Frau Steinbrügge, innerhalb weniger Tage haben Hunderte Kulturinstitutionen eine Erklärung für Solidarität, Offenheit und Vielfalt unterschrieben. In Hamburg saßen erst am Montag 100 Vertreter aus 60 Häusern an einem Tisch. Woher kam der Impuls gerade jetzt?
Wir beobachten schon seit Längerem, wie die Kulturszene in ganz Deutschland mit Anfragen der AfD-Fraktionen überschüttet wird. Auch in Hamburg gibt es immer wieder Anfragen, nach denen innerhalb von drei Tagen Zahlen und Antworten geliefert werden sollen. Dann gab es natürlich die Anfeindungen gegen Olu Oguibes Obelisken in Kassel, und auch Hilke Wagner vom Albertinum in Dresden steht immer wieder unter Beschuss von rechts. Die Rechtspopulisten versuchen, Einfluss auf die Kulturpolitik zu nehmen. Da kann man einfach nicht mehr wegschauen, und das wissen inzwischen auch die meisten.
Haben Sie selbst schon Druck von rechts verspürt?
Wir bekommen immer mal wieder sonderbare Anfragen, und inzwischen ist mir auch klar, dass die wahrscheinlich aus der AfD-Fraktion kamen. Da werden Informationen gesammelt, mit denen sie die Kultur unter Druck setzen und Kulturförderung hinterfragen will. Die AfD und die Identitären stehen ja offen dazu, dass sie eine kulturpolitische Strategie fahren. Auf der Website der Identitären Bewegung steht zum Beispiel: "Wir glauben, dass politische Veränderung nicht nur in den Parlamenten und der Parteipolitik möglich ist, sondern sich ebenso im Kulturbetrieb, den öffentlichen Debatten, den Medien, und auf der Straße abspielt. Wir handeln daher in einer Art vorpolitischem Raum, der den Diskurs bestimmt und somit als Grundlage für direkte und konkrete politische Entscheidungen dient. Wir streiten für einen patriotischen Normalzustand, und unsere Arbeit wirkt daher auf verschiedenste Räume des politischen Lebens." Darin erkenne ich einen Angriff, der offen kommuniziert wird.
An wen richtet sich jetzt Ihre Reaktion darauf? Geht es eher um Ihr Publikum oder die Institutionen untereinander?
Das eine ist, dass wir versuchen, Einigkeit im Kulturbetrieb herzustellen. Wir sagen damit: Wir sind viele und wir vereinigen uns, und das kommunizieren wir auch an unser Publikum. Das andere ist, dass wir alle eine Selbstverpflichtung unterschrieben haben. Diese besteht aus zwölf Punkten, in denen wir uns auch dazu verpflichten, den anderen, die unter Druck geraten, zu helfen. Außerdem geht es darum, kritisch in unserer eigenen Institution zu schauen, ob wir das, was wir an Offenheit und Solidarität verlangen, auch selbst umsetzen. Die Frage wird nun sein, inwiefern aus dieser Erklärung regelmäßige Treffen entspringen. Das wünschen wir uns.
Bedeutet die Erklärung, dass die Kulturinstitutionen all das, was Sie jetzt fordern, vorher nicht gemacht haben?
Natürlich gab es schon immer Solidarität, aber sie war nicht auf diese Weise festgeschrieben. Dass sich Kunstinstitutionen hinsetzen und unterschreiben, solidarisch zu sein, sobald es politisch schwierig wird, das ist neu.
Wie wollen Sie die großen Begriffe Solidarität, Respekt und Toleranz jetzt mit Leben füllen?
In einem Punkt der Erklärung geht es zum Beispiel darum, die Vielfalt im eigenen Arbeitsumfeld zu stärken. Das finde ich enorm wichtig, weil wir in deutschen Kulturinstitutionen noch recht wenig Diversität haben und das Thema erst seit Kurzem diskutiert wird. Da müssen wir genau hinschauen, denn wenn wir eine tolerante, plurale Gesellschaft fordern, dann müssen wir das natürlich auch bei uns unterstützen und können nicht nur nach außen zeigen.
Enthält die Erklärung auch eine Handlungsaufforderung an die Politik?
