Moreno Schweikle, Sie arbeiten zwischen Bildender Kunst und Design. Es gibt viele, vor allem junge Künstlerinnen und Künstler, die Schwierigkeiten damit haben, sich vom Designfeld abzugrenzen, da bildende Kunst häufig als "höherwertiger" gilt. Inwiefern trennen Sie die beiden Bereiche?
Meine Skulpturen und Installationen basieren oft auf Gebrauchsgegenständen, zitieren also Design. Für mich sind diese Alltagsgegenstände mehr ein Ausgangspunkt und dienen als Vehikel, um Nahbarkeit für die Betrachter:innen aufzubauen. Mich interessiert, wie sich durch das Hinzugeben und Entziehen gewisser Eigenschaften wie zum Beispiel "Funktion" die Wahrnehmung verändert. In meiner Praxis spielt die Fluktuation des Status' von Objekten eine zentrale Rolle.
Wie?
Außerhalb ihrer ursprünglichen Nutzung können eigentlich funktionale Objekte mit der Zeit zu Artefakten und im musealen Kontext später zu Kunstwerken werden. Durch Galerien bekommt ein Kunstwerk zeitweise produkthafte Attribute, bis es im Wohnraum schließlich sehr persönliche Qualitäten erfüllt. Mich fasziniert diese kontinuierliche Transformation. In meinem künstlerischen Prozess denke ich nicht über die Trennung der Bereiche nach, sondern suche nach Objekten, die für mich größere Zusammenhänge repräsentieren. Bei der Planung meiner "Spring Coolers" war ein Ausgangspunkt der Überlegungen, dass normale Wasserspender, wie man sie oft in Büros und semi-öffentlichen Räumen findet, auf historische Trinkbrunnen und deren soziale Relevanz zurückzuführen sind. Obwohl diese Brunnen einen funktionalen Wert hatten, waren sie gleichzeitig hochkontemplativ. Diese Vielschichtigkeit oder Ambiguität versuche ich in meiner Arbeit darzustellen.
Dann gibt es auch das Vorurteil, vor allem aus der Perspektive der Kunst, dass Design eher als zweitrangig eingeordnet wird ...
Es gibt die Theorie, dass diese Rangfolge auf eine Art Sinneshierarchie zurückzuführen ist, welche das Sehen und Hören als "höhere Sinne" über das Riechen, Schmecken und Tasten stellt. Das Aufbrechen dieser Sehgewohnheiten sehe ich mehr als skulpturale Geste, um die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen auf das eigentliche Thema einer Skulptur oder Installation zu lenken. In meiner Ausstellung "Gripper 1/Gripper 2" in dem Kölner Ausstellungsraum B_P_A_ habe ich zum Beispiel eine Lehmbank an der kompletten Rückwand der Ausstellungsfläche entlang gebaut. Diese Sitzfläche hilft mir, die Blickachse der Besuchenden zu kontrollieren und mit der Haptik des Lehms eine Assoziationskette anzuregen. Durch das Integrieren von Benutzbarkeit versuche ich nicht, Kunst und Design komplett zu verschmelzen, sondern bediene mich einzelner Methodiken.
Wie funktioniert das in Ihrer Arbeit?
Ich denke, kreative Disziplinen haben sich schon immer auf gewisse Weise beeinflusst, und natürlich entwickeln sich die Begriffe und deren Bedeutung ständig weiter und müssen neu definiert werden. Ich verstehe das als einen dynamischen Prozess. Im Gegensatz zu einer Hierarchie stehen für mich diese Bereiche in Wechselwirkung zueinander. Das gilt auch für andere kreative Disziplinen wie Architektur, Musik und Mode. Besonders Design als Beschreibung wird inflationär benutzt und oft mit Styling verwechselt. Die niederländische Übersetzung für Design ist "Vormgeving" also Formgebung. So über die verschiedenen Disziplinen nachzudenken, ist für mich viel produktiver, als sie durch Abgrenzung definieren zu wollen.
Diese Abwertung von Design liegt vielleicht auch daran, dass Designobjekte eher als dekorative Produkte gelten, mit einem weniger hohen kulturellem Stellenwert. Und sie sind viel offensichtlicher kommerziell. Ihre Wasserbunnen-Arbeiten haben Sie aber auch nicht in einem klassischen Kunstkontext, sondern in Balenciaga-Stores gezeigt. Wie kam es zu dieser Kollaboration?
