Wiederentdeckungen in den KW

Mieder, Monster und Mysterien

Hreinn Friðfinnsson, "First House",1974
Foto: Courtesy Hreinn Friðfinnsson, i8 Gallery, Galerie Nordenhake, Meessen De Clercq und Galería Elba Benítez

Hreinn Friðfinnsson, "First House",1974

In den Berliner KW lassen sich gerade zwei stille Stars entdecken. Christina Ramberg und Hreinn Friðfinnsson haben Generationen von Künstlern beeinflusst - und sehen mit ihren Themen Körperlichkeit, Raum und Natur ganz nach Gegenwart aus

Der Maler Allen Jones ist bekannt für seine knalligen Töne und seine Liebe zu strammen Frauenbeinen, die in High Heels stecken. Ein frühes Acrylgemälde von Christina Ramberg ("Black Widow", 1971) erinnert ein bisschen an Jones' Lieblingsmotiv. Aber die Farben sind bei Ramberg immer düster und auch die Haltung ist eine andere. Scharf formuliert: Jones ist ein Exploitation-Künstler, Ramberg war das Gegenteil.

Die 1995 mit nur 49 Jahren verstorbene US-Amerikanerin lässt sich gerade in einer unbedingt sehenswerten Ausstellung in den KW in Berlin wiederentdecken. Ihre Arbeit widmete sich dem Fetischismus – und lehnte ihn gleichzeitig ab. Beine sind auf ihren Bildern nicht zu sehen. Auch keine Köpfe, nur Torsi. In unerbittlicher Konsequenz ließ die Malerin die Frauenkörper auf ihren Bildern immer mehr zu Objekten mutieren.

Als Kind hatte sie ihre Mutter beim Anziehen betrachtet. In einer Mischung aus Faszination und Ekel sah sie, wie sich Mrs. Ramberg in Nylons und Schnürmieder zwängte, um vor den männlichen Blicken da draußen zu bestehen – so beschrieb es die Künstlerin in ihrem Tagebuch. In ihren traumatischen Bildwelten kann von Kleidung oder "zweiter Haut" nicht mehr die Rede sein. Glänzendes Haar wird zum Stoff, der das Fleisch abschnürt. Bandagen und Korsagen formen, quetschen, strangulieren den Körper. Zunehmend lässt Ramberg die anatomische Korrektheit fahren, auf einem Gemälde wie "Glimpsed" (1975) ist die kopflose Figur in zwei symmetrische Hälften zerteilt und wird nurmehr von geflochtenem Haar zusammengehalten.

Körper zu Kleiderständern

Weibliche Körper verwandeln sich in Kleiderständer: Bei "Strung" (1975) entpuppen sich die Konturen als Gestänge, die Körperpartien bleiben leer. In der zweiten Hälfte der 70er faltet Ramberg ihre Figuren wie Origami-Papier. In den frühen 80er-Jahren mutieren die Körper zu Urnen ("Untitled #12", 1981) oder zu dunklen Kokons ("Apron", 1982). Die New York School der 1940er – Pollock, de Kooning und Co. – hatte die Abstraktion als Befreiung vom Gegenständlichen gefeiert. Ramberg, die am Gegenstand letztlich festhielt, exekutiert die Abstraktionsschritte wie Gewaltakte.

Neben den 14 auf Hartfaser gemalten Acrylbildern sind noch zwölf Skizzenblätter zu sehen, teils serielle Zeichnungen, in denen Ramberg das Groteske ausreizte. Verdrehter Stoff geht hier übergangslos in verdrehte Glieder über. Besonders in den Skizzen wird deutlich, dass sich die Künstlerin von Comics inspirieren ließ. Die Vorliebe für Cartoons verbindet die "Chicago Imagists", zu denen auch Ramberg als Absolventin des Chicago Art Institute zählt. Grob gesagt handelt es um eine figurative Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus aus New York. Ramberg und Co. setzten sich auch von der coolen Pop Art eines Warhol oder Lichtenstein ab. 2017/18 präsentierte die Fondazione Prada in Mailand die ganze surreale, bisweilen fabulierfreudige Vielfalt der "Famous Artists from Chicago". Weltberühmt sind Chicagoer Künstler wie Roger Brown, Gladys Nilsson, Jim Nutt, Ed Paschke oder eben Christina Ramberg bis heute nicht. Aber sie hätten es verdient.

Echoraum der Körperwelten

Rambergs irritierende Korsage-Cyborgs taugen sicher für eine Soloausstellung. Aber die KW-Kuratorin Anna Gritz hat sich für eine Gruppenausstellung um die Malerin entschieden. Mit den überwiegend jüngeren Extra-Positionen will Gritz zeigen, wie aktuell der genderkritische Ansatz Rambergs ist und wie der Körper in der Gegenwartskunst verhandelt wird. Im Echoraum um Rambergs Körperwelten bewegen sich Künstlerinnen wie die ausgebildete Modedesignerin Alexandra Bircken – mit Entwürfen zwischen Motorradkluft und Glamour – oder Diane Simpson.

