Der Kontrast könnte nicht größer sein. Bis vor kurzem bestand Sarah Reisingers Profession noch darin, sich als Mixed-Martial-Arts-Kämpferin blutüberströmt auf dem Boden zu wälzen, eingeklemmt in den Griff ihrer Gegnerin. Die Karriere ist nach einer peinlichen Niederlage vorbei, und die Wienerin landet finanziell und emotional in einem schwarzen Loch.
Aus diesem hilft ihr ein ungewöhnliches Angebot heraus: Sie soll in Jordanien drei betuchte Schwestern trainieren. Im Bewerbungsgespräch mit dem freundlichen Bruder deutet nichts darauf hin, dass die Familienverhältnisse kompliziert sein könnten. Erst vor Ort in Amman dämmert es Sarah allmählich, dass die außerhalb der Stadt gelegene Luxusvilla ein Teenager-Gefängnis ist.
Lust auf die Lektionen haben die launischen Schwestern nicht wirklich. Die Stimmung ist bleiern, Daily Soaps sind die einzige Abwechslung. Während sie selbst täglich zurück ins Hotel gefahren wird, darf das Trio das Gelände nur unter Aufsicht verlassen, wenn es in einer Mall shoppen gehen will. WLAN gibt es nicht, die Privaträume sind tabu. Trotzdem locken die Schwestern ihre zunehmend verunsicherte Trainerin dorthin. Nicht ohne Grund, denn ein viertes Mädchen wird hier scheinbar in ihrem Zimmer misshandelt und muss dringend in Sicherheit gebracht werden.
Ungleichzeitigkeit der Freiheiten
"Mond" ist nach "Sonne" der zweite Spielfilm der im Irak geborenen kurdisch-österreichischen Regisseurin Kurdwin Ayub. Sie zeichnet meisterlich den Clash der Kulturen nach, und damit auch die Ungleichzeitigkeit der geschlechtsspezifischen Freiheiten und Zwänge.
Sarah betrinkt sich jeden Abend an der Hotelbar und versucht aggressiv, den Kellner zu verführen. Weil sie nicht weiß, wie sie den Schwestern helfen soll, findet sie im Rausch allein den Weg zu einem unterirdischen Club, in dem sie sich die inneren Spannungen bis zum Zusammenbruch aus dem Leib tanzt. Während ihre Auftraggeber, denen mafiöse Geschäfte nachgesagt werden, tun und lassen können, was sie wollen, werden deren Schwestern in einer rosigen Infantilität aus Plüschtieren, Schmink-Übungen und Projektionen auf eine Heirat klein gehalten, die mehr Bewegungsraum verspricht.
Choreografin und Künstlerin Florentina Holzinger blüht in ihrer ersten Filmrolle als Arbeitsmigrantin in einer fremden Umgebung auf, auch wenn das bei ihr bedeutet, sich ganz und gar einem Wechselbad der Gefühle hinzugeben. Die Hoffnung auf einen Neuanfang wird abrupt von der Einsicht zerstört, das Werkzeug in einer Intrige zu sein. Der Aussicht auf einen privilegierten Job folgt die Ernüchterung, ein auswegloses Drama.
Klischees und Kollisionen
Komödiantisches und Thriller-Elemente wechseln sich mit Anspielungen auf das reale Schicksal von Prinzessin Latifa bint Muhammad Al Maktum an, die mit ihrer finnischen Capoeira-Lehrerin einen gescheiterten Fluchtversuch aus dem Königreich Dubai unternahm. Während die Europäerin ohne Schaden in ihre Heimat zurückkehrte, soll die Prinzessin drei Jahre in Hausarrest gefangen gehalten worden sein.
Erstaunlich ist das Erzähltempo, das Genreregeln ignoriert und sich immer wieder kunstvolle Verschnaufpausen gönnt. Sarah, im Westen das Sinnbild einer starken Frau, kann noch so ihren Körper trainieren – zu einer Actionheldin gegen eine undurchsichtige Übermacht taugt sie nicht. Was nicht heißt, dass sie an ihrem Versagen nicht leidet.
Das letzte Bild zeigt sie wieder in Jordanien. Eine Rückblende? Oder ein zweiter Befreiungsversuch? Zumindest ist dieses rätselhafte Finale eine stimmige Einladung zum dritten Teil von Ayubs "kosmischer" Trilogie über das Verhältnis von Westen und dem Nahen Osten. Er wird "Sterne" heißen und handelt von einer US-amerikanischen Journalistin, die sich 2014 in Mossul befindet, als die Terroristen des "Islamischen Staats" die Stadt einnehmen. Man darf schon gespannt sein, wie Ayub dieses wackelige Terrain mit ihrer ganz eigenen Sicht auf interkulturelle Klischees und Kollisionen meistert.