Die "Spring Coolers" existierten schon, bevor ich die Anfrage zu der Kollaboration bekam. Balenciaga hat mir in der Zusammenarbeit maximalen Freiraum gegeben, und ich konnte Skulpturen entwickeln, die ich genauso auch für jeden anderen Kontext entworfen hätte. An der Kollaboration hat gut funktioniert, dass es eine interessante Spannung zwischen einem Unikat, also dem Kunstwerk, und der Kleidung im Geschäft gab. Die Stores von Balenciaga beruhen sehr auf der Abwesenheit von Natur, und meine Brunnen, die fließendes Wasser beinhalten, funktionieren wie kleine Oasen. Diese Gegenüberstellung hat mich gereizt. Zudem interessiert mich, wie der Kontext eines Werkes seine Rezeption beeinflusst, natürlich besteht bei einer kommerziellen Fläche auch die Gefahr, dass das Kunstwerk als Dekoration wahrgenommen wird. In diesem speziellen Fall hat die Rückführung des Wasserspenders als Skulptur in den kommerziellen Raum thematisch Sinn ergeben, und schien fast wie eine weiterführende Referenz.
Dass es ein Kunstwerk entwerten kann, wenn es in einem so offensichtlich kommerziellen Kontext gezeigt wird, ist ein legitimer Punkt, vor allem wenn es kein Kunstkontext ist. Aber genauso ist ja im Endeffekt auch eine Galerie ein Store, oder Kunstmessen ...
Wenn kommerzielle Projekte so angelegt sind, dass die Künstler:innen frei arbeiten können, finde ich das auch vollkommen ok. Für mich sind solche kommerziellen Projekte auch eine Chance, den ökonomischen Freiraum für neue Arbeiten zu haben. Generell sehe ich ein großes Potenzial in der Zusammenarbeit von Künstler:innen und Plattformen, die außerhalb der Kunstwelt agieren. Die Artist Placement Group aus den 1960ern ist dafür eine sehr spannende Referenz für mich. Diese britische Künstlerinitiative verfolgte den Ansatz, Künstler:innen für eine begrenzte Zeit in Unternehmen oder staatlichen Organisationen zu integrieren. Ihr Ziel war es, den Nutzen künstlerischer Praxis für Organisationen und Unternehmen zu vermitteln - auch wenn deren Wert nicht direkt quantifizierbar oder vorhersehbar ist.
Diese ökonomische Freiheit, die einem diese Projekte geben, ermöglichen ja auch vor allem jungen Künstlerinnen und Künstlern, Projekten nachzugehen, für die sie ansonsten kein Budget hätten. Außerdem können sie auch finanziell für einen gewissen Zeitraum abgesichern. Selbst, wenn man eine Galerie hat, bezahlt diese ja nicht für alle Projekte.
Genau, ich empfinde es als besondere Möglichkeit, dass man als Künstler verschiedene Kanäle für seine Arbeit findet. Da ich noch nicht fest mit einer Galerie zusammenarbeite, haben kommerzielle Projekte mir in diesem Punkt sehr geholfen. Das Phänomen von Auftragsarbeit klingt manchmal wie eine neuartige Entwicklung, hat aber eine lange Tradition. Wenn man so will, sind viele wichtige Werke der Kunstgeschichte Auftragsarbeiten. Auch zeitgenössische Künstler:innen, die institutionell sehr präsent sind und die ich interessant finde, haben kommerzielle Projekte gemacht. Ich denke da an Rosemarie Trockel, Dominique Gonzales-Foerster oder Salvador Dalí.
Es geht wohl auch darum, dass man eine Balance findet zwischen Kommerz und Kunst. Arbeiten, die in einem Ausstellungsraum stattfinden, müssen ja auch nicht so extrem kommerziell aussehen wie Werke, die beispielsweise auf einer Messe gezeigt werden. Und dann gibt es natürlich auch Extrembeispiele wie Jeff Koons oder Damien Hirst, wo alles eher flach wirkt.
Ohne diese Balance wäre meine Arbeit gar nicht möglich. Ich entwickele zunehmend Interesse daran, mich mit räumlichen Gegebenheiten zu beschäftigen und nicht ausschließlich mit "autonomen" Objekten. Meine letzte Soloausstellung bei B_P_A_ ist ein gutes Beispiel für diesen Ansatz. Solche freien, nicht-kommerziellen Projekte sind wesentlich für meinen Arbeitsprozess. Ich bin kein Auftragskünstler, aber gewisse Arbeiten können der Anstoß für Projekte sein, in denen das Kunstwerk seinen Kontext ändert. Für mich ist eine Kollaboration nur dann interessant, wenn eine Synergie zwischen den beiden Parteien entsteht. Andernfalls könnte man primär monetäre Interessen oder das reine Streben nach Reichweite unterstellen.