Lucy McKenzie war nur eine von vielen zeitgenössischen Künstlerinnen, die Marc Chamille Chaimowicz verehrten. Einmal fragte sie den geschätzten Kollegen, mit dem sie mehrfach zusammenarbeitete, für welche Organisation er am liebsten ein Werk schaffen würde. Seine Antwort war nicht etwa ein Museum. "Woolworth's wäre interessant", sagte er stattdessen. "Oder sogar Marks & Spencer."
Die Welt der Kaufhäuser, das Design von Waren, die Sinnlichkeit von Stoffen, die echte Welt – sie reizten Chaimowicz mehr als die aseptischen Räume der Kunst. Was er schuf, waren keine klassischen Werke für den White Cube, sondern tatsächlich eher etwas, von dem man sich erträumte, es in einem Kaufhaus finden zu können: opulent ausgestattete Räume, in denen Malerei und Tapeten, Zeichnung und Lampen, Skulptur und Keramiken die Grenzen zwischen high und low auf schönste dandyeske Art unterlaufen.
Schon eine seiner frühesten Arbeiten, die Installation "Celebration? Realife Revisited" aus dem Jahr 1972, sah eher aus wie die After Hour einer Party: Lichterketten und eine Discokugel schmücken den Raum, auf dem Boden verteilt sind Kerzen, Magazine, Konfetti, Überreste der Nacht. Bei der ersten Präsentation im Gallery House in London lud Chaimowicz das Publikum zu einem Kaffee in die Installation ein, er selbst schlief sogar nachts darin. Die Arbeit passte perfekt in die frühen 70er, wenn man dabei an den Glam von Musikern wie David Bowie oder Brian Ferry dachte. Fern lagen ihm dagegen die eher wenig sinnlichen Richtungen wie die Konzeptkunst oder Minimal Art, die die Dekade in der Kunst bestimmten.
Nach der Studentenrevolte verbrannte er all seine Bilder
Geboren wurde Chaimowicz 1946 in Paris, sein Vater ein polnischer Jude, die Mutter eine französische Katholikin. Im Alter von acht Jahren zog er mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern nach Großbritannien. Mit 16 besuchte er das Ealing Art College, bevor er die Camberwell School of Art besuchte. Danach absolvierte er ein Malereistudium an der berühmten Slade School of Fine Art – doch nachdem er 1968 an den Studentenprotesten in Paris teilgenommen hatte, verbrannte er all seine Bilder.
Schon während seines Studiums faszinierte Chaimowicz der französische Postimpressionismus, vor allem wegen der Verwendung eleganter, weicher Farben bei Malern wie Édouard Vuillard und Pierre Bonnard. Später arbeitete er eine Zeit lang auch in einem Lyoner Stoffatelier, was sein Interesse für die dekorativen Künste weckte.
Chaimowicz war zeitlebens ein Solitär, intensiv verehrt von Wenigen, doch dem größeren Publikum unbekannt und an Markterfolgen schon mal gar nicht interessiert. So wenig er Kunst für die Museen konzipierte, so sehr schien er in seiner Kunst zu leben – ein Reporter der "New York Times" durfte ihn einmal in seiner Londoner Wohnung besuchen, einer mit Kunstwerken, Flohmarkfunden, Nippes und Antiquitäten möblierten Wunderkammer-Fantasie.
Neues Millenium, neues Interesse
Mit Beginn des neuen Milleniums erfuhr Chaimowicz Werk dann ein verstärktes Interesse, stellte im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich, im Jewish Museum in New York und in den Serpentine Galleries in London aus. Dessen Leiter, der Kurator Hans Ulrich Obrist sagte einmal, Chaimowicz sei "ein hochrelevanter Künstler im Zeitalter des Internets geworden, in dem die Grenzen durchlässiger werden".
Das betrifft die Grenzen zwischen Gattungen, aber auch zwischen den Geschlechterrollen: Chaimowicz war nicht nur von traditionell weiblich-konnotiertem Kunsthandwerk, von Tapeten, Vorhängen, Teppichen fasziniert, sondern er erwies immer wieder auch schwule Künstlern seinen Reverenz. Dem französischen Dichter, Dramatiker, Librettisten, Romancier, Künstler und Filmemacher Jean Cocteau Marc etwa richtete er in einer Ausstellung in der Norwich Gallery ein Fantasiestudio mit Schlafzimmer ein.
Er wolle "eine geheime Weiblichkeit im männlichsten aller Männer entdecken", sagte Marc Camille Chaimowicz. Am vergangenen Dienstag ist dieser Künstler, der im Oberflächlichen die schönsten Tiefen erkannte, im Alter von 77 Jahren gestorben.