Zur Biennale-Zeit, wenn das globale Kunstvolk scharenweise anreist, verdienen nicht wenige Dienstleister ihren Lebensunterhalt mit den zusätzlichen Gästen: ob Spediteure oder Aufsichtskräfte, Restauratorinnen oder Taxi-Fahrer. Dann heißt es wieder Warten bis zum nächsten Ansturm, der die ohnehin hohen Touristenzahlen zusätzlich anschwellen lässt.
Filmemacher Andrea Segre wollte Ende Februar 2020 einen Film über die Folgen des Trubels drehen, der die Geburtsstadt seines Vaters im Ranking der "vulnerabelsten" Städte ganz oben firmieren lässt: ökologischer Kollaps, immer stärker steigendes Hochwasser, Gentrifizierung und alteingesessene Bewohner, die aus ihrer Stadt vertrieben werden. Kaum hatte Segre die ersten Impressionen eingefangen, stellte Covid-19 seinen Drehplan auf den Kopf.
Nicht nur, dass ihm im Lockdown die Bilder von monströsen Kreuzfahrtschiffen, überfüllten Vaporettos und Luxusrenovierungen abhandenkamen. Der Stillstand warf ihn auch auf die eigene Familiengeschichte zurück, getragen von leisen Aufnahmen entleerter Plätze und Kanäle, die sich die Einheimischen langsam zurückeroberten, als hätten sie eine Zeitmaschine in eine Vergangenheit betreten, in der fremde Besucher eine lediglich geduldete Minderheit ausmachten.
Ein melancholisches Kaleidoskop
Plötzlich musste der Kameramann nur noch erstaunt über die gespenstische Atmosphäre draufhalten, auf den wellenlosen Canale Grande, die versperrten Restaurant-Eingänge oder die strahlenden Gesichter der Senioren, die sich in ihre Kindheit zurückversetzt fühlten. Währenddessen vertiefte sich Segre in ein halbes Jahrhundert alte Fotografien und Super-8-Filme seines Vaters und brachte in essayistischen Kommentaren dessen Todessehnsucht in Verbindung mit dem weltvergessen dahinsiechenden alten Venedig.
Wer sich in diesem melancholischen Kaleidoskop zu verlieren weiß, kann verstehen, dass sich die letzten Bewohnerinnen und Bewohner kein Zurück zum italienischen Disneyland wünschen. Nur ist kaum anzunehmen, dass die Profiteure der kommerziellen Ausschlachtung ausgerechnet dieser poetischen Erinnerungsarbeit über unsere nicht nur pandemische Verunsicherung etwas abgewinnen könnten. Der nächste massentaugliche Ausnahmezustand kommt bestimmt. Bis dahin bleiben die warnenden Momentaufnahmen dieses filmischen Kleinods und das Flüstern der verwundeten Lagune, das endlich zu vernehmen war.