20 Jahre Michael Landys "Break Down"

Vernichte deinen gesamten Besitz!

Wenn dir Marie Kondo zu lasch ist: Vor 20 Jahren jagte der britische Künstler Michael Landy seinen kompletten Besitzstand durch den Schredder – 7227 Dinge, Kunstsammlung inklusive. Die radikale "Break Down"-Aktion setzte Maßstäbe bis in unsere Gegenwart

Zuerst eine Würdigung. Das hier ist für all die Hausmeister und Reinigungskräfte, die zum Ruhm eines Künstlers beitrugen, indem sie aus Versehen ein Ausstellungsstück entsorgten. Auch dem Briten Michael Landy ist das 1994 bei einer seiner Müll-Kompositionen passiert. Der Wegwerftäter war deshalb aber noch lange kein Kulturbanause – viel eher eine Muse der Konzeptkunst.

Wenn Müll zur Kunst taugt, kann der Gang zur Tonne ein Happening sein. Das gilt spätestens seit Michael Landys Aktion "Break Down", jenen zwei Wochen im Februar 2001, in denen er seinen gesamten irdischen Besitz, inklusive seiner Kunst, vernichtete.

Landy gehörte in den 1990er-Jahren zu den "Young British Artists" und profitierte von diesem Hype. Als er mit Mitte 30 zum ersten Mal gut verdiente, entschied er sich für das asketische Leben ohne Krempel. Ein "teures Business" nennt er das Wegwerfen seiner Sachen heute im Rückblick. Und zeitintensiv ist es übrigens auch. Mit dreijähriger Vorbereitung mietete Landy eine leerstehende C&A-Filiale auf der geschäftigen Oxford Street in London an, um sich die Aufmerksamkeit der Einkaufsbummler zu sichern, und schuf darin ein Fließband, auf dem seine Besitztümer im Kreis fuhren, bevor sie von ihm oder einem seiner zehn Mitarbeiter verschrottet wurden.

Insgesamt kamen 7227 Artikel unter den Hammer, zwischen die Klingen oder in den Schredder. Die Öffentlichkeit bezeugte die letzten Sekunden von Elektrogeräten, Küchenutensilien, Büchern, Liebesbriefen oder Kleidung, nur mit Ausnahme des blauen Overalls, den Landy am Körper trug.

Installationsansicht Michael Landy "Break Down", 2001, beauftragt von Artangel
© Michael Landy. Courtesy the artist, Thomas Dane Gallery and Artangel. Foto: Hugo Glendinning

Installationsansicht Michael Landy "Break Down", 2001, beauftragt von Artangel

Das ist so gut überliefert, weil alle 7227 Dinge in zehn alphabetischen Kategorien gelistet wurden. Das Inventar hing sogar an den Wänden des Ladens aus. Landy trat als Forensiker seines eigenen Lebens auf, und so war auch "Break Down" keine Zurschaustellung von Wahnsinn, sondern eine leise, systematische Selbstauflösung, die selbst bei der Aufräum-Expertin Marie Kondo noch Freude auslösen könnte. Kondo ermuntert Menschen dazu, sich leichter von Materiellem zu trennen. Aber eigentlich rennt sie mit ihren Büchern und ihrer Netflix-Serie offene Türen ein. Auch in der westlichen Welt kennen heute viele Menschen die Lehren des Zen-Buddhismus oder haben die allgegenwärtige TV-Szene gesehen, in der es allen gleich viel besser geht, nachdem sie ihr Eigentum gemeinsam zertrümmern.

Landy war nicht der erste, der diese wohltuenden Kräfte für sich entdeckte (die zwei Wochen im Februar beschrieb er oft als die glücklichsten seines Lebens). 1994 verbrannte das Kunstduo K Foundation bereits Bargeld in Höhe von einer Million Pfund. Ein Manifest besaß die autodestruktive Kunst sogar seit 1959, geschrieben von Gustav Metzger, der mit Salzsäure Nylonplanen zersprühte, wenn man einmal kurz wegsah. Immerhin ganze 27 Minuten dauerte die Selbstzerstörung von Jean Tinguelys kinetischer Skulptur "Homage to New York" (1960), die Feuerwehr musste sie schließlich ablöschen. Das alles faszinierte Landy, aber reichte ihm noch nicht. Mit "Break Down" übertraf er seine Vorbilder bei Weitem. Sogar Gustav Metzger kam in der Oxford Street vorbei und staunte.

