Augmented Reality in der Kunst

Mit Technologie die größten Probleme der Menschheit lösen

Jeremy Bailey "Melting Bronze"
Foto: Courtesy Jeremy Bailey

Jeremy Bailey "Melting Bronze"

Auch wenn man wieder ins Museum gehen kann, ist eine Neugier aufs Digitale geblieben. Jetzt zeigt sich die Stärke von Augmented-Reality-Werken, die unsere Außenwelt besetzen - und die Kunstwelt verändern können

Die Erleichterung war groß, als Museen und Galerien nach dem Lockdown ihre Türen wieder öffnen konnten. Zwischendurch musste zügig auf das Digitale umgestiegen werden, weil das der einzige Weg war, um Kunst weiterhin zugänglich zu machen. Das Ergebnis war eine Flut von Online-Ausstellungen und Livestreams. Mal gut, mal weniger gut, wie das eben so ist. Der Digital-Hype ist mittlerweile wieder etwas abgeklungen, aber das Publikum scheint sich schnell daran gewöhnt zu haben, Kunst im Digitalen anzuschauen. Und die, die schon immer im Digitalen unterwegs waren, haben Auftrieb und ein neues Publikum bekommen. Nun bleibt auch nach der Wiedereröffnung der Kunstorte die Erkenntnis, dass da noch mehr ist: ein neues Kunsterlebnis etwa und ein breiteres Publikum. Was also geblieben ist, ist die Suche nach Lösungen, wie Kunst digital zugänglich gemacht werden kann und wie das Publikum mit digitaler Kunst interagieren kann.

Eine Lösung ist Virtual Reality. Das Eintauchen in eine mit Hilfe von Computertechnologie erschaffene künstliche Welt ist aufregend, weil neu, keine Frage, da aber VR-Headsets nicht sehr weit verbreitet sind, ist diese Option aktuell noch die am wenigsten zugängliche. Wer besitzt schon so ein Headset? Wer aber besitzt heute kein Smartphone? Und wer nutzt nicht ständig die Kamera seines Smartphones? Die andere Lösung ist Augmented Reality, die Verbindung von Digitalem und Analogem über das Telefon. Nun ist natürlich auch das nicht ganz neu, vor allem seit via Snapchat und Instagram Augmented-Reality-Filter genutzt werden können. Neu ist aber, dass Künstlerinnen und Künstler seit dem Lockdown verstärkt mit Augmented Reality arbeiten, um weiterhin den Zugang zu Kunst zu gewährleisten.

Der Künstler Andy Picci beispielsweise hat gleich eine ganze Ausstellung unter dem Titel "E-xhibition" in einem Filter auf Instagram gezeigt. Man fand sich plötzlich in einem White Cube wieder, vor den Wänden schwebten Text-Installationen wie "Alone Is The New Cool" und "You Are My Quarantine". Ein Fenster öffnete sich, statt der Außenwelt sah man die eigenen vier Wände. Piccis Gesicht schwebte überdimensional vor einer Wand. Trat man näher heran, sah man durch ihn hindurch wieder nur die eigenen vier Wände. In der Quarantäne gab es keinen Zufluchtsort, sondern nur den Sehnsuchtsort Außenwelt.

Man kann sich jeden beliebigen Ort aneignen

Das ist eigentlich die Stärke von Augmented Reality: der Einbezug der Außenwelt. Und weil man im realen Raum nichts aufstellen muss, kann man sich einfach jeden beliebigen Ort aneignen. Und da ist sie auch schon wieder, die Rede von der Demokratisierung der Kunst und der Kunstwelt. Vor einigen Jahren ist das MoMAR von einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern gegründet worden, darunter der Medienkünstler Damjanski. Die Location der nicht autorisierten Galerie: das MoMA in New York, genauer, der ehemalige Jackson-Pollock-Raum im 5. Stock. Ja, das ist schon ziemlich frech, einfach eine Ausstellung im MoMA zu zeigen, von der das wichtigste Museum der Welt selbst nichts weiß. Plötzlich tauchte da nämlich eine Gruppe von Menschen zu einem Opening auf und richtete Smartphones auf die Werke in der Sammlung, nur um andere Kunst sehen zu können.

Und natürlich ging es genau darum, frech zu sein, um zu hinterfragen, wer eigentlich aus welchen Gründen darüber entscheidet, was in welcher Institution gezeigt wird, und was nicht. Im Jahr 2010 gab es schon einmal eine Intervention im MoMA unter dem Titel "We AR in MoMA" und ein Jahr später bei der Venedig Biennale. Das Künstlerkollektiv Refrakt ist im Jahr 2015 genau so vorgegangen. In der Berliner Gemäldegalerie wurde unter dem Titel "Objects in the Mirror Are Closer Than They Appear" eine Guerrilla-Ausstellung gezeigt. Via App konnten 82 Gemälde gescannt werden, über die sich beispielsweise virtuelle Skulpturen legten.

Erst einmal wurde also demonstriert, dass mit der neuen Technologie effektiv gatekeeper umgangen werden können. Jetzt geht es darum zu schauen, wie Augmented Reality in die Kunstwelt eingebunden werden kann. Das Unternehmen Acute Art unter Leitung von Daniel Birnbaum arbeitet seit gut zwei Jahren mit international renommierten Künstlerinnen und Künstlern wie Kaws, Olafur Eliasson und Cao Fei. Eliasson ließ es beispielsweise während des Lockdowns in Wohnzimmern virtuell regnen. Das NRW Forum in Düsseldorf hat gerade für das nächste Jahr die erste Augmented-Reality-Biennale angekündigt, während Daniel Birnbaum kurz zuvor noch auf Instagram witzelte, dass er innerhalb von fünf Minuten die Hyde Park Augmented Reality Biennale zusammengestellt habe. Dafür hat er alle in der App Acute Art verfügbaren Arbeiten direkt nebeneinander im Hyde Park platziert. Fertig ist die Biennale. Haha.


