forschungsapparaten waren Kunstschaffende ebenfalls maßgeblich beteiligt – wie heute im Kontext digitaler Tools. Angetrieben von einem Fortschrittsgedanken, präsentiert die Künstlerin Dorcas Müller die Genese des Neurochips. Diese Schnittstellen von Computer und Gehirn stellen neuartige "Tools of Practice" (Weibel) dar. 

In Anlehnung an Darwins Evolutionstheorie ordnete Müller die Platinen in Form eines Stammbaums an. Präsentiert hinter Glas, gleichen sie einer Schmetter­lingssammlung, solange die Vitrinen noch keinen Platz für den Terminator bieten, der am Ende dieser Entwicklungskette stehen könnte. Welche Veränderungen das Leben als Cyborg mit sich bringt, versucht die Künstlerin in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut zu ergründen.

Existenzielle Zwischenmenschlichkeit

Dass wir ohnehin nie nur menschliche DNA in uns tragen, beweist Helen Pynor. Sie zeigt ein gläsernes, den historischen Exponaten ähnelndes Gefäß. Aufschluss über die Funktion des Objekts gibt das zugehörige 360-Grad-Video. Wir sehen die Künstlerin in performativer Aktion mit dem Wissenschaftler Jimmy Breen: Von beiden Seiten hauchen sie in die Apparatur, um den kondensierten Atem in einer Petrischale einzufangen. Die Arbeit trägt den Titel "93% Human", da sich ebendieser Prozentsatz an menschlicher DNA in der Flüssigkeit befand. Wunderbar poetisch spricht sich Pynor einerseits für die existenzielle Zwischenmenschlichkeit aus, andererseits ruft sie durch die verbleibenden sieben Prozent Bakterien das symbiotische Verhältnis von Mensch und Nichtmensch in Erinnerung.

Auch Christoph Girardet gelingt es, scheinbar fremde Elemente – in diesem Fall chemische – begreifbar zu machen. In seinem Film aus found footage blubbern bunte Flüssigkeiten vor der Kamera. Die Szenen aus den Chemielaboren illustrieren eine überraschende Tonspur: die biblische Schöpfungsgeschichte. Der religiöse Welterklärungsansatz löst sich im Glauben an die Wissenschaft auf und lässt stattdessen die Chemiker und Chemikerinnen gottgleich erscheinen. Dabei reflektiert "Synthesis" (2015) nicht zuletzt auch die Rolle des Künstlers, wird Girardet hier doch selbst zum Schöpfer im Medium des Bewegtbilds.

Die traditionelle Wissenskultur des Westens spielt in "Renaissance 3.0" eine zentrale Rolle – eine begehbare Enzyklopädie macht dies zusätzlich deutlich. Auch wenn die Ausstellung Weibels Lebenswerk abschließt, ist sie nur eine Momentaufnahme, die sich laut Untertitel als "ein Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert" versteht. Als Grundlage kann dieser Wissensschatz weitergedacht werden – nicht nur für die Zukunft auf der Erde, sondern auch, um Weibels Vermächtnis weiterzutragen.     
 

Dieser Text ist zuerst im Monopol-Spezial Art Karlsruhe 2023 erschienen