Andere Kollegen waren derweil schlechter auf Landy zu sprechen. Öffentlich entledigte er sich seiner privaten Kunstsammlung, die Werke von Tracey Emin, Damien Hirst, Gary Hume und Chris Ofili enthielt. War deren Wert nun nichtig? Oder verleibte Landy ihn seiner eigenen Karriere ein? Einerseits hatte er sich druckfertige Sätze über den "Konsumismus" zurechtgelegt, die er in sechs bis sieben Interviews pro Tag zum Besten gab. Andererseits bewies er, dass sich mit dem Trend zum Verzicht eine ganze Karriere begründen lässt.

Installationsansicht von Michael Landy "Break Down", 2001. beauftragt von Artangel
© Michael Landy. Courtesy the artist, Thomas Dane Gallery and Artangel. Foto: Parisa Taghizadeh

Installationsansicht von Michael Landy "Break Down", 2001. beauftragt von Artangel

Selbst im Adamskostüm sind manche Menschen noch gleicher als andere. Für diesen Widerspruch wurde 2018 zum Beispiel der deutsche Film "100 Dinge" von Florian David Fitz kritisiert: Zwei wohlhabende Typen hocken nackt in ihren leeren Berliner Lofts, weil sie all ihren Besitz in einer Lagerhalle wegschließen, lose basierend auf einer finnischen Doku über den gleichen Selbstversuch. Michael Landy war nicht nackt. Ansonsten gab es für ihn aber kein Zurück, und das unterscheidet ihn von so manchem Trittbrettfahrer. Ihm blieben letztlich nur sechs Tonnen Restmüll, mit Recycling war da nicht mehr viel.

Installationsansicht Michael Landy "Break Down", 2001
© Michael Landy. Courtesy the artist, Thomas Dane Gallery and Artangel. Foto: Hugo Glendinning

Installationsansicht Michael Landy "Break Down", 2001

Entscheidend war also – neben Landys Interesse am Innenleben einer Zahnbürste oder Kamera – das Ausmaß der Zerstörung. "Break Down" sollte Konsumartikel dekonstruieren, sollte das Fließband einmal rückwärts laufen lassen. Über die Menschheit lässt sich nicht sagen, dass sie routinemäßig mit solcher Gründlichkeit hinter sich aufräumen würde. Gründlich wurden Gesellschaften vor allem, wenn es galt, eine Seuche aus ihrem Hab und Gut zu tilgen, oder wenn sie Dinge als politisch kontaminiert ansahen. Wegwerfen ist privat, Vernichten aber schnell politisch. Man kann die Zerstörungswut im Werk des Schwarzen Künstlers Titus Kaphar feiern und trotzdem kurz erschaudern, wenn Leser ihre Abkehr von J.K. Rowling mit einem Video vom brennenden Buch kundtun.

Das Statement wiegt schwerer als die persönliche Konsumentscheidung. Michael Landys irischer Mutter ging es mit "Break Down" ja ähnlich. Schlimm genug, dass er den Mantel seines Vaters, den sie in Raten abbezahlt hatte, nicht mehr tragen wollte. Aber dass er ihn ein für allemal aus der Welt schaffen musste? Weinend kam die Mutter 2001 in das Spektakel des Sohnes gelaufen und wurde von ihm rausgeschmissen, damit er weiter Familienfotos schreddern konnte. Einen Trieb würde Sigmund Freud vielleicht darin erkennen, wie Landy selbst vor seinem Reisepass oder seiner Geburtsurkunde nicht Halt machte.

Dass diese Schritte drastischer sind als die Demolierung seines roten Autos, das im Herzen der C&A-Filiale wartete, leuchtet den meisten Menschen ein, ohne je Hand anlegen zu müssen. Wer sich vorstellt, nur wenige Habseligkeiten aus einem Hausbrand retten zu dürfen, kann zumindest in der Theorie die eigenen Prioritäten klären. Landy hat, was Prioritäten angeht, die Probe aufs Exempel gemacht. Und er vermisse nichts, beteuert er seit 20 Jahren. Bei einer Online-Veranstaltung zur Feier des Jahrestags boten ihm die Londoner nun ihre lebhaften, liebevollen Erinnerungen an "Break Down" an, sowie auch einzelne Trümmer, die sie 2001 vor ihm gerettet hatten.