"Er ist blond, hat ein perfektes Profil und graue Augen", sagt der Regisseur zur versammelten Presse, "sehen Sie, er hat diese grauen Augen, die Farbe des Wassers, wie Thomas Mann schrieb". Luchino Visconti, italienischer Adelssprössling, offen homosexuell und bis 1971 berühmt für Filme wie "Rocco und seine Brüder" oder "Die Verdammten", konnte sein Entdeckerglück nicht fassen.
Das Objekt seiner Begierde lächelte scheu, sichtlich erstaunt über den Rummel, den seine ätherisch-androgyne Erscheinung hervorrief. "Kalt wie eine Statue" müsse er als Tadzio in der Verfilmung der Mann-Novelle "Der Tod in Venedig" sein, meinte Visconti während der Dreharbeiten, es dürfe "nicht ins Sexuelle" umkippen. Die Regieanweisungen waren beinahe minimalistisch: gehen, stehenbleiben, lächeln.
Dass man jetzt die Szenen zu sehen bekommt, verdient sich der Archivsuche von Kristina Lindström und Kristian Petri. Das Duo hat für seinen Film "The Most Beautiful Boy in the World" nicht nur selten gesehene Film-Dokumente aufgespürt, die während der Dreharbeiten zu "Der Tod in Venedig" entstanden sind, sondern auch den Björn Andrésen der Gegenwart nach seiner Sicht auf den plötzlichen Ruhm als Jugendlicher befragt. Umgibt seine Bilder von damals noch eine zarte Melancholie, versinkt der dürre Alt-Hippie mit den langen, grauen Haaren in seiner winzigen Stockholmer Wohnung in Müll und einer Wolke aus Trauer und dem verhängnisvollen Gefühl, immer noch auf eine Erlösung zu warten.
Unheilvolle Aura
Der Film lässt sich von dieser unheilvollen Aura geradezu anstecken und verstärkt sie durch sphärische Elektro-Musik. Er fragt danach, wie eine Rolle das Leben eines zarten Teenagers verändern kann, wie sie im Fall von Andrésen alle anderen Optionen zerstört hat. War Missbrauch im Spiel? Seine Freundin Jessica, die den Rauswurf aus der unbezahlten Wohnung verhindert, deutet es an.
Visconti habe den ahnungslosen Vollwaisen, für den die Allgegenwart der Journalisten bereits ein "Albtraum" war, nach der Premierenfeier von "Der Tod in Venedig" in einen Schwulenclub mitgenommen. Hier war seine Schönheit keine überhöhte ästhetische Kategorie mehr, sondern lediglich eine Einladung zu sexuellen Übergriffen, die das überrumpelte Freiwild mit Unmengen an Alkohol zu betäuben versuchte.
Sein heutiges Greisengesicht, in dem immer noch die Augen hochsensibel leuchten, ist von diesem Drang nach drogenumnebeltem Vergessen geprägt. Wenn er sich Fotos als junger Vater einer Tochter anschaut, fällt ihm dazu nur der plötzliche Kindstod des danach geborenen Sohns ein, ein Unglück, dass er mitverschuldet hat, weil er betrunken die Gefahr nicht erkannte. Da half es auch nicht, dass die Karriere des "Verdammten" eine Zeit lang eine Fortsetzung fand.
Der temporär Auserwählte
In Paris hielten ihn ältere Männer aus, um sich mit dem "schönsten Jungen der Welt" schmücken zu können. In Japan sang er Popsongs und trällerte auf Japanisch "Ich bin für die Liebe geboren". Das Jugend-Idol schaffte es als Inspirationsquelle gar in die Manga-Szene, weswegen bis heute immer wieder Figuren auftauchen, die seine Züge tragen. "Beruflich lief es gut", stellt Andrésen leise fest, "aber es half mir nicht".
Vielleicht, weil der große Meister Visconti trotz großen Erfolgs des Films den temporären Auserwählten genauso schnell fallen ließ wie er ihn zuvor zu hofieren wusste? Weil er mit 16 Jahren schon "sehr alt" war, wie er auf der Pressekonferenz in Cannes, auf der er Andrésen wie sein persönliches Kunstwerk präsentierte, zu Protokoll gab. Nicht mehr so schön wie während der Dreharbeiten als 15-Jähriger.
Die kindliche Muse hatte ausgedient und wurde sich selbst überlassen. Dabei hätte man eigentlich wissen müssen, dass die Ausbeutung Folgen haben würde. Andrésen war bereits vor seiner "Entdeckung" traumatisiert. Seine Mutter verschwand und wurde erst nach einem Jahr tot im Wald gefunden. Seine Verwandtschaft schwieg fortan über den Selbstmord und das Drama einer Frau, die Gedichte schrieb und künstlerische Ambitionen hegte.
Die Großmutter, die sich um ihn kümmerte, erkannte offenbar das pekuniäre Potenzial und schickte ihn zu Castings. "Sie wollte, dass ich berühmt werde. Das Einzige, was ich wollte, war Musik machen", sagt Andrésen heute inmitten von Gitarren und Büchern in seiner Wohnung. Darunter auch eine Aufnahme, auf der er als Jugendlicher Chopin hoch talentiert auf dem Klavier spielte. 2019 kehrte er doch noch auf die Leinwand zurück. Ausgerechnet in einem Horrorfilm. In Ari Asters "Midsommer" übernahm er eine kleine Rolle. Am Ende sieht man ihn im einst mondänen Hotel des Bains am Lido, wo "Der Tod in Venedig" gedreht wurde. Der Glanz ist längst vergangen. Es steht seit Jahren leer. Andrésen irrt hier umher wie ein Gespenst, auf der Suche nach dem Leben, das er hätte haben können, wenn er nicht als Tadzio gecastet worden wäre.