Ebenfalls aus der Chicagoer Schule stammend, schafft die 1935 geborene Bildhauerin Skulpturen, die wie minimalistische Kleidungsstücke oder Rüstungen aussehen. Simpson bildet keine Körper, nur leere Panzer, etwa bei "Box Pleats" (1989), eine Art halboffener Rock aus länglichen MdF-Brettern, die Faltenwurf simulieren. Wie Kleidung zum Exoskelett mutiert, das sieht man bei Simpson und Ramberg.

Von betrachtenden zu performenden Subjekten werden wir mit Hans-Christian Lotz’ signalroter Automatiktür, die sich öffnet, wenn Personen herantreten. Sie können dann nirgendwo hinein, weil die Schiebetür an einer geschlossenen Wand installiert ist. Dazu behindern diverse Kindersicherheitsgitter – "Gates" von Ghislaine Leung – mit fummeligem Schließmechanismus den Weg durch den Parcours im KW-Erdgeschoss und in der Halle. Ramberg erzählt ja letztlich von äußeren Einflüssen auf den Menschen, insofern sind die beiden genannten Raumarbeiten eine sinnvolle Ergänzung. Weniger einleuchtend ist der Zusammenhang bei den glimmenden Pilzen, die Leung in sämtlichen (!) Steckdosen der Ausstellungsräume platziert hat.

Eine der wichtigsten Ausstellungen im Berliner Kunstjahr

Senga Nengudis bizarre Installation aus Kühlschrank- und Klimageräte-Teilen mit langgezogenen Nylonstrümpfen ("A.C,Q.I.", 2016/17) beeindruckt, aber auch hier muss man den Katalog zu Rate ziehen, warum Nengudi als Dialogpartnerin Rambergs denn so zwingend sei. Benutzerfreundlich ist der Katalog nur bedingt, denn alle Text sind in englisch. Der Band wurde vom Frac Lorraine in Metz und vom Baltic in Gateshead koproduziert, wohin die Ausstellung weiterwandert. Für deutsche Übersetzungen waren die Mittel zu knapp, heißt es. Wenigstens einer Extra-Broschüre mit den Texten in Deutsch hätte es aber bedurft. Wer kein Englisch kann, hat Pech gehabt? Ein Unding!

Nun ändert dieser vermittlungsästhetische Fauxpas nichts daran, dass "The Making of Husbands. Christina Ramberg in Dialogue" zu den wichtigsten Ausstellungen dieses Berliner Kunstjahrs gezählt werden muss. Wäre es ein Ramberg-Solo, hätte man es "A Woman Under the Influence" betiteln können, nach dem John-Cassavetes-Film. Stattdessen bezieht sich Gritz auf "Husbands" und ein Making-Of des ebenfalls von Cassavetes gedrehten Films. Nicht nur die Rolle „Ehemann“ sei ein Stereotyp, so die Kuratorin, auch das vermeintlich natürliche Verhalten von Schauspielern in einer Doku vom Filmset gelte es heute zu hinterfragen. Vor allem aber wendet sich der "Husbands"-Titel von alten Stereotypen ab: Body Politics geht nicht nur Frauen an.

Das Interieur als Universum

Ramberg, die unter dem Radar der großen Kunstöffentlichkeit wie des Kunstmarkts wirkte, die aber als Professorin am Art Institute of Chicago durchaus einflussreich war, zählt zum Typus "Artist’s Artist". Das trifft sich gut, denn auch Hreinn Friðfinnsson ist so ein stiller Star. Eine Soloausstellung des 1943 geborenen, heute in Amsterdam lebenden Konzeptualisten ist in den beiden Stockwerken über der "Husbands"-Schau zu sehen. Philippe Parreno und Ólafur Elíasson haben den 1943 geborenen und heute in Amsterdam lebenden Konzeptkünstler als wegweisende Figur bezeichnet.

Friðfinnssons "First House", das der Künstler im Sommer 1974 baute, bietet ein Musterbeispiel großartiger Konzeptkunst: Von einem Roman Thorbergur Thordarsons aus den 1930ern inspiriert, errichtete Friðfinnsson die Skulptur in einer unbesiedelten Region Islands. Auf einer Diaserie in den Kunst-Werken erkennt man, dass die Tapete und die Vorhänge außen angebracht sind. Ideell schrumpft das Außen so auf ein paar Quadratmeter, während das Innere nach außen gestülpt ist. Das Interieur dehnt sich aus wie das Universum.

