Wenn Sie es bis jetzt geschafft haben, einen großen Bogen um TikTok zu machen, einfach weitermachen wie bisher. TikTok hat nämlich aktuell zwei große Probleme, was die App zu keinem Problem mehr für alle macht, die bisher Sorge hatten, das nächste große Dinge zu verpassen. Instagram, oder besser gesagt Facebook, ist vorgegangen wie immer, wenn die Konkurrenz nicht aufgekauft wird: Das Feature der Konkurrenz wurde kopiert. Jetzt gibt es also eine neue Video-Funktion namens Reels auf Instagram, was bisher dazu geführt hat, dass schöne Bewegtbilder (Landschaften) mit Musik unterlegt wurden und Leute mehr tanzen. Und jetzt weiß ich auch nicht, was das größere Problem ist: Dass man jetzt auch Leuten auf Instagram beim Tanzen zuschauen muss, die man eigentlich nicht tanzen sehen möchte. Oder dass TikTok ein massives Problem mit dem Datenschutz hat, und man die App deshalb sofort vom Smartphone löschen sollte. TikTok greift nämlich alle paar Sekunden auf den Inhalt der Zwischenablage zu. Ein App-Update sei bereits in Arbeit, aber das hatte TikTok in der Vergangenheit schon einmal gesagt.
Wie auch immer es mit TikTok weitergehen mag, das neue Feature auf Instagram könnte das soziale Netzwerk verändern. Wie zuletzt die Stories, eine Snapchat-Kopie. Oder es könnte dazu führen, dass mehr Museen, Galerien und Akteure aus dem Kunstbetrieb auf TikTok aktiv werden, weil die Inhalte ja eh produziert werden. Bisher war es so, dass Videos von TikTok auch auf Instagram geteilt wurden. Bill Kaulitz beispielsweise, der Sänger von Tokio Hotel, ist so vorgegangen. Dass Musiker tanzen, okay, das ist schließlich Teil des Jobs. Mir fällt aber kein plausibler Grund ein, warum Simon de Pury, Kunstauktionär und Sammler, unbeholfen vor der Kamera herumwackeln müsste. Gut, es menschelt und es ist irgendwie authentisch, aber aus professioneller Sicht, why? Mitte Mai, also mitten im Lockdown, meldete er auf Instagram, dass seine 9-jährige Tochter ihm TikTok erklärt habe. Dort konnte man den beiden beim Tanzen zuschauen, nach vier Videos war Schluss. Vielleicht hat ihm seine Tochter mitgeteilt, dass er doch nicht der talentierteste Tänzer ist.
Was ist sonst so los auf TikTok mit Blick auf den Kunstbetrieb? Bisher nicht viel. Wenn ich einen neuen Account entdecke, von einem Museum oder von einem Künstler etwa, und begeistert klicke, erscheint meist: "No content. This user has not published any videos." @moca: nichts. @themetmuseum: nichts. @serpentinegallery: nichts. Am konzeptuell stärksten ist bisher Hans Ulrich Obrist unterwegs. Aber auch sein Konzept zeigt: ernsthafte Kunstvermittlung, ade! Der Starkurator also läuft im Park Tieren hinterher und stellt ihnen seine wohl bekannteste Frage. "Can you tell me about your unrealised project?" Die Antwort: Schweigen oder Flucht. Eine Gans hat sich bisher an einer Antwort versucht. Was sie gesagt hat? Das müssten Sie bitte die Gans fragen.
Brachiale Kritik an Online-Präsenz
Vor wenigen Tagen hat die "New York Times" über Museen auf TikTok berichtet. Die Überschrift: "As Museums Get on TikTok, the Uffizi Is an Unlikely Class Clown". Und das ist auch der Grund, warum Museen bisher auf TikTok eher zurückhaltend sind. Auf TikTok gewinnt der Klassenclown. Und das war bisher keine Qualität mit der man sich hervortun musste, um als Kultureinrichtung oder Künstler*in irgendwo erfolgreich zu sein. Wenn wir uns an die Reaktionen auf die neuen Aktivitäten im Digitalen von Museen und Galerien während des Lockdowns erinnern, war die Kritik bisweilen harsch."Verzweifelt, unausgegoren und sinnlos", lautet die Überschrift zur Brachialkritik von Jörg Heiser. Von sinnlosem Quatsch, der in Livestreams rausgesülzt werden würde, war die Rede. Von Verzweiflungstaten. Von Unausgegorenem. "Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist", sagte Heiser.
