Zeichnen, sagt Marc Bauer, sei ein gutes Werkzeug, um den ständigen Fluss von digitalisierten Bildern und Informationen zu verlangsamen und sich bestimmte Sachen genauer anzuschauen. Was er damit meint, hat er erst kürzlich in seiner Ausstellung "Like Comment Share, A Rhetorical Figure" im Istituto Svizzero in Mailand gezeigt. Für die Schau nutzte er den Twitter-Account des ultrarechten Politikers und ehemaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini als Inspiration: Posts von Nutellabroten, Madonnen und Pizza – Dinge, die alle Italiener angeblich lieben. Süße Kätzchen, die symbolisch die linke Grassroots-Bewegung der "Sardinen" jagen und fressen sollen. Bauer transformierte die Tweets zeichnerisch in eine Art absurd-grausames Theater. Zwischen faschistischen Plakaten mit Wolfskopf und populistischen Slogans reihen sich bei ihm blutrünstige Comic-Werwölfe und Goyas Ungeheuer der schlafenden Vernunft ein.
Diese zugleich surreale und absolut realistische Atmosphäre der Bedrohung ist typisch für die Zeichnungsinstallationen des in Zürich und Berlin lebenden Künstlers. Jetzt zeigt Bauer als diesjähriger Gasag-Preisträger seine Ausstellung "The Blow-Up Regime" in der Berlinischen Galerie. Und wieder wird es ein semiotischer Exkurs in eine vor allem männliche, weiße Geschichte der Gewalt und der Unterdrückung – maßgeschneidert für die Ära von Trump und die drohende digitale Diktatur.
Bekannt wurde Bauer durch seinen Werkzyklus "The History of Masculinity" (2006/7), für den er auf Familiendokumente und Fotografien seines Großvaters aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgriff. Die Auseinandersetzung mit männlicher Sexualität und Körperlichkeit verbindet sich in Bauers Werk mit der Thematisierung von Krieg, territorialer und ideologischer Ausgrenzung und Überwachung, Abschottung gegen Migranten und Migrantinnen und Minderheiten.
In das "Unbewusste" der Zeichnung vordringen
Ähnlich wie die Malerei von Gerhard Richter oder Luc Tuymans verbinden Bauers zum Teil wandfüllende Zeichnungen den kühl-analytischen Blick auf verdrängte oder nicht bewältigte Geschichte mit subtiler psychologischer Spannung. "Auf meinen Zeichnungen überlagern sich unterschiedliche Schichten, was ihnen eine gewisse Materialität verleiht", sagt Bauer. "Sie sind nicht klar, nicht sauber. Sie sind immer etwas dreckig und dark." Der Prozess des Zeichnens sei dabei sichtbar, man könne also quasi durch diese Schichten hindurch in das "Unterbewusste" der Zeichnung vordringen.
Dabei arbeitet er in seinen Installationen auch mit Animation und Sound und kooperiert mit den unterschiedlichsten Partnern. Das können Musiker und Musikerinnen, Philosophen und Philosophinnen oder ganze Schüler- und Schülerinnengruppen sein.
Für "The Blow-Up Regime" hat er sich mit der Schriftstellerin Sibylle Berg zusammengetan. Gemeinsam mit ihr hat er Passagen aus ihrem Roman "GRM: Brainfuck" ausgewählt, die die Grundlage zu einer dreiteiligen Raumarbeit zur Geschichte des Internets bilden. Die reicht von Konrad Zuse, dem Erfinder und Künstler, der 1941 in Berlin den ersten Computer der Welt baute, über die fast utopische Aufbruchsstimmung des Internets in den späten 1990ern bis zu KI und digitaler Überwachung im Zeitalter von Amazon.
"Indem wir die Art und Weise verändern, wie wir die Welt abbilden, verändern wir auch die Wahrnehmung der Welt", antwortet Bauer auf die Frage, ob Kunst an der aktuellen Lage etwas ändern könne. "Deswegen nehme ich sie absolut ernst." Also Grund zur Hoffnung? "Ich bin eigentlich ein ziemlich zuversichtlicher Mensch. Aber wenn man sich die augenblickliche Situation anguckt und das, was wir in den letzten Monaten durchgemacht haben, bleibt kaum noch Raum für Optimismus."