Wim Wenders im Interview

"Meine Fotografie tut den Filmen gut"

Berlin (dpa) - Nach «Pina» bringt Wim Wenders erneut eine Dokumentation ins Kino - dieses Mal über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado und dessen atemberaubende Bilder. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht Wenders über die Wahrheit großer Fotografie und welchen Einfluss Fotografie auf seine filmische Arbeit hat.

Mit ihren Filmen haben Sie sich international einen Namen gemacht. Was jedoch weit weniger Menschen wissen, ist dass Sie auch als Fotograf arbeiten und Ihre Bilder in Ausstellungen zu sehen sind. Was bedeutet Ihnen die Fotografie?

Die Geschichte der Malerei und der Fotografie sind für mich immer ein wichtiger Einfluss auf meine filmische Arbeit gewesen. Das Fotografieren nimmt inzwischen einen großen Teil meiner Zeit ein und ist zu meinem zweiten Leben geworden. Was den Filmen gut tut. Die dauern ja heute eh immer ein paar Jahre, aber jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, auf irgendwas warten zu müssen. Ich kann mich zwischendurch monatelang auf die Fotografie konzentrieren.

Ihre Frau ist ja auch Fotografin. Welchen Einfluss hat Sie in dieser Hinsicht?

Einen großen. Wir sind uns gegenseitig die ersten Kritiker, aber auch die engsten Vertrauten. Wenn ich drehe, ist Donata ja auch als Standfotographin immer mit am Set, so dass sie ihrerseits auch immer alles aus erster Hand mitkriegt.

Nun widmen Sie sich in Ihrem Dokumentarfilm «Das Salz der Erde» dem Brasilianer Sebastião Salgado, einem der renommiertesten Fotografen der Gegenwart. Warum haben Sie sich nach «Pina» entschieden, wieder eine Doku zu drehen - und dieses Mal in Ko-Regie mit Salgados Sohn Juliano?

Man kann nicht sagen, dass ich das wirklich «entschieden» habe. Das hat sich so ergeben. Die Filme überlappen sich ja auch immer. Ich kenne Salgado seit vielen Jahren, und er hat mich ganz direkt gefragt, ob ich seinen Sohn und ihn bei dem großen Projekt «Genesis» begleiten könnte. Daraus ist dann im Laufe von zwei Jahren ein langer Film über seine ganze Karriere geworden. Das ist das Schöne an Dokumentarfilmen: Sie haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, und man kann das nicht immer so im Voraus planen.

Was unterscheidet Salgado Ihrer Ansicht nach von anderen Fotografen unserer Zeit?

Andere Fotografen sind ein paar Tage in einem Krisengebiet, oder nur ein paar Stunden. Salgado hat oft Monate zugebracht, um die Menschen dort kennenzulernen. Oder er war über viele Jahre immer wieder in einem Land. Seine großen Projekte, wie «Exodus» über Völkervertreibungen und Verfolgungen, oder «Workers» über Schwerstarbeit in der ganzen Welt, die haben jeweils acht bis zehn Jahre gebraucht. Kein anderer hat sich immer so viel Zeit gelassen und sich dermaßen auf die Menschen und die Regionen eingelassen, wo er hingereist ist.

Haben Sie ein Lieblingsfoto von Salgado? Wenn ja: Was fasziniert Sie daran?

Bevor ich Sebastiao Salgado kannte, vor über 20 Jahren, habe ich zwei Fotografien von ihm in einer Galerie gekauft. Beide hängen seitdem in meinem Arbeitszimmer. Eines zeigt eine Tuareg-Frau, die mit einer unglaublichen Würde und Schönheit, aber auch mit einem großen Schmerz aus dem Bild herausschaut, und erst auf den zweiten Blick ahnt man, dass sie erblindet ist. Das andere zeigt Arbeiter in einer riesigen offenen Bergwerksgrube, einer gewaltigen Szenerie, die einem wie aus biblischen Zeiten vorkommt. Das Ergreifende an beiden Bildern ist für mich ihre Wahrheit. Solche Fotos macht man nicht im Vorübergehen, sondern nur, indem man sich mit diesen Menschen und diesen Situationen lange befasst und identifiziert. Deswegen auch unser Filmtitel: «Das Salz der Erde». Salgado ist wie kaum ein anderer der Chronist des Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts. Das sind WIR in seinen Bildern: die Menschheit.

ZUR PERSON: Wim Wenders, 1945 in Düsseldorf geboren, wurde mit der Romanverfilmung «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» Anfang der 1970er Jahre einem größeren Publikum bekannt. Es folgten international anerkannte Werke wie «Paris, Texas», «Der Himmel über Berlin», «In weiter Ferne, so nah!» sowie die Dokumentationen «Buena Vista Social Club» und «Pina». Der 69-jährige Regisseur war für zwei Oscars nominiert und gewann unter anderem die Goldene Palme in Cannes und den Deutschen Filmpreis.
«Das Salz der Erde» kommt am 30. Oktober in die Kinos.