Unter dem Pseudonym Maison Hefner hat sich der Berliner Künstler Monty Richthofen online eine Art Fanbase aufgebaut. Dort ist er vor allem für Tattoos bekannt, die er in krakeliger Schrift mal klein, mal großflächig auf fremde Körper tätowiert. Es wäre aber zu kurz gegriffen, seine Arbeit auf unkonventionelle Körperkunst zu reduzieren. Denn sein Schaffen besteht in seiner Essenz aus Texten - den eigentlichen Kern findet man jedoch zwischen den Zeilen.
Mit Slogans, die in ihrer Prägnanz oft selbst ein Posting auf X (ehemals Twitter) langatmig erscheinen lassen, rückt der 1995 geborene Künstler den Fokus auf die Ängste, Wünsche und Sentimente seiner Generation und legt diese schonungslos offen. In Sprüchen wie "Better Days 2 Cum", "I can break my heart by myself" und "Everything is free if you steal it" präsentiert Richthofen Wortkonstellationen, die sich zwischen einem intimen Tagebucheintrag und einer rebellischen Sprayer-Parole bewegen. Durch die schonungslose Ehrlichkeit sind sie dabei aber vor allem eines: relatable.
Seine Schriftzüge präsentiert Richthofen in Form von Graffiti im öffentlichen Raum, als großflächige Leuchtboxen und Post-It-ähnliche Notizen im Galerie-Setting oder als Tattoos auf seinem Instagram-Account. Von festen Regeln und Abläufen hält er dabei nicht viel. "Der Ausgangspunkt meiner Arbeit sind immer Texte. Sie geben mir eine Struktur, aus der ich ausbrechen kann", erzählt der Künstler im Interview.
"Die Grenzen sollen durchaus verschwimmen"
Auf die Frage, ob seine Arbeit autobiografisch sei, antwortet er: "Ich betrachte meine Texte gerne wie Fotografien, als Momentaufnahmen. Sie könnten ein Selbstporträt sein, aber ebenso gut ein Bild von meinem Gegenüber oder einer bestimmten Situation. Mir ist wichtig, dass sie sowohl mein Leben als auch eine Beobachtung, einen Gedanken oder ein Gefühl beschreiben können. Die Grenzen sollen dabei durchaus verschwimmen."
Auch Richthofens Buchstaben laufen in seinen Kreationen ineinander. Sie sind teils schwer leserlich, mit einer zittrigen Kinderhandschrift verfasst, durchgestrichen oder übermalt. Man muss als Publikum schon das ein oder andere Mal den Kopf neigen, um den Inhalt zu erfassen - eine Anstrengung, die jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt wird. "Das Übermalen und Unleserlichmachen ist auch ein Akt der eigenen Sicherheitsrückgewinnung", erklärt Richthofen. "Die Worte nehmen dann eine Form an. Es geht nicht darum, was man lesen kann, sondern darum, was vorhanden ist. Man muss nicht immer die erste Schicht verstehen, sondern auch das, was darunter liegt, um das Gesamtbild zu erkennen. Es muss immer etwas bleiben, das man nicht ganz greifen kann."
Dass sich Richthofen durch die offene und unzensierte Darlegung seiner Gedanken und Beobachtungen verletzlich macht, ist eine bewusste Entscheidung des Künstlers, der am Central Saint Martins College in London Performance studiert hat. Vertrauen und Fragilität betont vor allem durch seine Tattoo-Aktionen. Während seines Projekts "My Words, Your Body", das zwischen 2017 und 2019 lief, führte er ausführliche Gespräche mit Menschen, die ein Tattoo von ihm wollten. In möglichst kurzer Zeit sollten sie sich ihm so gut es geht öffnen. Basierend auf diesen Unterhaltungen verfasste er dann einen Text, den er der Person tätowierte, ohne dass diese den genauen Wortlaut und Inhalt kannte.
Gemeinsam etwas Unumkehrbares schaffen
"Tätowieren ist ein Akt, bei dem Menschen, die sich oft zuvor nicht kannten, gemeinsam etwas Unumkehrbares schaffen. Es entsteht eine Verbindung zwischen Tätowierenden und Tätowierten, die auf einem sensiblen Umgang und gegenseitigem Respekt basiert. Diese zwischenmenschliche Dynamik und Achtsamkeit können meiner Meinung nach auf verschiedene Alltagssituationen übertragen werden und sind entscheidend für die Entwicklung unserer Gesellschaft."
