Vor ungefähr einem halben Jahr hastete ich auf dem Weg nach Hause an einem Karton mit der Aufschrift "zu verschenken" vorbei. Normalerweise liegen in deutschen Großstädten ein Pflasterstein, eine einzelne Socke, ein paar VHS-Kassetten oder ein Hundehaufen in solchen Boxen. Die Leute sind manchmal zu faul, ihren Müll zu entsorgen. Dann tut es eben ein kleiner Zettel mit einem :-) und der Aufforderung, dass man sich doch bitte bedienen könne.
Ich hatte diesmal aus dem Augenwinkel aber gesehen, dass ich kurz innehalten sollte. Bin also rückwärts fünf Schritte gegangen und habe in den Karton geblickt. Und da lagen sie: Vier dicke, uralte Kochbücher. Alle beinhalteten sie Rezepte zur deutschen Kochkunst. In meiner Rolle als Rechercheur und kulinarischer Kolumnist musste ich spontan zugreifen. Ich vergewisserte mich noch kurz, dass weder Tier noch Mensch auf das Archiv des deutschen Geschmacks uriniert hatten und packte die Studienobjekten in meinen Rucksack.
Obwohl ich immer brav bis fanatisch meine To-Do-Listen abarbeite, liegen die vier Werke nun seit sechs Monaten wie Blei in meinem Bücherregal. Ich habe nicht reingeschaut. Ich weiß nicht, ob ich mich irgendwann überwinden werde.
Eisbein und Blutwurst aus politischer Überzeugung
An anderer Stelle habe ich mal meine Skepsis gegenüber deutschen Geschmäckern (plural wegen Föderalismus) geäußert. Danach hatte mich so einer dieser rechten Kolumnisten aus dem Springer-Verlag, der aus politischer Überzeugung Eisbein und Blutwurst verspeist, in einem Artikel seinen Fans zum Fraß vorgeworfen. Die deutsche Küche sei Patriotismus pur, und ich solle mich verpissen, wenn mir Deutschland nicht schmecke, hieß es in Zuschriften und natürlich in den verschiedensten Variationen der Menschenfeindlichkeit.
Naheliegend, dass meine Motivation gegen null tendiert, mir die deutschen Rezepte durchzulesen. Ich gönne mir, so wie einige der erfolgreichsten Kolumnisten dieser Republik, an dieser Stelle einfach uninformiert meine gefühlte Meinung kundzutun. Und ich habe nun mal krasse Vorbehalte gegenüber Labskaus, Halve Hahn, Jägerschnitzel mit Feuerwehrsauce oder Haxn.
Vielleicht schaffe ich es bis zu einer der kommenden Kolumnen in die Bücher zu schauen, bis dahin nähere ich mich phantasievoll der deutschen Küche. Im Supermarkt habe ich neulich ins Gemüseregal geschaut. Und siehe da: Die kleinen Rosenkohle haben mich angelächelt und ich habe gemerkt, dass ich noch nie Rosenkohl gekocht habe. Also habe ich das große Netz gekauft, die Strünke abgetrennt, blanchiert und die Hälfte eingefroren. Es war halt ein sehr großes Netz.
"Chou de Bruxelles" - doch nicht so deutsch?
Den Rest habe ich etwa fünf Minuten in kochendes Salzwasser gegart und danach typisch deutsch mit Olivenöl, kleingehacktem Knoblauch, Salz, Pfeffer und einer klitzekleinen Prise Chili in einer Pfanne kurz angebraten. Die leicht bittere Note des Rosenkohls funktioniert hervorragend mit dem Knoblauch und der Chili-Schärfe. Dazu habe ich ein Kartoffelgratin gereicht. Für den obligatorischen Beilagensalat hatte ich dann keine Kraft mehr. Sieht auf dem Bild ein bisschen trist aus, hat aber super gut geschmeckt. In Olivenöl geschwenkter Rosenkohl ist mein Friedensangebot an diese Gesellschaft.
Während ich mein leichtes Mittagessen mit den gesunden Bitterstoffen zu mir nahm, fiel mir aber ein, dass Rosenkohl auf Englisch "Brussel Sprouts" und auf Französisch "Chou de Bruxelles" heißt. Da ich die belgische und die deutsche Fahne eh nie auseinanderhalten kann und die besagten Kolumnisten und ihre Adepten mich so oder so nicht mögen, ist aber sowieso alles egal.