Zum Tod von Margaret Raspé

Die Automatin

Mit ihren selbstgebauten Helmkameras war die Berlinerin Margaret Raspé eine Pionierin der feministischen Videokunst, die lange übersehen wurde. Im Frühjahr hatte sie einen großen Auftritt im Haus am Waldsee. Nun ist sie mit 90 Jahren gestorben 

Denkt man heute an Go-Pro-Kameras, am besten winzig und an ergonomischen Stirnbändern montiert, drängen sich zuerst Assoziationen an Extreme auf: Aus der Ich-Perspektive sieht man überall im Internet spektakuläre Abfahrten mit Skiern, Saltos mit dem Skateboard oder Fallschirmsprünge aus Flugzeugen. Vollbringer dieser sportlichen Höchstleistungen sind überwiegend Männer. 

Die Berliner Künstlerin Margaret Raspé hatte sich schon in den 1970er-Jahren aus einem Bauarbeiterhelm und einer leichten Agfa-Super-8-Kamera eine ambitionierte Filmausrüstung geschaffen. Was sie zeigen wollte, waren jedoch nicht die Ausnahmezustände, sondern alltägliche Tätigkeiten einer alleinerziehenden Mutter - die sich zum großen Teil in der Küche abspielen. In einer heute revolutionär anmutenden Werkserie filmte sie das Braten eines Schnitzels, den Abwasch, Sahneschlagen oder das Rühren eines Teigs aus der eigenen Draufsicht. Banal, realistisch und gerade dadurch provokant. Raspé nannte sich selbst einen "Frautomat", und wies damit schon vor einem halben Jahrhundert auf die Herausforderung hin, künstlerisches Schaffen und Fürsorgepflichten miteinander zu vereinbaren. 

Raspé, 1933 als Margaret Ranke in Breslau geboren, wuchs in Berlin auf und lebte bis zu ihrem Tod am 10. November jahrzehntelang im Stadtteil Zehlendorf in unmittelbarer Nähe der Kunstinstitution Haus am Waldsee. Als Vermieterin wohnte sie mit bekannten Künstlern wie Günter Brus zusammen, der andere Wiener Aktionisten wie Hermann Nitsch oder Oswald Wiener mitbrachte. Deren Arbeit beeinflusste sie mit ihrer Theorie zu Automaten. Auch mit der Berliner Fluxus-Szene stand sie in Kontakt - ihre eigenes künstlerisches Werk wurde jedoch von der Kunstwelt lange vernachlässigt. 

Verspielt und ökologisch engagiert

Das änderte sich erst Anfang des Jahres mit ihrer ersten Retrospektive im Haus am Waldsee. Dort waren nicht nur die Filme mit der Helmkamera, sondern auch ihre Skulpturen aus technischen Geräten mit organischen Elementen zu sehen - zum Beispiel eine eindrucksvolle Installation aus Fernsehern und Honigwaben. 

Im Werk "Kondensation" (1984/2023) trieb Raspé ihr künstlerisches Spiel mit Haushaltsgeräten weiter: In vier Holzgerüsten steht je ein blauer Kessel auf einer Kochplatte. Das Wasser wird so lange erhitzt, bis Dampf pfeifend aus dem Behälter entweicht. Dieser trifft dann auf hinter den Holzgerüsten aufgespannte Tücher, auf denen Farbpigmente aufgetragen sind – prompt zerfließt die Farbe, und der Wasserdampf beginnt ein Bild zu malen.

Dampf ließ Raspé auch in ihren ökologisch engagierten Arbeiten ab. So in ihrer beklemmenden Performance "Wasser ist nicht mehr Wasser", 1990: In dieser stieg sie, wie Fotos zeigen, in einen Fluss nahe einer polnischen Lackfabrik. Das Wasser ist dort so stark verschmutzt, dass sich ihr Hemd dunkel, fast schon malerisch, einfärbt. Bemerkenswert, dass selbst ihre Berliner Zeitgenossen in den 1970er-Jahren Raspé künst­lerisch nicht wirklich ernst nahmen.

Weitermachen, weitermachen!

Das änderte sich in diesem Jahr durch die große Ausstellung in ihrer Nachbarschaft, die in den Badischen Kunstverein in Karlsruhe weiterwanderte. Laut einer Mitteilung des Haus am Waldsee wirkte sie trotz angeschlagener Gesundheit an der Adaption ihrer Schau in Baden-Württemberg mit. So beendete sie offenbar ein letztes Telefonat mit Karlsruhe mit den Worten "Weitermachen! Weitermachen!"

Das Team des Hauses am Waldsee bezeichnete in seinem Nachruf das Werk von Margaret Raspé als phantasievoll, fordernd, großzügig und anspruchsvoll. "Ihre Radikalität, ihr Scharfsinn und ihr freier Geist, den sie ihr gesamtes Leben bewahrte, haben uns an unzähligen Momenten zutiefst beeindruckt", heißt es weiter. Am 17. Dezember soll ab 16 Uhr im Haus am Waldsee die Publikation zur Ausstellung "Automatik" vorgestellt werden. Diese Veranstaltung soll nun auch ein Anlass zum Gedenken und zur Würdigung einer außergewöhnlichen Künstlerin sein.