Tattoos sind in der Geschichte der Performancekunst immer wieder Ausdrucksmittel gewesen. Ein Beispiel dafür ist Santiago Serras Aktion "160cm Tattooed on 4 People" aus dem Jahr 2000, bei der der Künstler drogenabhängigen Sexarbeiterinnen eine gerade Linie auf den Rücken tätowieren ließ. Den Preis, den er den Frauen dafür bezahlte, entsprach dem Straßenpreis einer Dosis Heroin. Sierra begründete seine Arbeit damit, dass das eigentliche Problem nicht das Tattoo selbst sei, sondern die sozialen Bedingungen, die es ihm ermöglichen, solche Arbeiten zu schaffen.
Die afroamerikanische Künstlerin Doreen Garner erforscht in ihren Tattoo-Sessions die Prinzipien von Macht- und Unterwerfungsmechanismen. Im Jahr 2019 führte sie gemeinsam mit Anderson Luna und Tamara Santibañez eine Performance auf, bei der sie schwarze Personen aus dem Publikum bat, drei von sechs zuvor bestimmten weißen Männern auszuwählen, die sie anschließend mit Wasser tätowieren würde. Die Tattoos, die lediglich in einer Entzündung enden würden, bedienten sich Symbolen des Kolonislismus und des Dreieckshandels zwischen Europa, Afrika und Amerika im 18. und 19. Jahrhundert. Diese Arbeit ist eine von vielen, in denen die Künstlerin Themen wie Rassismus und die Geschichte der Sklaverei bearbeitet.
Dem Verschwinden geweiht
In ihrem Artikel "Tattoo: The State Of The Art”, veröffentlicht 1981 in "Artforum", zieht Marcia Tucker, Kunsthistorikerin und ehemalige Direktion des Whitney Museums in New York, Parallelen zwischen Performancekunst und Tätowierungen. Neben dem eigentlichen, in sich schon performativen Akt des Stechens weist sie besonders auf die zeitliche Begrenzung hin, die sowohl künstlerische Performances als auch die Lebensdauer von Tattoos umschließt.
Obwohl letztere oft mit Permanenz assoziiert werden, sind sie doch eigentlich bereits in dem Moment, in dem sie auf, beziehungsweise unter die Haut gebracht werden, dem Verschwinden geweiht. Abgesehen von einigen Ausnahmen, wie dem österreichischen Künstler Flatz, der gerade seine Haut inklusive Tattoos an einen Sammler verkauft hat, sind die Bilder in ihrer Originalform spätestens mit dem Tod ihrer Trägerinnen oder Träger nicht mehr sichtbar. Eine Vergänglichkeit, die auch in der Natur der Performancekunst liegt.
Das Thema Zeit griff Monty Richthofen auch in seinem Projekt "The Cards You Were Dealt" vergangenen Winter in der Berliner Galerie Dittrich & Schlechtriem auf. Bei der Performance wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Freiwillige von Richthofen tätowiert. Alle Teilnehmerinnen bekamen drei Texte vorgelegt, aus denen sie einen als Motiv für sich selbst aussuchen können. Im Anschluss bestimmten sie drei weitere Slogans zur Auswahl für die nachfolgende Person.
Tiefer als eine Tattoonadel
Alle Worte wurden neben den Tattoos auch auf einer gemeinsamen Leinwand festgehalten. So entstand ein "Cadavre Exquis", eine zusammenhängende Textarbeit, die auf Basis vieler individueller Entscheidungen erschaffen wird.
Neben dem Aspekt des Vertrauens und der Entscheidungsfreiheit thematisiert Richthofen durch die Arbeit grundsätzliche Fragen. Dabei will er auch reflektieren, wie unsere Taten von heute die Welt von morgen beeinflussen. Welche Folgen hat unser Handeln für unsere Mitmenschen? Wie wirken sich unsere Entscheidungen auf nachfolgende Generationen aus? Wie verändern individuelle Beschlüsse das große Ganze? Es sind Themen, die weit tiefer reichen als eine Tattoonadel in die Haut.