Architektur, Natur, Unendlichkeit

Die von KW-Chef Krist Gruijthuijsen und seinem italienischen Kokurator Andrea Bellini verantwortete erste Retrospektive des 76-Jährigen in Deutschland setzt sich aus zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Blöcken zusammen. Im ersten Stock der Kunst-Werke sind vor allem Werke aus den 60er- bis 70er-Jahren ausgestellt. Friðfinnssons Schaffen seit den 80ern wird im zweiten Stockwerk gezeigt, die dortige Galerie gewährt einen Blick auf die beide Etagen verbindende Wandarbeit "Palace" von 1990.

Das Werk besteht aus Maschendraht, den Friðfinnsson zu kleineren Honigwaben-Strukturen zerschnitten hat. An der Spitze eines wandfüllenden Dreiecks ist ein einziges Sechseck aus dünnem Draht zu sehen, darunter dann zwei Doppel-"Waben", und so weiter. Die kumulative Reihung setzt sich fort bis hin zu zwölf mal zwölf Sechsecken an der Basis, lässt sich jedoch endlos weiterdenken. Architektur und Natur (die sich in der Idee eines Bienenpalasts verschränken) sowie Unendlichkeit: zentrale Themen Friðfinnssons.

Das Geheimnis: Es gab nie eins

Ein weiteres Nicht-Material, mit dem der Isländer arbeitet, ist die Zeit. 1971 kombiniert der Künstler zwei Fotografien miteinander, die den jungen Hreinn, 1962 in Island, und ihn als Erwachsenen, neun Jahre später in Holland zeigen. Auf beiden Fotos ist er mit Bleistift und Papier beschäftigt. Die Fotoarbeit heißt "Drawing a tiger", ihr Gegenstand ist nicht der Tiger – dessen gezeichnetes Abbild man kaum erkennen kann –, sondern die Zeit.

Für das Langzeitprojekt "I Collected Personal Secrets" bat Friðfinnsson zwischen 1972 und 2015 verschiedene Menschen darum, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Vor vier Jahren vollendete er sein Projekt, indem er lauter Zettel schredderte und ein Materialbild aus den Papierschnipseln klebte. Die 90-mal-95-Zentimeter-Platte ist in den Kunst-Werken ausgestellt und beidseitig zu betrachten. Absurde Pointe: Friðfinnsson hatte vor knapp 50 Jahren zwar ein Inserat in einer niederländischen Kunstzeitschrift geschaltet, aber seine Bitte um Einsendungen wurde nicht erfüllt. Der Künstler hat nie ein "Geheimnis" erhalten. Virtueller als sein Schredderbild kann Konzeptkunst kaum sein.


Materialaufwand für die Dematerialisierung

Friðfinnssons Geheimnisprojekt steht im Kontext der Mail-Art der 60er-Jahre. Er schlägt damit eine Brücke zur Netzkunst der 90er, hat selber jedoch nie im Internet gearbeitet. Den Schritt in die digitale Ära hat Friðfinnsson nicht vollzogen. Das kann man dem heute 76-Jährigen schwerlich vorwerfen. Dennoch fragt sich, wie sich eine "Dematerialisierung der Kunst", von Lucy Lippard vor über 50 Jahren diagnostiziert, heute noch manifestieren kann. Womöglich nur digital. Logischerweise nicht: mit gesteigertem Materialaufwand, wie es im zweiten Stockwerk des KW Institute zu beobachten ist.

Hier oben dominieren die vergangenen drei Schaffensjahrzehnte Friðfinnssons. Das ist keine Hardcore-Konzeptkunst mehr, meistens aber noch Poesie mit einfachen Mitteln. In seiner Spätphase formuliert Friðfinnsson den Austausch von Innen und Außen – siehe "First House" – neu: Ein simpler brauner Pappkarton hängt an der Wand, die halb aufgeklappte Öffnung zeigt zum Betrachter ("Source", 1992/2005). Ein grünlicher Schimmer dringt heraus, der Karton ist mit fluoreszierendem Papier ausgeschlagen. Mitunter driftet der späte Friðfinnsson an den Klippenrand des Kunstgewerblichen wie bei "Summernights" (1990), einer Fünferreihe aus verschiedenfarbigen Papierkegeln. Manche Werke stecken in der Banalitätsfalle wie "A Pair" von 2004/05: Ein linker Herrenschuh wird im Spiegel verdoppelt.

Bestenfalls taugt das "Paar", das den dazugehörigen Mann imaginiert, als Verweis zur "Making of Husbands"-Schau unten. Sie widmet sich dem Körper, der aus der Kunst einfach nicht wegzudenken ist.