Morgens um elf in den Neukölln Arcaden: Das Einkaufszentrum an diesem wichtigen Berliner Verkehrsknotenpunkt zwischen Hermannplatz und Neuköllner Rathaus ist mittelmäßig gefüllt. Hauptsächlich junge bis mittelalte Menschen sind unterwegs, um ihre Einkäufe zu machen: Apotheke, Douglas, DM, Modeläden - ist ja alles da. Ganz bestimmt sind auch ein paar Schulschwänzer vor Ort. Ob sie den Neukölln Arcaden auf Instragram folgen? Zumindest den Profil-Spruch fänden sie wohl gut: "Wir sind Neuköllns Umschlagplatz Nr 1.
"Ich bin mit Britta Thie verabredet. Das ist die Künstlerin, die sich wie kaum eine zweite mit dem Leben der Millennials zwischen Airbnb und Aufladestress auseinandersetzt. Zuletzt zeigte sie im Museum Abteiberg in Mönchengladbach den tollen Film "Powerbanks" über eine Gruppe von Jugendlichen, die ihre Tage im Einkaufszentrum zwischen Saturn und Cyber-Mobbing verbringen. In den Neukölln Acarden sorgt ein Media Markt für die Elektro-Gönnung. Dort soll es gleich hingehen, denn irgendetwas braucht man ja immer im Umgang mit den sogenannten zeitbasierten Medien: einen USB-Stick, Kopfhörer, vielleicht sogar eine Powerbank – diese Akkuzeit-Verlängerer für leergesurfte Handys.
Entspannung zwischen Bijou Brigitte und Super-HD
Vorab ein Gespräch im Café von Denn's-Biomarkt. Die Tischplatten sind aus Holz und die Klientel schon ein bisschen anders als zum Beispiel bei New Yorker gegenüber. Britta ist öfters hier, auch zum Arbeiten. Überhaupt findet sie Einkaufszentren so schön unaufgeregt. Die wollen nichts von einem – "ins immer gleiche Bijoux-Brigitte-Leben verschwinden", nennt sie es. Die Neukölln Acarden: Ein Mini-Universum, bevölkert von Markenplaneten, in die man nach Belieben ein- und dann wieder auftauchen kann.
Was reizt die Künstlerin an der Elektromarkt-Welt? "Ich bin schon als kleines Mädchen gerne in Elektroläden gegangen. Das Versprechen war: Hier passiert die Zukunft. Jetzt erlebe ich den Besuch als den Blick in eine Zukunft, die schon wieder vorbei ist. Die neuen Geräte stehen da, man kommt, um zu gucken, aber gekauft wird meistens online."
Die Frage, ob sie – vor die Wahl gestellt – eher Media Markt oder Saturn präferiert, ist hinfällig. Ein Profi wie sie weiß: Die gehören eh zum selben Konzern. Auch das Angebot unterscheidet sich kaum voneinander. Rot gegen Blau, Blau gegen Rot, es ändert nichts, am Ende verdient die Media-Saturn-Holding. Hat Britta Thie denn mal eine CD geklaut – der Initiationsritus aller 90er-Jahre-Jugendlichen? Nie. Wirklich gar nicht: "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas geklaut." Gut für die Holding, gut für den Media Markt, zu dem wir jetzt hinüberschlendern.
Es folgt ein Streifzug durch die Gänge: Ein erster Stopp bei den Kopfhörern. Die bisher hauptsächlich aus der Business Class bekannten Modelle mit Noise-Cancelling-Funktion nehmen immer mehr Platz ein. Den entgegensetzen Weg beschreiten die Nackenlautsprecher von Bose: Lautsprecher zum Umhängen. "Von Musik umgeben. Und die Umgebung dabei wahrnehmen" verspricht der Hersteller. Bestimmt eine gute Idee – aber bitte nicht in der U8. Dann treibt es uns zu der Fläche mit den sehr großen Bildschirmen. Britta gesteht, dass sie hier manchmal ein paar Minuten lang verweilt, um sich die Super HD-Clips auf den maximal auflösenden Displays anzugucken: "Hohe Auflösungen entspannen mich." Mein Geständnis an dieser Stelle: Elektromärkte sind für mich die Hölle. Ein kurzer Besuch nur und ich fühle mich wie ausgesaugt.
3D-Zahnpasta, Blue-Ray Lashes und der tägliche Glückskick
Vielleicht kann ein Besuch bei den Powerbanks helfen? In den Dingern steckt ja ziemlich viel Metaphorik. Die Britta auch in ihrer gleichnamigen Arbeit bedient: "Es reicht halt nie. Das ist die ultimative Millenialkrankheit: Man weiss, man kriegt kaum Rente – wenigstens die Powerbanks geben mir eine Sicherheit, die ich sonst nicht habe." Natürlich hat sie auch ein paar Tipps, weiß, welche Marke die besten Powerbanks anbietet und dass es zur Not auch welche bei DM und Rossmann gibt ("praktisch auf Reisen"). Die von ihr zum Film produzierten "Powerbank"-Möbel bieten übrigens bis zu 35 Lademöglichkeiten.
Wir sind inzwischen wieder bei den Kopfhörern gelandet. Britta sucht ein In-Ear-Modell mit Bluetooth-Verbindung. Die eignen sich sehr gut zum Sport – wenn sie nicht aus der Ohrmuschel rutschen. Trotzdem: Ein Modell von Sony, der WI-C300, sieht vertrauenserweckend aus. Weiß oder schwarz? Der Personal Shopper rät zu letzterem. Ich finde: Möglichst wenig soll an die immer noch sehr gewöhnungsbedürftigen Ohrkapseln von Apple erinnern. Wir machen uns auf den Weg zur Kasse, reihen uns in der Schlange ein. Die führt uns vorbei an obskuren Produkten, die eine irgendwie geartete Techniknähe suggerieren: 3D-Zahnpasta und Blue-Ray Lashes.
An der Kasse dann die schöne Überraschung: Britta hat eine Club-Karte von Media Markt. Die Vorteile scheinen banal, unter anderem gibt es ein Gewinnspiel – "Ihr täglicher Glückskick. Zum Glück gibt's den MediaMarkt Club" – aber gerade hier und vor allem in der Hand dieser Künstlerin zählt die Geste. Sollte ich auch eine beantragen? Der Zeitpunkt ist falsch gewählt. Schon werden wir von den nächsten in der Reihe zum Platzmachen gemahnt. Die Schule ist aus, die Mittagspause naht: Es wird jetzt voller in den Neukölln Arcaden.
Britta Thies "Powerbank"-Möbel sind bis zum 4. August in der Ausstellung "Hyper! A Journey Into Art And Music" in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen