Da könnte uns der Erdtrabant noch richtig nützlich werden: Zwei russische Wissenschaftler schlugen 2017 vor, Gemälde, Skulpturen oder seltene Handschriften in riesigen Tunneln unter der Mondoberfläche zu lagern. Die Kunst sei auf diese Weise sicher vor Vandalen, Bakterien, Bränden und Klimakatastrophen. Außerdem, so die Gelehrten, könnte man mithilfe von 3D-Printern exakte Kopien der wichtigsten Baudenkmäler aus Mondgestein herstellen, der Pyramiden etwa oder der damals noch nicht brandgeschädigten Notre-Dame. Ein Rettungsplan, der für die Pariser Kathedrale nun definitiv zu spät käme – würde er überhaupt realisiert. Während es um die Ideen aus Russland – der Mond als Archiv und Museum – in letzter Zeit still geworden ist, feiert die Welt die Mondlandung vor 50 Jahren. Die irdischen Museen feiern mit.
Sowohl die Jubiläumsausstellungen als auch die erreichten oder bisher noch nicht realisierten Pioniertaten zeigen, wie uns der Mond im Geschichtsverlauf immer näher gerückt ist (obwohl er sich physisch von der Erde entfernt – 3,8 Zentimeter pro Jahr). Zuerst wurde der Mond als Scheibe am Himmel wahrgenommen und diente als Projektionsfläche irdischer Zustände und Sehnsüchte. Dann wurde das Teleskop erfunden, im frühen 17. Jahrhundert erkannte der Mensch den Mond als Körper. Aus dem Zeichen wurde ein Ort. Satiriker hielten der Welt mit dem Mond als "anderer Erde" einen Zerrspiegel vor. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die literarische Science-Fiction, die den Trabanten zum Hauptreiseziel erkor. Als ersten Science-Fiction-Film warf Georges Méliès ausgerechnet "Die Reise zum Mond" (1902) auf die Leinwand, gefolgt von diversen mehr oder weniger wissenschaftlich abgesicherten Kino-Expeditionen, bis Neil Armstrong am 21. Juli 1969 dann wirklich seinen Fuß auf die Mondoberfläche setzte.
Ein Hauch des Absurden
Noch fünf weiter Apollo-Raumschiffe landeten bis Dezember 1972 auf dem Mond. Das kostspielige Nasa-Unternehmen war eine Ausgeburt des Kalten Krieges, des Wettkampfs der Systeme. Der wissenschaftliche Nutzen ist bis heute umstritten, der mediale Aufwand war gigantisch. Ein Hauch des Absurden umweht die Mondlandung. Anders als von Verschwörungstheoretikern behauptet, war Apollo 11 zwar sicherlich kein Fake. Aber man kann das Unternehmen als Kunstprojekt deuten. Insofern gehört das Ereignis mitsamt einiger Artefakte unbedingt in eine Kunstausstellung. Zwangsläufig stößt man in den großangelegten Schauen des New Yorker Metropolitan ("Apollos Muse") oder des Pariser Grand Palais ("La Lune") auch auf echte Helme, Raumanzüge, Astronautennahrung und die Dokumentarfotos der Mondlandung.
In einer von Peter Kogler geschaffenen Rauminstallation entfaltet die kommende Ausstellung "Zero Gravity" in der Münchener Eres-Stiftung die Effekte der Mondlandung auf Kunst, Architektur, Musik, Film und Design. Während sich diese Schau offenbar vom Zukunftsoptimismus und der grassierenden "Space"-Ästhetik der 60er und frühen 70er-Jahre tragen lässt, macht die "La Lune"-Ausstellung in Paris die Ernüchterung durch die wissenschaftliche Entzauberung des Mondes spürbar. Ernüchterung versus Optimismus – ein Widerspruch? Nein, die Ausstellung im Grand Palais ist historisch einfach derart weiträumig angelegt, dass der Paradigmenwechsel von der mythischen zur wissenschaftlichen Betrachtung überhaupt sichtbar wird.
Der schlechte Einfluss des Mondes auf das weibliche Geschlecht
Für das nüchtern-faktische Prinzip steht ein Beton-Boden als simulierte Mondoberfläche, in die Mircea Cantor ("The Second Step", 1977) einen Stiefelabdruck hineingesetzt hat. Über ein Jahrhundert früher erlaubt uns der Bildhauer Antonio Canova einen himmlischen Blick auf den Jüngling Endymion ("Endymion schlafend", 1819), wie ihn die in den Knaben verliebte Mondgöttin gesehen haben mag. Noch ältere Werke belegen den angeblich negativen Einfluss des Mondes auf das weibliche Geschlecht. Mit "L’Inconstance" malte Abraham Janssens 1617 das Sinnbild einer "Unbeständigen" mit lasterhaft entblößtem Busen, dazu die Attribute eines verdrießlich dreinblickenden Halbmonds und eines unkoordiniert herumkrabbelnden Hummers.
Ein Vorzug der Pariser Ausstellung ist die nicht-chronologische Ordnung. Stattdessen ist die Schau thematisch gegliedert. Ein Raum trägt die Überschrift "Der Mond ist eine Person", ein anderes Segment ist als "Einladung zur Schönheit" überschrieben. Im Schein des Mondlichts kann man die "Eagle"-Fähre und die Herren Armstrong, Aldrin und Collins ja auch wirklich mal vergessen. Wissenschaftliche Erkenntnisse löschen die älteren Bewusstseinsschichten ohnehin nicht aus.
Der Riss geht mitunter quer durch ein und dasselbe Kunstwerk. Der französische Künstler François Morellet widmet sich in der Leuchtarbeit "Lunatique neonly n°3" (1997) dem geometrischen Bild des Halbmonds und zeigt entsprechend unvollständige Neonzirkel als chaotisches Liniengewirr. Auch hier geht es um den "Charactère lunatique", den launischen Charakter, also dem inneren Kosmos des Menschen, der – wie das Weltall – noch längst nicht erschöpfend ergründet ist.