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"I do you" steht in riesigen Lettern auf einer Wand, die den Durchblick zur Fassade der Neuen Nationalgalerie versperrt. Wer tut hier wem etwas an? Oder wer tut wem gut? Wer hat die Macht, wer ist Subjekt, wer Objekt? Schon ist man mittendrin in der Kunst von Monica Bonvicini.
Auf der Rückseite, innerhalb des Glaskastens, liest man das Wort "Desire" aus großen, verspiegelten Buchstaben. Wer zu diesem Begehren vordringt, muss an glänzenden Ketten vorbei, halb Schmuckstück, halb Bondage-Instrument, an denen Handschellen hängen.
Besucherinnen und Besucher können sich hier mindestens eine halbe Stunde anketten lassen und die Erfahrung des sanften Ausgeliefertseins machen. Man kann sich auch in Hängematten aus Stahlketten legen, am besten zu zweit, und rasselnd hin und her schwingen. Doch zunächst einmal begegnet man sich selbst. Denn das erste, auf das man in Monica Bonvicinis spektakulärer Installation in der Neuen Nationalgalerie zuläuft, ist eine riesige Spiegelwand, die die modernistische Konstruktion vervielfältigt und einen vor die Frage stellt, welchen Ort man selbst in dieser Struktur eigentlich hat.
Gleichzeitig dreist und respektvoll
Die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe ist seit der atemberaubenden Renovierung durch das Büro Chipperfield Architects mehr denn je eine Ikone. Monica Bonvicini hat es fertig gebracht, dieses architektonische Kunstwerk in eine eigene Skulptur zu verwandeln.
Ursprünglich hätte die Ausstellung eine Retrospektive werden sollen, aber die hat die Künstlerin kurzerhand ausgelagert und zum Sound Piece gemacht: Wer von außen um die Neue Nationalgalerie herumspaziert, hört eine Stimme die Ausstellungstitel und Werktitel von Bonvicini aufzählen. Warum sollte man auch Bekanntes wiederholen, wenn es hier die Chance gibt, etwas zu tun, was Bonvicini in ihrer Kunst immer schon versucht hat: den Modernismus von der Seite anzugraben und mit Witz und Kraft zu bezwingen.
Vor mehr als 25 Jahren gab sie mit ihrem Video "Wallfuckin" (1995/1996) die Richtung vor: Ein nackter Frauenkörper reibt sich an einer Zimmerecke und setzt den harten Kanten der Architektur die weibliche Potenz entgegen. Bonvicinis Haupteingriff in die Neue Nationalgalerie ist nun gleichzeitig dreist und respektvoll.
Ausstellungsraum als Abhängecke
Ein großes Podest zieht dem Kubus eine zweite Ebene ein und verändert den Raum fundamental. Von hinten ist es teilweise mit den blinden Fenstern des Gebäudes verkleidet, die man bei der Renovierung ausgewechselt hat – so kratzt die Installation die Vergangenheit des Gebäudes hervor. Klettert man über die verschiedenen Treppen hinauf, die selbst wie raue Schmuckstücke aussehen, landet man auf einem Teppich, der Fotos von heruntergelassenen Männerhosen zeigt. Faltige Jeans als Zeichen für Sex, Verletzlichkeit, vielleicht auch verlorene Macht.
Hier oben, wo auch die Hängematten klirren, wird der kühle Ausstellungsraum zum entspannten Ort zum Abhängen. Und man hat den perfekten Ausblick auf die Werke und Installationen, die sonst noch im Raum verteilt sind – die hängenden Neonskulpturen, die glänzenden Bälle aus Uhren, und die "2 Tonnen Alte Nationalgalerie": einen Haufen Schutt, den Bonvicini 1998 von der Fassade der Alten Nationalgalerie von der Baustelle gerettet hat. So lange arbeitet sie sich bereits an den gebauten Strukturen ihrer Wahlheimat ab.
Mit "I Do You" hat Monica Bonvicini nicht nur eine in jeder Hinsicht starke Ausstellung gemacht - sie hat sich auch in die Geschichte der Neuen Nationalgalerie eingeschrieben. Die Halle bespielt haben schon viele. So selbstbewusst mit ihr zu spielen, das ist neu.