Nan Goldin in Berlin

Kann das gut ausgehen?

Nan Goldins Ausstellung "This Will Not End Well" in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist voller Empathie und Zwischentöne. Umso ironischer, dass die Debatte um ihre Haltung zum Nahost-Krieg so unerbittlich geführt wird

Der Schriftzug ist schon von weitem aus dem Bus zu sehen: "This Will Not End Well" (das wird nicht gut ausgehen) steht in hellen, geschwungenen Buchstaben über dem Eingang der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Ursprünglich stammt der Satz aus einem Streit, den Nan Goldin mit einem Freund hatte. Nun ist die düstere Prophezeiung auch Titel der großen Retrospektive der US-Künstlerin, die nach Stationen in Stockholm und Amsterdam an diesem Freitag in der deutschen Hauptstadt eröffnet – einem wichtigen Ort im Schaffen der heute 71-Jährigen.

Bis vor einigen Wochen konnte man das Motto der Ausstellung vor allem auf die Protagonistinnen und Protagonisten von Goldins Werk beziehen. Diese befinden sich auf ihren Bildern in äußerst vulnerablen Zuständen; der Grat zwischen Ekstase und Intimität auf der einen und tiefem Elend und Verlorenheit auf der anderen Seite ist äußerst schmal. In den Abspännen der Foto- und Videocollagen rollen die Namen derer vorbei, die viel zu früh gestorben sind, oft an den Folgen von Aids oder einer Drogenüberdosis. Für sie ist die Geschichte nicht gut ausgegangen.

In den trüben Berliner Novembertagen dieses Jahres kommt man jedoch nicht umhin, den Satz an der Fassade der Nationalgalerie auch auf die äußeren Umstände dieser mit Spannung erwarteten Schau zu beziehen. So hat der Senat gerade drastische Sparmaßnahmen im Kulturbereich angekündigt, die vielen Institutionen der Stadt den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Ahnung eines bösen Endes treibt viele in der Kunstwelt um und auf die Straße. Aber natürlich drängt sich auch die Verbindung zur deutschen Debatte um den Nahost-Krieg auf, in die nun auch Nan Goldin und ihre Ausstellung verwickelt sind. Dass es für die Künstlerin in ihrer ehemaligen Heimatstadt Berlin derzeit kein ungetrübt herzliches Wiedersehen geben würde, war abzusehen. Und so sorgte "This Will Not End Well" bereits vor der Eröffnung für Streit. 

Keine Trennung von Kunst und Aktivismus

Die Kontroverse liegt in diesem Fall - anders als beispielsweise bei der Documenta Fifteen in Kassel - nicht im Werk selbst. An keiner Stelle kommt in den sechs gezeigten Foto- und Videocollagen der Ausstellung das Thema Israel oder Palästina vor. Nan Goldins fotografische und filmische Arbeit scheut sich vor einfachen Slogans; politische Themen wie die Aids-Krise, prekäre Gesundheitsversorgung, Sexarbeit und die Verbannung queerer Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft sickern eher indirekt in ihre Bilder ein, die oft in Schutzräumen wie Nachtclubs, Bars oder privaten Wohnungen aufgenommen wurden. 

Andererseits hat Goldin ihre Kunst nie von ihrem aktivistischen Engagement getrennt, wie beispielsweise auch im Filmporträt "All The Beauty And The Bloodshed" von Laura Poitras deutlich wird. In den 1980er- und 1990er-Jahren kämpfte Goldin mit Initiativen wie Act up gegen die Stigmatisierung von HIV-Infizierten; nachdem sie selbst abhängig von opioidhaltigen Schmerzmitteln war, nahm sie es mit der Pharmafamilie Sackler auf und skandalisierte erfolgreich deren "schmutziges Geld" in großen internationalen Museen. Genauso unbeugsam wie bei diesen Themen erscheint die Künstlerin, die selbst aus einer jüdischen Familie stammt, nun auch in ihrer Haltung zum Krieg in Nahost. 

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Gegenschlag der israelischen Armee in Gaza hat sich Goldin mehrmals klar propalästinensisch positioniert, unter anderem mit ihrer Unterstützung des offenen Briefs des US-Magazins "Artforum", in dem Israels Vorgehen scharf verurteilt und die Hamas und deren Geiseln erst nachträglich erwähnt wurden. Vor einigen Wochen wurde sie bei einer Protestaktion in New York vorläufig festgenommen, bei der der Eingang zur Börse blockiert und das Ende von Waffenlieferungen der USA nach Israel gefordert wurde. Organisiert wurde die Demonstration von der Initiative Jewish Voice for Peace, die einen Boykott israelischer Institutionen befürwortet und unter anderem immer wieder die umstrittenen Formulierungen "Apartheid" und "Genozid" im Bezug auf die Lage der Palästinenser benutzt - Begriffe, die in der deutschen Kulturszene inzwischen fast reflexhafte Aufregung auslösen. 

