Es ist, als hätten sich Ed Atkins' gefühlsübermannte Computerkörper in den letzten Jahren gerade noch zusammengerissen. In den Videos des 35-jährigen Briten wurde geseufzt, gesummt und gebeichtet. Es saßen gebeutelte Avatare einsam in hochaufgelösten digitalen Räumen und ließen leicht verwest wirkende Flugreisende ihre programmierten Körperteile und Körpersäfte durchleuchten.
Die ganze Wucht des virtuellen Verfalls entfaltet sich jedoch erst in Atkins' neuester Ausstellung "Old Food" im Berliner Martin-Gropius-Bau. Auf insgesamt 89 Monitoren lassen seine animierten Protagonisten den digitalen Sekreten freien Lauf. Empfangen werden die Besucher von den viskosen Schleimtränen eines Photoshop-glatten Babys, gefolgt von einem monströs vereiterten Altmännergesicht, das sich schluchzend aufzulösen scheint.
Atkins lässt seine Charaktere den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie des Social-Media-Zeitalters folgen, kein Trick ist ihnen zu billig, um bei den Betrachtern Mitgefühl mit ihrer verkorksten Bildschirmexistenz oder wenigstens ein wenig Ekel vor den präsentierten HD-Wunden auszulösen. Da robbt ein halb verrotteter Mittelalterbarde durch einen synthetischen Märchenwald, da kracht ein Riesenbaby wie ein Torpedo in eine Holzhütte, um dort klagende Klavierakkorde anzustimmen.
Dass es sich bei digitalen Bildern um hochmanipulative Pixelhaufen handelt, hat Atkins schon in seinen früheren Arbeiten deutlich gemacht, diesmal verankert er seine gequälten Avatare jedoch in einer breiteren Kulturtradition. Den Bildschirmen sind im Gropius-Bau meterweise Kostüme aus dem Fundus der Deutschen Oper gegenübergestellt, deren Materialität nicht nur die Raumakustik veredelt, sondern auch die Frage aufwirft, was die Kreaturen auf den Screens eigentlich von denen auf der Theaterbühne unterscheidet. Sind nicht alle erdachten Figuren Avatare, zum Publikumsvergnügen herumgeschubst, mit Projektionen belegt und mit digitalen oder textilen Oberflächen überzogen? Sind zeitreisende Heldenfiguren in der Oper weniger künstlich als die Idee von Tod und Verwesung im virtuellen Raum?
"Old Food" beweist, dass derzeit niemand die Verquickung von vergänglichen Körpern und der vermeintlich unsterblichen Virtualität so virtuos beherrscht wie Ed Atkins. Die Ausstellung führt jedoch auch die Obsession des Künstlers mit weißen männlichen Figuren fort, die den allergrößten Teil seiner Werke bevölkern und deren Omnipräsenz zunehmend irritierend wirkt. Zwar zeigen seine Videos eine zerbröselnde, selbstmitleidige Männlichkeit, die einigen Heldenkostümen auf den Kleiderstangen entgegensteht. Trotzdem trägt er den Topos des um sich selbst kreisenden Mannes ins Digitale hinein – und besetzt einen erst einmal unparteiischen Raum mit Klischees der analogen Welt. Geplagte und geprüfte Männer als Zentrum der Welt gibt es zwischen den Buchdeckeln und auf den Theaterbühnen wahrlich genug.