In was für einer Welt wollen wir leben? Diese Frage stellt man sich gegenwärtig oft, nicht nur nach zwei Jahren Pandemie, andauernden Dystopien und der nicht enden wollenden Verzweiflung an der Menschheit. Die Frage ließe sich auch anders formulieren: Wollen wir überhaupt noch auf dieser Welt leben? Das zumindest suggerieren große Tech-Oligarchen seit langem. SpaceX unter Elon Musk plant die Invasion des Mars, und wer den Film "Ready Player One" von Steven Spielberg gesehen hat, weiß, dass man selbst einer völlig derangierten runtergerockten Welt entkommen kann, wenn es ein Metaversum gibt. Ein digitales Universum, das mit mehr oder weniger all den tollen Vorzügen daherkommt, die eine "normale" Welt auch im Angebot hat. Wie "Second Life", nur ein bisschen besser.
Der Begriff Metaverse wurde in der Science-Fiction der 1990er-Jahre geprägt. Erst durch Neal Stephenson in "Snow Crash“. Später auch von Tad Williams in seiner Reihe "Otherland". Ernest Cline veröffentlichte die Romanvorlage zu dem Film "Ready Player One" im Jahr 2011 und kommt "unseren Wunschvorstellungen" des Metaversums wohl am nächsten.
Nun möchte Facebook den Begriff und das Konzept Metaverse für sich beanspruchen. Im Oktober verkündete Mark Zuckerberg, dass das Mutterunternehmen Facebook Inc. sich in Meta umbenennen würde. Einen ähnlichen Move fabrizierte einige Jahre zuvor schon Google, als das kalifornische Unternehmen sich in Alphabet umbenannte. Ob das nun Ablenkungstaktik ist, weil unter anderem dieses Jahr die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen als Whistleblowerin wieder unzählige, unerträgliche, strukturelle Unmenschlichkeiten im Unternehmen zutage brachte oder eine langfristige Konsolidierung der einzelnen Assets wie Instagram, WhatsApp, Oculus und Facebook auf dem Plan steht – ist eigentlich auch egal. Die Taktik erinnert ein bisschen an Dorothee Bär. Wer strategisch und argumentativ ins Schwimmen kommt, verspricht am besten Flugtaxis oder Kuchen für alle.
Virtuelle Eskapismus-Welt
Facebook selbst fühlt sich schon lange wie eine Altherrenkneipe neben dem stillgelegten Bahnhof an. Es riecht miefig und so richtig viel los ist da auch nicht mehr. Von der Demokratiefeindlichkeit mal ganz zu schweigen: Trump, Brexit, Bolsonaro, Lynchmorde an muslimischen Minoritäten in Indien. So etwas darf nie vergessen werden. Instagram ist ebenfalls ein Hort der Oberflächlichkeiten und Anleitung zur psychologischen Selbstzerstörung von jungen Menschen. Da tut ein Rebranding vielleicht mal ganz gut. Und nun jazzt man das Metaverse auf die Agenda, das aber in etwa das gleiche Heilsversprechen ist wie Smart Cities mit vollautonomer Infrastruktur oder eben Flugtaxis. In der Theorie alles machbar. Eine Frage ist die Zeit, aber noch wichtiger: Brauchen wir das überhaupt?
Laut Meta soll das Metaverse die virtuelle Eskapismus-Welt schlechthin werden. Konzerte von Bands wie Coldplay sollen dort stattfinden, genauso wie Business-Meetings, Dates und Games. Hier könnte auch die Virtual-Reality-Marke Oculus endlich einspielen. Dann säßen wir wie in "Ready Player One" wirklich daheim mit VR-Helm und müssten gar nicht mehr vor die Haustür.
Online-Marketing-Expert:innen geben jetzt schon eifrig Workshops über Potenziale des Meta-Marketings, und alle wollen irgendwie daran teilhaben. Ein bisschen wie bei NFTs, und selbst das fühlt sich bereits an, als wäre es fünf Jahre her. Wer über die Feiertage Zeit hat, beziehungsweise es noch nicht getan haben sollte, schaue sich die knapp anderthalbstündige Präsentation von Meta an:
Es fühlt sich an wie ein arrogantes Architektur-Rendering für privilegierte Townhouses. Mehr cringe geht nicht. Mittendrin der holzige und kauzige Mark Zuckerberg. Aber wie ich finde, sieht es auch grafisch richtig kacke und uneinladend aus. Da sollen wir unsere Zukunft verbringen? Hier soll Kunst und Kultur passieren und uns Menschen noch näher zusammenbringen? Um es mit Tocotronic zu sagen: "Aber hier leben? Nein, danke!"
Ein Unternehmen wie Meta hat mittlerweile natürlich die Macht und das Geld, einer Mehrheit so eine Idee nahezubringen oder auch aufzuzwingen. So wie es Facebook mit dem Internet in Indien auch bereits gemacht hat. Dort ist das soziale Network bereits das WWW, quasi wie Uhu oder Tempo, nur mit schlimmeren Implikationen. Vergessen wir dabei nur eine Sache nicht: Gut möglich, dass im 84. Corona-Lockdown virtuelle Realitäten wie Metaverse eine Option darstellen. So wie Fortnite plötzlich auch Ort für große Konzerte war. Aber nicht erst seit heute gilt: Niemals sollte man gratis sein privates Leben einem undemokratischen Werbeunternehmen, das Kriminellen eine Plattform bietet, freiwillig unter die Nase reiben. Und das Metaverse wird natürlich ein sogenannter wallet garden werden und versuchen jedem und jeder Zeit und Geld aus der Tasche zu ziehen, alle bis ins Letzte zu durchleuchten und persönliche Daten zu missbrauchen. Machen sie bereits. H&M glauben wir von heute auf morgen ja auch nicht, dass sie nachhaltige Slow Fashion machen, nur weil es auf einem Plakat steht.
Kommunikation, das ist eine bittersüße Erkenntnis, ist ein gesellschaftliches Gut. Dafür gilt es heute wieder zu kämpfen. Letzten Endes hilft da nur eine Sache, und das habe ich in dieser Kolumne schon einige Male geschrieben: Meiden Sie Facebook, Instagram, WhatsApp und auch das Metaverse. Und vermeintliche Alternativen wie Telegram und TikTok sind keine. Um eine bessere CO2-Bilanz zu haben, reicht es auch nicht, die Airline zu wechseln.