Vorwürfe, Zerwürfnisse und Absagen

Die Nationalgalerie, immerhin eines der größten öffentlich geförderten Häuser in Deutschland, versucht nun einen gewagten Balanceakt. Einerseits soll deutlich werden, dass es eben keine systematische "Cancel Culture" gegen Stimmen jenseits der Staatsräson gibt. Eine Künstlerin, die sich klar antiisraelisch äußert, kann - Stand jetzt - im Herzen Berlins prominent in einem Museum ausstellen, das das Wort "Nation" im Namen trägt; auch, wenn die Verantwortlichen ihre Meinung nicht teilen, wie Direktor Klaus Biesenbach betont hat. 

Gleichzeitig hat die Nationalgalerie am Wochenende ein Symposium mit dem Titel "Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung. Diskussionsraum zum Nahostkonflikt" angesetzt. Das kann man so deuten, dass die Institution ein Angebot für alle machen will, die Goldins Haltung und die staatliche Förderung ihrer Kunst problematisch finden oder generell ein antisemitisches Klima im Kunstbetrieb diagnostizieren. Andererseits kann man dieses Rahmenprogramm auch als Eingeständnis interpretieren, dass es in der Schau tatsächlich ein Problem gibt, über das man reden muss - was wiederum die bestärkt, die sowieso schon ideologische Bevormundung durch deutsche Museen beklagen. Auch Nan Goldin selbst hat den Plan offenbar so verstanden und sich dagegen gewehrt.

Die Besetzung des Symposiums führte dann auch zuverlässig zu neuen gegenseitigen Vorwürfen, Zerwürfnissen und Absagen, was ein Paradox der gegenwärtigen Debatte verdeutlicht. Auf einer abstrakten Ebene fordern alle Seiten mehr Dialog, konkret sind aber nur wenige bereit, sich Gesprächen zu stellen, bei denen sie auch mit vermeintlich "gegnerischen" Positionen konfrontiert sind. Auch der Druck innerhalb der Kunstwelt, auf der jeweils empfundenen "richtigen Seite" zu stehen, ist unvermindert. Bei Abschluss dieses Artikels lautete der aktuelle Stand, dass das Symposium am Sonntag, 24. November, in veränderter Besetzung und ohne Nan Goldin stattfindet. Dafür soll sie aber bei der Ausstellungseröffnung am Freitagabend eine Rede halten. Auch sie selbst will also offenbar nicht, dass ihr Werk "für sich spricht". 

Nan Goldin als Filmemacherin ernst nehmen

Betritt man am Tag der Vorbesichtigung das gläserne Erdgeschoss der Nationalgalerie, scheint es dann aber doch ein wenig so, als wolle sich die Kunst vor all dem politischen Ballast verstecken. Anders als bei anderen Nan-Goldin-Ausstellungen hängt hier kein einziges Foto an einer Wand. Kurator Fredrik Liew vom Moderna Museet in Stockholm, der die Wanderausstellung konzipiert hat, wollte narrative Elemente im Werk der Künstlerin herausheben und sie als Filmemacherin ernst nehmen. Und so hat die Architektin Hala Wardé einen Parcours aus Kabinen geschaffen, die nun wie undurchdringliche "Black Boxes" in Mies van der Rohes modernem Prachtbau stehen - und die auf den ersten Blick etwas abschreckend wirken. In den öffentlichen Raum strahlt hier gar nichts, von außen sehen Passanten nur in dunklen Stoff gekleidete Kunst-Höhlen in verschiedenen Formen.

Betritt man jedoch diese Räume im Raum, kann man kaum anders, als sich in Goldins intensive Bilderschleifen und die opulenten Soundtracks fallen zu lassen. In verschiedenen Slideshows aus Tausenden von Fotos und Videos jagen ekstatische, begehrende, erschöpfte und versehrte Körper über die Leinwände. Zwischendurch fühlt man sich an die Kinosäle und Bars erinnert, in denen die New Yorkerin in den 1980er-Jahren ihre "Ballad of Sexual Dependency" aufführte - das epische, immer weiterwachsende Werk über queere Communities, in dem man auch den einen oder die andere Berlinerin wiedererkennen kann. 

