Auf die Idee muss man erstmal kommen. "Für uns war die zentrale Frage: Warum kaufen Menschen keine Kunst?", sagt der Berliner Galerist Johann König. Nicht nur in der Kunstbranche fragen sich Händler normalerweise im positiven Sinne, wer sich für welche Ware interessiert. Aus diesem umgekehrten Ansatz heraus habe er seine "Messe in St. Agnes", kurz MISA, initiiert, und diese Frage stehe auch im Zentrum aller Weiterentwicklungen seines Formats, das jetzt schon seine dritte Auflage erlebt.
Um eine Kunstmesse im traditionellen Sinn handelt es sich dabei jedoch nicht, selbst nach den sich rapide wandelnden Maßstäben des Kunstmarkts. Zwar gibt es mit Lena Winter jetzt eine Messedirektorin. Die hat jedoch ihre bisherige Karriere bei Auktionshäusern bestritten. Ihre Berufung steht beispielhaft für den hybriden Charakter dieses neuen Formats: Im Grunde ist es eine sehr, sehr große Gruppenausstellung mit über 300 Künstlerinnen und Künstlern und über 500 Werken. Rund die Hälfte davon ist in der Galerie zu sehen, die andere im Internet.
Damit die Besucher nicht den Überblick verlieren, sind alle Werke in "Booths" - Messekojen – gruppiert, 21 insgesamt, aber eben nicht nach Ausstellern, sondern thematisch. Sie tragen Titel wie "Post-Internet", "Post War" oder "Ultra Contemporary", aber auch so launige wie "Stadt Land Fluss". Sogar eine Kategorie "Portrait" gibt es, ein im zeitgenössischen Kunstbetrieb eher randständiges Sujet, das aber durchaus seine Sammler hat. Die Messeleiterin nimmt die Besucher sozusagen an die Hand und führt sie durch die Ausstellung. Diese Form der Orientierungshilfe wird man auf Messen oder Auktionsvorbesichtigungen zumeist vergeblich suchen. Internetplattformen wie Artsy wären hier eher die Vergleichsgröße. Doch bei denen fehlt nicht nur das reale Erlebnis.
Gruppenschau einer Galerie, zu der Externe etwas beisteuern können
Der große Clou der aktuellen Ausgabe ist die Einbindung von Limna, der Preisfindungs-App von Artfacts.net. Aus der eigenen Ausstellungs-Datenbank und der Art Price Database von Artnet generiert sie eine Orientierungshilfe für Kaufinteressenten, die unter anderem oder vor allem eine Preisschätzung beinhaltet. Und die liegt oft genug nicht nur nahe am, sondern bisweilen sogar unter dem verlangten Betrag. König sieht das vor allem als Herausforderung und vertrauensbildende Maßnahme. Er wolle, dass seine Kunden sich ernstgenommen fühlen. Es gehe nicht darum, den Leuten irgendetwas aufzuschwatzen um des schnellen Profits willen. Wenn die Empfehlung der Künstlichen Intelligenz von der aktuellen Forderung abweiche, müsse man eben erklären, warum der Preis gerechtfertigt sei.
Nicht alle Teilnehmer des traditionell wenig transparenten Kunstmarkts dürften sich mit dieser Offenheit anfreunden können. Auch die Auswahl der Werke, die wohl vor allem nach vermuteter Verkäuflichkeit der Objekte erfolgt sein wird und nicht - wie bei Messen üblich - nach Bedeutung einer künstlerischen Position oder der Galerie, die sie vertritt, gefällt nicht jedem. Aber MISA ist eben keine Kunstmesse einer Messegesellschaft mit Zulassungskomitee und verschiedenen Ausstellern, die jeweils ihren eigenen Stand kuratieren, sondern eine Gruppenausstellung einer Galerie, zu der Externe etwas beisteuern können – Kunsthändler, Galeristen, Sammler und Künstler selbst. Das macht das Format dann doch besonders und einzigartig.
Keine Einwände wegen Verstößen gegen eingeübte Gepflogenheiten muss König hingegen bei seiner aktuellsten Messekoje erwarten. NFTs sind ohnehin für alle Neuland. In der realen Messe hängen bereits seit der Eröffnung rund ein Dutzend Screens mit digitalen Arbeiten sowohl von Stars der NFT-Szene wie etablierten Vertretern des Kunstbetriebs. Ab dem 11.August sind sie dann auch online zu sehen und ab dem 22. August werden sie gedropped. Wer mit dem letzten Absatz überfordert ist, erhält auf der Messe ebenso Rat wie Menschen, die sich auf dem Gebiet der traditionellen Kunst unsicher sind und aus diesem Grund bisher nicht zu Käufern geworden sind.