Herr Dullaart, Sie haben im Jahr 2014 für 5.000 Dollar 2,5 Millionen Follower gekauft und auf Protagonisten in der Kunstwelt verteilt, so dass ausgewählte Galerien, Künstler, Magazine und Kritiker alle auf 100.000 Follower kamen. Wie lief das ab?
Ich wusste, dass es möglich ist, Follower zu kaufen. Anfangs kaufte ich Follower aus Recherchegründen weil ich mich mit neuen Typen von Materialität mit Bezug zur Fotografie beschäftigte. Wenn man etwas kaufen kann, kann es als Material gesehen werde. Damals lief das noch über eBay, was heute meines Wissens nach nicht mehr möglich ist. Heute gibt es andere Dienste. Wenn man im Internet auf die Suche geht, landet man auf verschiedenen Websites.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
Ich habe Leute ausgewählt, die ihr Publikum auf Instagram als Bestätigung ihrer Arbeit ansehen. Aber auch Leute, die sich auf Instagram mit Performances befassen. Ich habe mich auf die Suche gemacht, Listen erstellt und das Verhalten einiger Accounts über einen gewissen Zeitraum verfolgt. Sagen wir, Klaus Biesenbach hatte 63.000 Follower. Er brauchte also 37.000, um auf 100.000 zu kommen.
Wie haben die Beschenkten reagiert?
Es war seltsam. Unter den Betroffenen waren einige meiner Freunde. Der Galerist Zach Feuer hat damals versucht, Instagram anzurufen, damit sie seinen Followerzuwachs stoppen. Er konnte nämlich plötzlich nicht mehr sehen, wer sich unter seinen Followern tatsächlich für seine Galerie interessiert.
Er hätte aber auch einfach seinen Account für eine Weile privat stellen können.
Genau. Wenn man um zehntausende Follower innerhalb einer Woche wächst, sind das vielleicht 80 pro Minute. Das Smartphone steht also nicht mehr still. Einige Leute waren total genervt davon und fragten sich, was los ist und wer dahintersteckt. Dass es sich um eine Intervention von mir handelte, war nicht bekannt. Außerdem war ich selbst betroffen. Erst als ich den Video-Essay über "High Retention, Slow Delivery" veröffentlichte, habe ich mich dazu bekannt.
Einige waren sehr verärgert. Erst später haben die Betroffenen die Geste zu schätzen gewusst. Als es passierte, waren sie in einem Konflikt, schließlich war das so etwas wie ein Fauxpas, über den man nicht öffentlich spricht. Der Kritiker Brian Droitcour hat folgenden Satz in seinem Profil vermerkt: "Approximately 95% of all my followers are bots that Constant Dullaart bought for me as a prank."
Amalia Ulman war auch davon betroffen. Zu diesem Zeitpunkt lief ihre Performance "Excellences & Perfections", in der sie weibliche Stereotype auf Instagram zum Thema macht. War das ein Zufall?
Für sie war es seltsam. Sie dachte zuerst, jemand würde sie trollen. Schließlich fand sie heraus, dass es sich um ein Kunstwerk von mir handelt. Ich kannte sie nicht persönlich, ihre Performance war nicht angekündigt und ich dachte, sie sei jemand, der auf sehr schamlose Weise versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen.
Die beiden Werke ergänzen sich. Auf der einen Seite die falsche Identität, die dann auf der anderen Seite auch noch durch falsche Follower Aufmerksamkeit und Bestätigung bekommt.
Kommentatoren haben den Zusammenhang nicht gesehen. Vielleicht ist es zu komplex?
Vielleicht waren Sie mit Ihrer Intervention zu früh dran? Heute ist ständig von so genannten Influencern die Rede, die Follower und Likes kaufen. Haben Sie darüber nachgedacht, Ihre Arbeit fortzusetzen?
Letztes Jahr habe ich versucht, Kontakt zu Instagram aufzunehmen. Sie waren nicht daran interessiert, den Vorgang rückgängig zu machen und die von mir gekauften Follower zu entfernen. So hätte die Performance einen zeitlichen Rahmen gehabt. Die Fake Follower bleiben jetzt offenbar für immer.
Hat Instagram nicht vor drei Jahren schon Bots gelöscht?
Genau, das war wenige Wochen nach meiner Intervention. Einige Leute wiederum dachten, das sei die Folge meiner Intervention. Das weiß ich aber nicht, das Kompliment möchte ich mir selbst nicht machen. Jedenfalls wurden damals 50 Prozent der Follower gelöscht, die ich gekauft hatte. Mir selbst folgen trotzdem immer noch ungefähr 50.000 Bots.
