Schnell hatte man sich bei der Interpretation des Werkes des 2002 bei einem Flugzeugabsturz gestorbenen Michel Majerus geeinigt: Hier müsse es sich um so etwas wie eine mehr oder weniger fröhliche Postpop-Variante handeln. In deren Mittelpunkt stehe das Sampeln ikonografischer Formulierungen sowohl aus der high wie der low art, aus moderner Kunstgeschichte von Andy Warhol bis Gerhard Richter und der Welt des Techno der 1990er Jahre zum Beispiel.
Dabei sei für die coole "Bildverarbeitungsmaschine" Majerus vor allem sein so virtuoser wie "unbekümmert spielerischer Zugriff auf die uns umgebenden Bildwelten typisch". Sagt zumindest Wikipedia. Übersehen wurden so nicht nur die in seinem Werk immer wieder zu findenden gesellschaftskritischen Aspekte - man denke nur an seine wichtige Installation "Sozialpalast" von 2002 - sondern auch der konzeptuelle Background dieser Arbeiten.
Die Ausstellungsreihe "Michel Majerus 2022" will sein Schaffen nun nicht nur in umfassender Breite vorstellen, sie wagt wohl endlich auch, den Blick auf diese Kunst weiter und präziser zu fassen. Den Anfang hierfür macht die von Peter Pakesch kuratierte Installation "Kosuth Majerus Sonderborg" im Berliner Michel Majerus Estate, die Arbeiten des Künstlers mit denen seiner beiden Stuttgarter Professoren Joseph Kosuth und K.R.H. Sonderborg in Bezug setzt. Spannend ist dabei vor allem Joseph Kosuths Beitrag, zitiert dieser doch in seinen Neonarbeiten theoretisierende Sätze aus den 2017 veröffentlichten Notizbüchern von Majerus. So sampelt er nicht nur seinen sampelnden Schüler, sondern betont klug auch dessen konzeptuellen Hintergrund.
Neubewertung statt Nostalgie
Eine zweite Station dieser Ausstellungsreihe erlaubt dann bereits einen Blick auf die besagten gesellschaftskritischen und politischen Aspekte in Majerus‘ Werk. Die Ausstellung "Michel Majerus zum 20. Todestag" im Sprengel Museum Hannover zeigt nämlich unter anderem das großflächige Gemälde "Massnahmen …" von 1994: Ein für den Künstler typischer Text-Malerei-Mix, auf dem das ein wenig erratische und gleichzeitig kämpferische Statement zu lesen ist: "Massnahmen gegen Konvention, Establishment und Buerokratie. Verschuettet und eingeebnet damit die Bevölkerung sich nicht erinnert, wieder aufdecken und von da aus weitermachen."
Gespannt also darf man auf die noch kommenden Präsentationen von "Majerus 2022" sein, die unter anderem im Kunstverein Hamburg, den Berliner KunstWerken, und in der Kunsthalle Mannheim stattfinden werden. Wird es weiterhin gelingen, nicht in retrospektiv-nostalgischer Weise auf dieses Œuvre zu blicken? Werden sich also neue Betrachtungsweisen ergeben, die, frei nach Slavoj Žižek, die "speziellen Charakteristika" unserer Zeit 20 Jahre später ansprechen? Die Ausstellung im Kunstverein in Hamburg, die sich mit den digitalen Werken des Künstlers beschäftigt, stimmt da auf jeden Fall optimistisch.