Man darf eins nicht vergessen, wenn man sich mit Kunstvermittlung im Digitalen befasst. Die Zielgruppe sind nicht die Kollegen und Kolleginnen, die im Zweifel lieber einen wissenschaftlichen Aufsatz oder eine Kunstkritik lesen. Das gilt besonders für TikTok. Die Nutzer und Nutzerinnen sind sehr jung, sie tanzen und singen, allein und zusammen. Was also machen die Uffizien, das sie so erfolgreich macht? Sie lassen Skulpturen und Gemälde singen und tanzen. Jetzt könnte man natürlich wieder sagen, das sei anbiedernd und eine Verzweiflungstat. Oder man kann es als das sehen, was es ist. Kunstvermittlung für ein Publikum, das sonst eher nicht ins Museum geht und so einen ersten Zugang zu Kunst und Kultur findet. Alex Marshall schreibt in der New York Times: "Der ehrfurchtslose Clip ist einer von zahlreichen Videos auf dem Uffizien-TikTok-Account, der sich über die eigene Sammlung an Meisterwerken lustig macht, während das Museum versucht, sein Image von einem verstaubten Zuhause für Renaissance-Kunst zu einem Ort, den italienische Teenager erkunden wollen, zu wandeln." Und dann lernen Teenager beispielsweise, dass es in der Kunst auch um Dinge geht, die sie tagtäglich beschäftigen. Um Schönheitsideale und Selbstdarstellung etwa.
Das Schwierigste an der Content-Produktion für TikTok ist, das sagte auch die zuständige Mitarbeiterin der Uffizien im Interview mit der "New York Times", den richtigen Ton zu treffen. Sie und ihre Kollegen und Kolleginnen haben jüngere Familienmitglieder und die eigenen Kinder um Rat gefragt und um Hilfe mit Photoshop gebeten. Man muss also erst einmal sehr viel verlernen und neu lernen und die um Rat fragen, denen man sonst eigentlich selbst etwas beibringt.
Zeit für mehr Kunst-Challenges
Das große Ding auf TikTok sind Challenges. Aktuell allerdings geht eine Challenge durch die Medien, die dumm und gefährlich ist. Unter dem Hashtag #scaringcowchallenge werden, genau, das sagt ja auch das Hashtag, Kühe erschreckt. Menschen klettern also über Zäune auf Weiden, bauen sich auf und rennen auf die Kühe zu. Im besten Fall ergreifen die Kühe die Flucht. Auf TikTok läuft dazu der Song "Kulikitaka" des karibischen Sängers Toño Rosario. Landwirte sind not amused und warnen davor, dass die Tiere auch anders reagieren könnten. Diese Stärke der Plattform allerdings könnten sich Museen zu nutzen machen, sprich den Effekt, dass Menschen etwas sehen und partizipieren möchten. Im April gab es auf Twitter eine Challenge, an der sich Museen aus der ganzen Welt beteiligt hatten. Unter dem Hashtag #creepiestobject wurden die gruseligsten Objekte aus der eigenen Sammlung gezeigt. Auf Instagram ging die Challenge #tussenkunstenquarantaine während des Lockdowns durch die Decke, nachdem Institutionen wie das Getty das Hashtagprojekt des Accounts @tussenkunstenquarantaine aufgegriffen hatten. Die Aufgabe: Ein bekanntes Kunstwerk auswählen. Drei Gegenstände aus dem Haushalt zusammensuchen. Das Kunstwerk nachstellen.
Das ließe sich sicherlich auch auf TikTok übertragen, nur müssten Museen dafür erst einmal selbst aktiv werden und nicht nur auf TikTok-Trends reagieren, die natürlich nicht für den Kulturbereich gedacht sind. Auf Twitter und Instagram klappt das mittlerweile alles recht gut. Und vielleicht sind Museen ja dieses Mal schneller, weil man mittlerweile weiß, dass es wenig bringt, Jahre abzuwarten und sich zu fragen, ob das alles wieder weggeht. Und selbst wenn TikTok an Popularität verlieren sollte, auf Instagram ist das neue Feature. Bleibt nur zu hoffen, dass jetzt nicht die Direktoren und Direktorinnen anfangen zu tanzen, nur weil das mit den Livestreams gut klappt.