Sind hohe Followerzahlen in den sozialen Medien heute das Pendant zu hohen Preisen auf dem Kunstmarkt? Ein Ausweis von Qualität, weil eine Zahl diese scheinbar bestätigt?
Ja. Als ich vor einiger Zeit den Sammler Stefan Simchowitz traf, schaute er sich mein Instagram und sagte sofort, dass es auf der Plattform eigentlich mehr Fotos geben müsste, unter denen sich mein Name als Hashtag findet. 400 waren es, er sagte, es sollten eigentlich über 1.000 sein. Offenbar spielen auch Erwähnungen in den sozialen Medien eine Rolle.
So wie Berichte in den Medien?
Genau, Erwähnungen in Form von Ausstellungsansichten in den sozialen Medien. Dabei ist das etwas, das so leicht gefälscht werden kann. Mein Hintergrund ist die Netzkunst, da ging es einst um Besucherzahlen auf Websites. Wir könnten jetzt ein sehr langes Gespräch über Marshall McLuhan führen.
Welche Auswirkungen hat das auf die Kunst? Wenn Künstler auf Instagram erfolgreich sein wollen, müssen sie entweder schon bekannt sein, instagrammige Kunst machen oder Follower kaufen.
Das ist eine komplexe Frage. Mit meiner Intervention ging es mir darum zu zeigen, dass es viele Leute gibt, die sich dem Medium anpassen. Menschen werden abhängig von der Bestätigung, die sie durch Likes bekommen und unternehmen viel, um diese Klicks weiterhin zu bekommen. Facebook und Instagram verdienen ihr Geld damit, dass sie uns das Gefühl geben, weniger allein zu sein. Wir möchten das Gefühl haben, Teil einer Gruppe zu sein. Wir möchten das Gefühl haben, dass uns jemand zuhört. Menschen passen sich also an. Das kann bedeuten, dass sie einfachere künstlerische Arbeiten produzieren, die catchy sind.
Mittlerweile verlassen aber auch Menschen Facebook. Gründe dafür gab es besonders im letzten Jahr genug, man denke nur an den Datenskandal und die Beeinflussung der Wahlen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass die sozialen Medien uns für den Rest unseres Lebens dominieren.
Arbeiten Sie weiter mit den sozialen Medien?
Ja, ich beschäftige mich weiter damit. Aktuell recherchiere ich weiter zum Thema Fake Accounts. Ich schreibe gemeinsam Gedichte mit ihnen. Die Arbeit kann auf der Website attention.rip angesehen werden. Ich schreibe also Gedichte, die die Armeen der Instagram-Accounts rezitieren, die eigentlich angelegt wurden, um zu folgen, zu kommentieren und zu liken. Jeder Account postet eine Zeile in das Kommentarfeld von beispielsweise öffentlichen Einrichtungen. Da diese Accounts bisweilen schnell gelöscht werden, wird jedes Gedicht durch webrecorder.io archiviert.
Da ist dann ein Bild, hunderte Leute kommentieren, wenn man sie nacheinander liest, ergeben die Kommentare ein Gedicht. Ich wiederum trage die Gedichte in Lesungen vor.
Fake Accounts werden in der Regel eher als so etwas wie eine Waffe eingesetzt. Das haben sie in einer anderen Arbeit gezeigt.
Mich interessiert nach wie vor, was Identität bedeutet und wie sie heute konstruiert werden kann. Man kann eine Identität wie Amalia Ulman performen, man kann aber auch 20.000 Identitäten erschaffen, wie ich es im Rahmen meiner Arbeit "The Possibility of an Army" gemacht habe.
Was haben Sie mit Ihrer Armee gemacht?
Ich habe eine Waffe gebaut, die ich nicht abgefeuert habe, weil es ethische Einwände gab. Was sollen sie liken? Was sollen sie kommentieren? Wir haben in letzter Zeit gesehen, dass andere Leute ähnliche Waffen einfach abgefeuert haben. "The Possibility of an Army" ist ein Jahr vor der amerikanischen Wahl entstanden. Für mich ist es jetzt interessant, ähnliche Kampagnen in kleinerem, poetischem Rahmen umzusetzen. Poesie statt Politik.
"100.000 Followers for Everyone" ist noch bis 10. Juni im Foam Museum in Amsterdam zu sehen.