Der "Juggernaut" erspäht seine Beute zielsicher: Kunstfreunde. Seine Sensoren registrieren sofort, wer sich ihm nähert und setzt einen Motor in Gang, durch den sich das massive Maschinenwesen mit ratternden Stahlgliedern und dem Gewicht von zwei PKW in unberechenbaren Volten auf sein neugieriges Publikum zubewegt. Denn der seinem Namen nach alles vernichtende Apparat – als Juggernaut bezeichnet man im Englischen eine solche, im Aussehen nicht näher definierte Macht – ist eine menschengroße Kugel, gefertigt aus schwerem Metallgitter. Wer ihr nicht rechtzeitig ausweicht und zur Seite springt, wird überrollt.
"Killerball von Helsinki" nannte das Tech-Punk-Magazin "Wired" die kinetische Skulptur des finnischen Bildhauers Markus Copper (1968–2019) in einem zeitgenössisch krawalligen Artikel von 1995. Copper war gerade 26 Jahre alt, und seine Kunst traf offenbar den Nerv nicht nur dieser Leserschaft. Auch MTV schaute bei ihm vorbei und ließ ihn von Kunstwerken erzählen, die nicht mehr Objekt sein müssten, sondern sich selbst zum Subjekt ihrer Zuschauenden erheben.
Es war die Zeit von Techno, Musikfernsehen und ersten massenwirksamen Videospielen. Das Ende der Geschichte schien nah, Technik war aufregend, gefährlich, wunderbar, im Guten wie im Schlechten zunehmend menschenzentriert. Und die Idee eines Spielgeräts, das potenziell lebensgefährlich ist, schien wie das perfekte Sinnbild für die aufziehende Millennial melancholy.
Der perfekte Schurke der Kunst
Markus Copper war mittendrin, wahlweise als nordwesteuropäischer Bösewicht oder traumbesetzter deutsche Existenzialist aus einem Hollywood-Film. Er saß in der riesigen Atelier-Halle seiner Kunstakademie, umgeben von schwerem Gerät, Metall und einem offenkundig übersprudelnden Vorstellungsvermögen, das im Hintergrund schon ausheckte, welche perfiden Dinge er im Namen der Kunst als nächstes auf die Menschheit loslassen könnte. Was der Künstler an dieser Stelle verschwieg, war der Umstand, dass er die selbstproduzierten Gefahren mit diebischer Freude einhegte: Der Juggernaut beispielsweise befand sich hinter einer Stahlwand, die von denen, die sich ihm todesmutig nähern wollten, erst durch einen Code geöffnet werden müsste. Wenn es den Begriff steelpunk noch nicht gab, man hätte ihn damals erfinden müssen.
"The taste of metal" heißt denn auch die Retrospektive in der finnischen Nationalgalerie für zeitgenössische Kunst Kiasma, in der sich Coppers Werk gerade wiederentdecken lässt. Der "Juggernaut" steht zur Begrüßung gleich hinter der Tür. Fürchten muss man ihn aber nicht mehr, er wurde wie zahlreiche andere Arbeiten entschärft, wenn nicht vom Künstler selbst – Markus Copper deaktivierte oder zerstörte zahlreiche seiner Werke kurz nach Fertigstellung –, dann vom Museumsteam.
Das schmälert den Schrecken allenfalls marginal: Peng!, knallt eine Guillotine im Anschauungsvideo herunter - wie um zu belegen, dass Coppers technisch ausgeklügelte Kontraptionen auch wirklich funktionieren, wenn sie sollen. Der ebenfalls im Video befindliche Mitarbeiter scheint bemüht, unbeeindruckt zu bleiben.
Angstlust und Spieltrieb
Die Angstlust, der Maschinen Untertan zu werden, zieht sich durch einen guten Teil von Coppers Kunst. Sie erscheint heute aufregend in ihrer Direktheit, Unverblümtheit, der Spiellust ihres Erschaffers. Frühere Videoarbeiten zeigen, dass der 1968 in Helsinki geborene Finne auch in seinen Performances starke Präsenz entwickelte. Laut, grell, nackt, sehr lustig ging es mit seinen Weggefährten wie dem Bildhauer Kimmi Schroderus zu, den er in einer Arbeit in Stoff gehüllt durch den Ausstellungsraum schleift. Ein dionysisches Spektakel, in dem sich offenbar niemand zurückhielt, gute Ideen nicht aufgespart, sondern gnadenlos reingebuttert wurden. Bis sich Markus Copper bald neuen Formen zuwandte: Als er gelangweilt wurde von sich selbst, ließ er die Maschinen performen.
