In der mittelalterlichen Vorstellung haben Könige zwei Körper, einen irdischen, der vergeht und stirbt, und einen überweltlichen, der ewig währt. Der King of Pop hatte nur einen, und den hat er allmählich in einen alabasterfarbenen, genderlosen Körper verwandelt, den er an einem der Welt enthobenen Ort versteckte, der Neverland Ranch.
Die National Portrait Gallery in London widmet Michael Jackson nun eine Ausstellung, oder genauer, den Arbeiten der Gegenwartskunst, die sich mit dem 2009 verstorbenen Musiker befassen. Titel der Schau: "On the Wall", in Anlehnung an Jacksons Album von 1979, "Off the Wall".
Die Vormachtstellung im Pop hatte Michael Jackson seit den 80ern, und während diese Geschichte zu Genüge erzählt ist, sei die Geschichte von seinem Einfluss auf die bildende Kunst bisher unerzählt, schreibt der Kurator Nicholas Cullinan. Jacksons Karriere lässt sich auch anhand von Kunstwerken nachzeichnen: Am Anfang steht Andy Warhols Porträt, in gewohnter Spät-Warhol-Manier gemalt. Von seinen selbstgemachten Superstars der New Yorker Untergrundszene hat sich Warhol zu jener Zeit schon längst entfernt und malte fortan nur noch die Stars, die eh jeder kannte. Hier Jackson als Ikone, in Primärfarben, lächelnd, flach. Das Werk kann man aber auch zynisch lesen, der junge Mann und sein Lächeln als Ware. Denn hier war Jackson längst berühmt, und eigentlich war er nie etwas anderes seit seiner Zeit mit der Familienband, den Jackson 5. Gerade noch zu erkennen auf Warhols Gemälde ist die rote Lederjacke aus dem Musikvideo zu "Thriller" vom gleichnamigen Album, zwei Jahre zuvor erschienen.
Besonders in seiner späteren Inkarnation und auf der Höhe seines Ruhms, in den 90ern, kann man Jackson eine gewisse Hybris unterstellen. Er sang bei Auftritten von erhöhten Positionen wie von einer Kanzel Songs, die kaum noch an den funkinfizierten Pop der frühen Jahre erinnerten. Nicht mehr nur Popkönig, sondern gleich eine Art Popchristus, der in "The Earth Song" sich als Weltenretter in Szene setzte.
Zugleich veränderte er sein Äußeres und wurde zu einem ätherischen Kunstwesen, und es war gar nicht klar, ob er sich hier endlich von seinem übermächtigen Vater emanzipierte oder eine Wand gegen die feindliche Außenwelt aufbaute – oder eben beides.
Dazu kam Realitätsflucht: Der Star kaufte ein Anwesen und nannte es Neverland Ranch. Der Rückzugsort ist benannt nach der Insel Neverland aus "Peter Pan", der Geschichte von einem Jungen, der nicht erwachsen werden will. Für seine Arbeit "Neverland" von 2001 hat Jordan Wolfson Aufnahmen von einem Auftritt Jacksons auf seiner Ranch aus dem Jahr 1993 genommen, und alles aus den Bildern mit hautfarbenem Beige überretuschiert, bis nur noch die traurigen Augen des Popstars zu sehen sind: einsam an diesem weltabgewandten Ort.
Isa Genzken nimmt für ihre Collage "Wind (Michael/David)" Fotos aus dieser Spätphase Jacksons. Es heißt, Genzken habe mit der Arbeit aus Plastik, Fotokopien und Folie auf Jacksons Tod reagiert, und sie ist Teil einer Serie, die alle den Titel Wind tragen. In der Arbeit zu Michael Jackson stellt sie Bilder des tanzenden Popstars — schwarze Anzughose, weit offenes weißes Hemd, Foto: Annie Leibovitz — zusammen mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Michelangelos "David" und einer Reproduktion von Stefan Lochners "Dreikönigsaltar". Endlich ist er im kunsthistorischen Kanon angekommen, wenn auch posthum.
In den 2000ern kamen immer mehr Skandale hinzu, Vorwürfe, der Sänger habe sich an Kindern vergangen, Gerüchte um finanzielle Schwierigkeiten. Der Tod von Michael Jackson scheint schon eine Ewigkeit her, aber keine Arbeit in der Ausstellung baut eine Brücke ins Jetzt so sehr wie ein Porträt von Kehinde Wiley, der unlängst das offizielle Porträt des US-Präsidenten Obama malte. Es wirkt so gegenwärtig, dabei hat es Jackson selbst kurz vor seinem Ableben in Auftrag gegeben. Ins Bild setzte ihn Kehinde Wiley 2010, und dabei zitierte er Rubens' Gemälde des spanischen Herrschers Philipp II., und zwar bis auf Pose und Kostüm genau, nach allen Regeln akademischer Malerei. Der King of Pop bekommt einen Lorbeerkranz von zwei Engeln, ganz ähnlich wie der spanische König in dem Vorbild. Bei beiden Monumentalgemälden tobt im Hintergrund eine Schlacht. Non sufficit orbis, die Welt ist nicht genug, wählte sich der spanische König im 16. Jahrhundert als Wahlspruch. Wiley malt hier einen König, der genug von der Welt hatte.