Der amerikanisch-irakische Künstler Michael Rakowitz wollte seine Absage der Whitney-Biennale eigentlich gar nicht öffentlich machen. Doch sein Brief an die Kuratoren wurde geleaked und nun fühlt er das Bedürfnis, sich zu erklären. Sein Rückzug ist eine Reaktion auf die Nachricht des Kunstportals "Hyperallergic", dass an der US-Grenze zu Mexiko Tränengas der Firma Safariland gegen Migranten eingesetzt wurde. Der Besitzer des Unternehmens für Sicherheitsausrüstung, Warren B. Kanders, sitzt als Vize-Präsident im Vorstand des Whitney-Museums. Im Monpol-Interview fordert Michael Rakowitz, der unter anderem an der Documenta 13 teilgenommen hat und gerade den Trafalgar Square in London bespielt, ein Umdenken im Umgang mit Sponsorengeldern in der Kunst.
Michael Rakowitz, es gibt nur wenige Ausstellungen, bei denen Künstler so viel Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen bekommen wie bei der Whitney Biennale. Warum lassen Sie sich das entgehen?
Es war keine leichte Entscheidung. Den Ausschlag hat der Brief gegeben, in dem Mitarbeiter des Whitney sich gegen den Vizepräsidenten des Museumsvorstands Warren Kanders ausgesprochen haben. Mir war vorher nicht klar, dass ihm die Firma Safariland gehört, die das Tränengas herstellt, das an der Grenze zu Mexiko eingesetzt wurde. Der Brief war von so vielen verschiedenen Menschen unterschrieben: aus dem Besucherservice und der Verwaltung, von den Leuten, die die Tickets verkaufen oder die Werke beaufsichtigen. Sie alle sind irgendwie mit den verletzlichen Communities verbunden, gegen die das Tränengas verwendet wird – sei es bei den Protesten gegen Polizeigewalt in Ferguson oder in Palästina oder der Türkei. Sie haben gefragt, warum ein Profiteur des Krieges in einem solch hohen Amt im Whitney sein darf. Es hat mich berührt, dass der Protest von denen kam, die mit der Kunst arbeiten, und ich zeige mich solidarisch mit ihnen.
Hat das Whitney versucht, Sie umzustimmen?
Nicht wirklich, ich habe zuerst selbst den Kontakt zu den Kuratoren Rujeko Hockley und Jane Panetta aufgenommen. Bis vor kurzem dachte ich, dass beide den Brief der Mitarbeiter unterschrieben haben, aber nur Rujeko hat unterzeichnet. Ich habe sie gefragt, wie wir sie als Künstler am besten unterstützen können und ob es andere gab, die einen Rückzug angekündigt hatten. Sie sagten nein, und dass sie immer noch die Biennale kuratieren wollten, die sie sich wünschten. Vorher gab es noch einen Brief vom Museumsdirektor Adam Weinberg, in dem er implizit gesagt hat, dass die Mitarbeiter nicht den Beirat wählen und der Beirat keinen Einfluss auf die Ausstellungen hat. Das habe ich selbst schon anders erlebt, deshalb fand ich die Reaktion unangemessen. Die Kuratoren haben mir zu verstehen gegeben, dass Kanders nicht zurücktritt, und dass es auch keine Aufforderung dazu geben würde. Da hatte ich das Gefühl, dass die Bemühungen aussichtlos sind.
Hätte man nicht auch künstlerisch reagieren können?
Ich habe versucht, mir meine Arbeit in diesem Kontext vorzustellen. Darin geht es ja um die Folgen des Krieges für Menschen und Objekte. Aber letztendlich war das letzte, was ich wollte, ein weiteres institutionskritisches Kunstwerk. Das gibt es alles schon. Hans Haacke hat tolle Arbeiten über Sponsorenschaft von Immobilienmogulen oder Slumlords gemacht. Aber in meinem Fall hatte ich das Gefühl, dass das Museum mein Werk vereinnahmen würde, egal was ich mache. Es würde die Hoheit über die Kritik bekommen. Es wäre einfach nur ein weiteres Protestwerk, das nichts jenseits des Museums bewirken kann. Der Typ bleibt im Beirat, und wir wiederholen uns selbst. Kein Künstler sollte in die Lage gezwungen werden, über eine solche Situation Kunst machen zu müssen.
Haben Sie Reaktionen von anderen Künstlern bekommen?
Bisher nicht. Ich bin auch nicht auf Social Media, was wahrscheinlich ganz gut ist.