In der obersten Museumsetage haben die riesigen kinetischen Skulpturen Platz gefunden, die der Bildhauer Ende der 1990er- und bis weit in die 2000er-Jahre ersonnen und angefertigt hat. Hier sind sie außerdem in Aktion, wenn auch nicht dauerhaft, sondern im Wechsel miteinander: Sie scheppern und pumpen sich in die Höhe oder lassen tiefe Frequenzen erklingen, die an Walgesang erinnern ("Archangel of the Seven Seas", von 1998, ist bis heute eines der beliebtesten Kunstwerke der Kiasma-Sammlung).
Aus orangefarbenem Gerüst erhebt sich die "Whaling station", den Häutungsmaschinen gefangener Wale nachempfunden, die eine mehrstufige Konstruktion wie einen Blasebalg mit Luft füllt und wieder in sich zusammensacken lässt. Es sind schwarze Lederjacken, die Copper hier zusammennähte, um sie mechanisch zu beleben, Referenz an die Obdachlosen im Hafen von Helsinki, die dort in ebensolchen Jacken lagen und sich mit den Tierhäuten wärmten und schützten.
Existenzielle Arbeiten über vergessene Schicksale
Auch sonst widmet sich Copper jenen, deren Schicksal man sonst selten im Kunstzusammenhang begegnet: Der Besatzung des russischen U-Boots Kursk, die wahrscheinlich auch deshalb sterben musste, weil Russland ausländische Unterstützung lange ablehnte. Ihre Anzüge hängen wie Gespenster im äußersten Winkel des Ausstellungsraums. Eine andere gigantische Skulptur widmete der Künstler afghanischen und pakistanischen Frauen – der Kern der Arbeit, ein Turm aus handgeformten Tonziegeln, darauf genitalverstümmelte Vaginen, drohte allerdings bei längerem Gebrauch tatsächlich zu bersten, weshalb es hier wieder nur ein Video zu sehen gibt. Es sind existenzielle Arbeiten, die noch immer etwas wollen von ihrem Publikum, die es nicht in Ruhe lassen.
So wandelte sich Coppers Werk binnen weniger Jahre von Kunst, die mit ihrer Gefährdung für Leib und Leben flirtete, zu einer Kunst, die immer wieder um Verletzbarkeit und Sterblichkeit ebenjenes Lebens kreist. Als spüre Copper permanent einer Geschichte der Gewalt nach, die die Menschheitsgeschichte stets auch war, in kleinen wie in großen Zusammenhängen, in der der relativ großflächige Frieden und Wohlstand ein schöner Ausnahmezustand blieben, und es erscheint, als wollte er sich damit nicht abfinden.
"This art hates you!", titelte mal ein Magazin über den Künstler, und so behauptete er es ja auch in seinen frühen Jahren selbst gern, aber es ist nicht schwer, etwas ganz anderes zu entdecken. Liegt nicht gerade in dieser ungestümen Kompromisslosigkeit, in dieser manchem naiv erscheinenden Weigerung, vom Einzelnen zu abstrahieren, stattdessen jeden Einzelnen zu beklagen, etwas anrührend Aufrichtiges?
Eine Bombe als Geschenk
Man hätte gern gewusst, wie sich die mächtigen, durchgehend handgefertigten Maschinenwesen in den jüngeren XXL-Sektionen einer Kunstmesse gemacht hätten. Kurz nachdem seine großformatigen Skulpturen auch international einige Aufmerksamkeit erreichten, wurde es dem Finnen allerdings schon wieder zu langweilig. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er sein Faible für moderne Höhlenmalereien entdeckt: Grelle Neonbilder, die vielleicht von Jugendlichen, Sprayern, anderen Höhlenbegeisterten angefertigt worden sind. Copper spürte sie in verlassenen Bauwerken, Tunneln und Höhlen auf und dokumentierte die Werke in Zeichnungen und Fotografien.
Die Gefahr, die der Künstler einst in die Welt brachte, ist zu diesem Zeitpunkt aber nicht vollständig gebannt. Nach einigen Jahren in Berlin zieht er zurück in den Norden, erst nach Finnland, später nach Dänemark, wo er 2019 stirbt. Ein Jahr später gerät die Polizei von Helsinki plötzlich in helle Aufregung – wegen einer Arbeit, die der Künstler über 20 Jahre zuvor angefertigt und seinen Freunden geschenkt hatte: Eine Bombe, in formschöne Metallskulpturen fragmentiert, die erst scharf werden könnte, wenn all ihre Einzelteile zusammengetragen und aktiviert würden.
Auf die Wette mit dem Nichteintreten dieser Situation wollten die Behörden offenkundig nicht setzen: Das unschädlich gemachte Werk findet sich nun wie eine posthume Pointe zwischen Markus Coppers unzähligen anderen, inzwischen gefahrlosen Gefährlichkeiten.