In den vergangenen Tagen hat der Fotograf Luigi Toscano Anrufe aus der ganzen Welt bekommen. Viele der Gesprächspartner waren aufgebracht bis wütend. Ob er das denn gesehen hätte? Die Ausstellung in Essen?
Worauf die Anrufer anspielten, war die Foto-Schau "Survivors - Faces of Live After The Holocaust", die in dieser Woche mit größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit und einer Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wurde. Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hat der deutsche Starfotograf Martin Schoeller in Israel 75 Überlebende des Holocaust porträtiert. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt der Stiftung für Kunst und Kultur Bonn mit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Sie soll auf Reisen gehen und weltweit gezeigt werden. Zur Eröffnung in Essen wurde der Auschwitz-Überlebende Naftali Fürst mit einer Maschine der deutschen Luftwaffe aus Tel Aviv eingeflogen.
Dass die Erinnerung an die Opfer des Holocaust unbedingt wach gehalten werden muss, sollte sich von selbst verstehen. Fotografie spielt dabei eine zentrale Rolle, weil sie einerseits das Vergängliche dauerhaft macht und gleichzeitig (wie Susan Sontag schrieb) die Sterblichkeit ihrer menschlichen Motive immer schon mitdenkt und manifestiert. Es ist bewegend, in die 75 Gesichter zu schauen.
Zu groß, um einem Menschen zu gehören
Vielen Betrachtern kam das Schoeller-Projekt sowohl inhaltlich als auch ästhetisch jedoch ziemlich bekannt vor - und deshalb riefen sie Luigi Toscano an. Der deutsch-italienische Fotograf lichtet seit 2016 Holocaust-Überlebene für seine Serie "Gegen das Vergessen" ab. 400 Gesichter und Geschichten hat er inzwischen gesammelt, zum Teil standen dieselben Personen vor seiner Kamera wie bei Schoeller. Meist hängen Toscanos plakatgroßen Fotos im öffentlichen Raum, unter anderem wurden sie bereits vor der UN-Zentrale in New York und in Berlin, Mannheim und Kiew gezeigt. In Wien wurden die Porträts im vergangenen Jahr mehrfach mit Hakenkreuzen beschmiert. Daraufhin bewachten Freiwillige die Kunstwerke rund um die Uhr.
Könnten Martin Schoellers "Survivors" in Essen also Plagiate sein? Monopol erreicht Luigi Toscano in Düsseldorf. Der Fotograf ist entspannter als seine internationalen Anrufer. "Martin Schoeller hätte sich ruhig mal bei mir melden können", sagt er. "Aber ich möchte niemandem böse Absicht unterstellen". Toscano ist sich bewusst, dass auch er nicht der erste ist, der die Überlebenden des Holocaust fotografiert hat. Das Thema ist zu groß und zu wichtig, um einem Menschen zu gehören.
Aber Toscano legt Wert darauf, dass sein Konzept über das Aufhängen von Bildern in einem Museumsraum hinausgeht. Ihm ist es wichtig, die Bilder im öffentlichen Raum zu platzieren und mit einem Vermittlungsprogramm möglichst viele Menschen zu erreichen, besonders Kinder und Jugendliche. "Es gehört mehr dazu, als nur Bilder zu zeigen", sagt der Fotograf. Heute kommen auch auf ihn internationale Partner zu - von einer so üppig geförderten Ausstellung wie die "Survivors" in Essen konnte er zu Beginn seines Projektes allerdings nur träumen. "Wir haben von der Hand in den Mund gelebt", sagt er. "Ich bin auf eigene Faust um die ganze Welt gereist, um Überlebende zu treffen."
In ihrer Rede zur Eröffnung von Martin Schoellers Schau in Essen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass das Fotoprojekt ein intensives Vorhaben gewesen sei, bei dem mit jeder der Personen auf einzigartige Weise interagiert wurde. Auf persönlicher Ebene stimmt das sicher. Ein einzigartiges Projekt an sich ist die Ausstellung in Essen aber nicht.