Warren Kanders hat wiederum in einem offenen Brief geschrieben, dass er nicht dafür verantwortlich sei, wie die Produkte seiner Firma eingesetzt werden …
Das ist die unsensibelste Reaktion, die ich mir vorstellen kann. Wir treffen Entscheidungen, was wir in diese Welt bringen. Und man kann nachlesen, dass er seine Firma als Reaktion auf den 11. September gegründet hat. Er hat vorhergesagt, dass es mehr Konflikte auf der Welt geben wird und wollte bereit dafür sein. Ich sage nicht, dass Mr. Kanders sein Leben überdenken soll, er hat seine Agenda. Aber seiner Reaktion fehlt jede Form von Reflexion über die Welt, in der wir leben.
Der Protest gegen Mäzene in der Kunst wird gerade sehr sichtbar. Nan Goldin protestiert zum Beispiel gegen Museen, die Geld von der Familie Sackler bekommen – einige der Mitglieder verdienen am Medikament OxiContin, das extrem abhängig macht und für die Opiatkrise in den USA mitverantwortlich ist. Werden Künstler sensibler für solche Zusammenhänge?
Das sollten sie auf jeden Fall. Wir müssen uns bewusst werden, wie wir alle in dieses System verwickelt sind. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wann können wir als Künstler endlich unseren Einfluss nutzen und den Druck erhöhen?
Wer trägt die Verantwortung? Die Künstler oder die Museen?
Wir müssen alle zusammenarbeiten, die Künstler und die Institutionen. Ich will nicht den Boykott, ich will Reformen. Als ich den Absage-Brief an die Kuratoren geschrieben habe, war ich nicht daran interessiert, die Biennale zu sprengen. Ich hatte auch ein sehr positives Gespräch mit dem Whitney-Direktor Adam Weinberg. Museen reden heutzutage immer über best practices, also das beste Verfahren, um Kunstwerke zu zeigen. Es gibt Richtlinien, welche klimatischen Bedingungen ein Werk braucht, und man würde es niemals unter unsicheren Bedingungen zeigen. Warum sollte man dann Bedingungen akzeptieren, in denen sich Künstler und Mitarbeiter unsicher fühlen? Ethische Richtlinien für Mäzenatentum wären einfach und wir können sie zusammen aufstellen.
Die Kunstwelt ist voll von Öl- und Waffengeld, die Londoner National Gallery, die Ihren Entwurf für den Fourth Plinth in London gezeigt hat, hat einen Sackler-Room, die Documenta wird von VW gesponsert. Wo ziehen Sie die Grenze?
Genau die Frage muss gestellt werden. Ich finde es nicht interessant, die Diskussion mit der Feststellung enden zu lassen, dass alles Geld dreckig ist. Es wird immer deutlicher, dass diese Grenze gezogen werden muss. Nur, weil ich früher in einem Museum ausgestellt habe, das einen Sackler-Flügel hat, heißt das nicht, dass das richtig war. Safariland war ein Augenöffner, weil es dem Ganzen eine Form gibt. Wir sind bildende Künstler. Ich bin Bildhauer und setze mich ständig mit der Herkunft von Material auseinander. Durch die Bilder der Tränengaskanister, die direkt auf einen Museumsvorstand zurückweisen, wurde etwas klar formuliert, was oft unklar bleibt. Die Verbindungen sind abstrakter oder man kennt sie nicht. Ich bin dankbar, wenn sie ans Licht kommen. Ich werde von nun an ganz andere Entscheidungen treffen, auch wenn ich nicht perfekt sein werde.
Achten Sie darauf, wer Ihre Werke kauft?
Bisher habe ich glücklicherweise noch nicht mitbekommen, dass Arbeiten an Museen oder Sammler gegangen sind, mit denen ich mich nicht wohlfühle. Es ist aber schon passiert, dass jemand etwas zurückgegeben hat, als er von meinen politischen Ansichten erfuhr.
Machen Sie den anderen Künstlern, die an der Whitney Biennale teilnehmen, einen Vorwurf?
Überhaupt nicht. Mir geht es nicht darum, jemanden bloßzustellen, weder das Museum, noch die Künstler. Ich habe nur für mich eine Entscheidung getroffen. Es ist eine von vielen Möglichkeiten. Forensic Architecture haben angekündigt, sich in ihrer Arbeit mit Safariland zu beschäftigen, und das wird sicher fantastisch. Die Künstlerliste der Biennale ist die vielfältigste, die es je gab. Es ist eine Revolution. Ich bin wirklich traurig, nicht mit diesen Künstlern auszustellen.
Ist es nicht auch ein Privileg, eine renommierte Ausstellung wie die Whitney Biennale abzusagen? Manche Künstler können sich das im wahrsten Sinne nicht leisten.
Natürlich. Es ist eine Ausstellung, die für Karrieren verantwortlich ist. Ich werde sicher okay sein, aber ich bin mir sehr bewusst, dass das nicht bei allen der Fall wäre. Ich beschäftige mich viel mit Dingen, die verschwunden sind. Ich würde nicht sagen, dass mein Verschwinden ein Kunstwerk ist, aber es passt dazu, wie ich arbeite.