Nan Goldin, 1953 in Washington, D. C. geboren, besitzt die Gabe, einerseits von bestimmten Milieus zu erzählen, gleichzeitig aber eine emotionale Wucht zu erzeugen, derer sich kaum jemand mit einem schlagenden Herzen in der Brust erwehren kann. Als Fotografin hatte sie nie den Anspruch, mit irgendeiner Form von Objektivität auf ihre Motive zu schauen. "Meine Arbeit kommt aus Mitgefühl und Liebe", sagt sie selbst.

Empathie für das Abweichende

Sie war immer embedded – in einen verschworenen Freundeskreis in der Lower East Side, bei den Dragqueens in der Bostoner Bar The Other Side oder in ihrer eigenen Kindheit, die vom Suizid ihrer älteren Schwester Barbara dominiert wurde. In der erschütternden Arbeit "Sisters, Saints, and Sibyls", die ebenfalls in Berlin zu sehen ist, erzählt sie von einer lebenshungrigen jungen Frau, deren Rebellion als Geisteskrankheit ausgelegt wird und die nach wiederholten Zwangsaufenthalten in geschlossenen Einrichtungen in tiefe Depressionen fällt. Nan Goldin widmet die Videoinstallation ihrer eigenen Schwester, aber auch allen anderen sisters, deren Freiheitsdrang von einem konservativen Umfeld bestraft wird. 

Es ist diese Empathie für das Abweichende, die Goldins Werk so zeitgenössisch macht. In einer Gegenwart, in der es in der Kunst viel um die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensmodelle und den Abbau von Stigmata geht, zeigt die Künstlerin einen Kosmos, in dem nicht geurteilt wird. Queerness, Prostitution, Gewalterfahrungen und Drogensucht sind wiederkehrende Motive in den Slideshows, sie sind aber nie "das Problem", das verhandelt werden müsste.

Die Ambivalenz in Goldins Werk lässt sich in der Nationalgalerie besonders gut an zwei neueren Arbeiten erkennen. In "Sirens", die 2022 auch auf der Venedig-Biennale zu sehen war, montiert sie Szenen aus verschiedenen Spielfilmen aneinander, deren weibliche Hauptfiguren orgasmische Highs erleben. Nur wenige Meter neben dieser Schönheit des Rauschs zeigt die Installation "Memory Lost" die dunklen Seiten des Drogen­konsums und den Kampf der Künstlerin gegen ihre Opioid-Abhängigkeit. Vermüllte Zimmer wechseln sich mit verschwommenen Bildern von Sonnenuntergängen, Landschaften und Krankenhausfluren ab. Zur sphärischen Musik der Komponistin Mica Levy erzählen körperlose Stimmen von ihrer Sucht und der gespenstischen Einsamkeit, die daraus erwuchs. "Ich habe aus dem Fenster gesehen, dass der Supermarkt Äpfel rausstellt", sagt ein Mann. "Also habe ich gedacht, dass es wohl Herbst sein muss."

"Ich erinnere mich an jedes Wort, das je zu mir gesagt wurde"

Mit "Memory Lost" hat Nan Goldin der Opioid-Epidemie in den USA Bilder gegeben – genauso wie sie in den 1980er- und 1990er-Jahren die Aidskrise sichtbar machte. "Egal wie high ich war", sagt die Stimme der Künstlerin an einer Stelle. "Ich erinnere mich an jedes Wort, das je zu mir gesagt wurde." Das ist es, was Fotografie und Film in Goldins Werk vermögen: Sie erinnern, sie halten lebendig.

Und so bleibt die große Ironie dieser Ausstellung in Berlin, dass nichts von ihrer Empathie, ihrer Widersprüchlichkeit und Verletzlichkeit in der Debatte zu spüren ist, die um sie geführt wird. Sie sei durchaus in der Lage, Ambivalenzen auszuhalten, wird Nan Goldin selbst in der "Zeit" zitiert, "aber nicht in moralischer Hinsicht". 

Trotzdem wäre es vielleicht der bestmögliche Ausgang dieser chronisch verfahrenen Lage, dass an Goldins Ausstellung eine Differenz deutlich wird - so bescheiden kann man die Ansprüche inzwischen formulieren. Dass die Haltung einer deutschen öffentlichen Kunstinstitution signifikant von der einer Künstlerin abweichen kann. Und dass sie trotzdem stattfindet und man darüber reden kann. Das wäre sicherlich kein "Happy End". Aber auch nicht die Katastrophe, die im Ausstellungstitel anklingt.