Was man auch über die Qualität der Arbeiten denken mag – etwa über die Regenwolke oder den Regenbogen von Eliasson –, da bewegt sich was. Der kanadische Künstler Jeremy Bailey, der seit den Nullerjahren mit Technologie arbeitet, ist jetzt im nächsten Level angekommen. Ausgangspunkt für ihn war die Erfahrung einer globalen Pandemie, die den normalen Kunstbetrieb kurzzeitig zum Erliegen gebracht und einen Digital-Hype ausgelöst hat. Was aber bedeutet es für Künstlerinnen und Künstler, wenn alles nur noch online stattfindet? Bailey hat deshalb die E-Commerce Plattform YOUar gegründet, über die Augmented-Reality-Skulpturen gekauft werden können. "It eliminates the arduous limitations of traditional sculpture for both artists and collectors“, steht als Beschreibung auf der Website. Mit "The Museum For You" ist das gesamte Unterfangen überschrieben. Wenn man nicht ins Museum kann, kommen eben die Skulpturen zu einem nach Hause.

Erst einmal konnte aber der Künstler selbst wegen der Pandemie nicht zum Launch, der im Rahmen des Openings der Doppelausstellung "Check Out Our Show" (gemeinsam mit Nadja Buttendorf) in der Panke Gallery im Berliner Wedding stattgefunden hat, anreisen. Er war beim Opening dann doch anwesend, aber irgendwie auch nicht. Ein Saugroboter fuhr durch die Räume der Galerie, ein iPad war darauf angebracht. Auf dem Bildschirm war Bailey zu sehen bzw. sein Alter Ego, der "Famous new media artist Jeremy Bailey". Der Saugroboter fuhr über Teppiche, Bailey sagte immer wieder "I enjoy keeping the space clean". Immer mal wieder setzten sich Besucher auf den Boden, um mit ihm zu sprechen. "Glückwunsch zum Opening!" "Gut siehst Du aus!“ "Tolle Ausstellung!" Menschen liefen mit iPads in den Händen herum und scannten die QR Codes auf den Teppichen. Bekannte Skulpturen erschienen auf den Displays, etwa eine Stahlskulptur von Richard Serra, Bailey selbst lehnt sich an das Kunstwerk.

Jetzt muss man wissen, dass Jeremy Bailey einer der ersten so genannten "Bedroom Artists" neben Petra Cortright war. In den eigenen Wänden hat er schon früh Videos aufgenommen, die er auf YouTube publiziert hat und sein Publikum wiederum hat die Videos ebenfalls in den eigenen vier Wänden konsumiert – von Schlafzimmer zu Schlafzimmer also. Sein Alter Ego ist einer dieser nervigen Nerds, die das Internet mit ihren Ideen für die Zukunft zuquatschen oder eben über sich selbst reden, um Aufmerksamkeit zu bekommen und berühmt zu werden.



Mit Technologie die größten Probleme der Menschheit lösen, das ist sein mission statement. Er meint es so, aber natürlich meint er es auch nicht so. Seine Kunstfigur erinnert an Steve Jobs. Er trägt immer das gleiche weiße Oberteil, kurze Jeansshorts und er redet immer viel viel zu schnell über alle seine großartigen technologischen Entwicklungen, die ihm mehr Aufmerksamkeit bescheren sollen. Deshalb ist er nun auch Teil einer jeden AR-Skulptur, die man über den "youar.shop" aufstellen kann, wo man möchte. Er lehnt wie gesagt an einer Skulptur von Richard Serra und er macht Liegestütze unter einer Skulptur von Henry Moore. Jede einzelne Arbeit aus dieser Serie basiert auf einer sehr bekannten Skulptur, ein Donald Judd ist beispielsweise auch darunter. Bailey spielt mit dem Phänomen des Art Selfies, also dem Bedürfnis von Menschen, sich vor berühmten Kunstwerken zu inszenieren und selbst zu fotografieren. Man selbst kann die Skulpturen kleiner und größer ziehen auf dem Display, man kann ihre Position bestimmen und man kann darum herum- und hindurchlaufen. Man selbst ist dabei allerdings nicht im Bild, aber das soll so sein, denn schließlich geht es darum, den "Famous new media artist" noch berühmter zu machen. Ihm zu noch mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Auf der Website gibt es weitere Arbeiten von New Media Artists, die Teil der Launch-Runde sind. Einige der AR-Skulpturen sind bereits ausverkauft. Die Preise bewegen sich zwischen 5 und 135 Dollar, die digitalen Editionen haben eine Auflage von 5 bis 100. Auf Twitter zeigte sich Bailey 24 Stunden nach dem Launch überrascht von den Verkäufen:

 

Er habe noch nie zuvor eine digitale Edition verkauft, twitterte er. Bei den Preisen und einer entsprechend niedrigen Auflage können die Künstlerinnen und Künstler finanziell natürlich keine großen Sprünge machen. Aber darum geht es nicht. Das Ziel ist die Teilhabe an Kunst, die in diesem Fall auch über den Besitz von Kunst möglich gemacht wird.