Nein, und darum geht es auch nicht. Es geht erst einmal darum, zu sagen, warum man gegen die extreme Rechte und den Rechtspopulismus ist. Wir wollen zeigen, dass wir Kulturräume als offene Räume begreifen, die vielen gehören und die nicht unter Deutschtümelei fallen wollen.
Besteht die Gefahr, dass der Begriff der Vielen ein Kampfbegriff wird? Die Rechtspopulisten behaupten ja auch, dass sie die schweigende Mehrheit vertreten.
Unser Name "Die Vielen" ist eine Reaktion auf genau diese Behauptung. Die Demonstrationen für eine offene Gesellschaft der letzten Wochen haben doch gezeigt: Nein, wir sind die Vielen und nicht die schweigende Mehrheit, auf die sich die AfD oder Pegida immer berufen. In Hamburg gibt es inzwischen auch Montagsdemonstrationen, und da stehen 100 Anhänger der Rechtspopulisten 1800 Gegendemonstranten gegenüber, die sagen: Nein, ihr seid eben nicht die Mehrheit.
Ein Vorwurf an Kulturinstitutionen ist ja, dass sie zu weit links stehen und dem Publikum vorgeben, was es politisch zu denken hat. Könnte sich dieser Eindruck durch die Erklärung noch verfestigen, sodass Ihre Angebote bei manchen Menschen gar nicht mehr ankommen?
Da habe ich keine Angst. Ich kann ja nicht zu all dem, was gerade passiert, schweigen, weil ich denke, damit verliere ich die Hälfte meines Publikums. Außerdem erlebe ich das Gegenteil. Wir haben hier im Kunstverein in Hamburg zurzeit die Ausstellung "Klassenverhältnisse", die kritisch auf vieles schaut, was in unserer Gesellschaft passiert, und wir erfahren von allen Seiten, gerade aus der Hamburger Bevölkerung, viel Zustimmung.
Aber ist die Kunstwelt nicht auch eine Art Echokammer? Oft kommt engagierte Kunst ja vor allem bei denen an, die sowieso schon zustimmen.
Ich glaube, dass man die extreme Rechte sowieso nicht mehr erreicht. Für die liefern wir eine Bestätigung ihrer Abwehrhaltung. Ich denke aber, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen, die durch das Grundgesetz besonders geschützt sind, durch ihren Zusammenschluss ein starkes Zeichen setzen können. Die Kunst ist eine davon, und sie kann sich deutlich gegen das, was gerade in unserem Land passiert, positionieren. Wir hatten das schon einmal in den 1930er-Jahren, dass zu viele zugeschaut und geschwiegen haben. Das können wir uns nicht noch einmal leisten.
Stülpt man durch eine solche Positionierung der Kunst, die man zeigt, eine politische Haltung über?
Nein, das kann man trennen. Es geht ja darum, dass man einen Freiraum für die Kultur schafft. Wie man den dann füllt, ist jedem selbst überlassen.
In der Literaturszene diskutieren die Institutionen zurzeit, wie man mit Veröffentlichungen aus rechten Verlagen umgeht. Kann es auch so etwas wie eine rechtsnationale Kunstszene geben?
Im Moment halte ich das noch für ein aussichtsloses Unterfangen. Aber wenn man zum Beispiel nach Dresden schaut, gibt es ja von Seiten der Rechtspopulisten genaue Vorschläge, was deren Meinung nach im Albertinum hängen sollte und was nicht. Genau das wollen wir nicht.
Die Liste der Institutionen, die unterschrieben haben, ist öffentlich einsehbar. Wird damit Druck auf diejenigen erzeugt, die nicht dabei sind?
Nein, die Erklärung ist ein Angebot unter vielen, sich zu positionieren, und soll keinen Zwang erzeugen. Wenn wir jetzt anfangen, Leute unter Druck zu setzen, machen wir ja genau dasselbe wie die Rechten. Wir haben hier Meinungsfreiheit, und wenn ein Haus gute Gründe hat, nicht zu unterschreiben, ist das völlig in Ordnung. Es ist nur ein Versuch, den Diskurs über die Probleme in Deutschland zu stärken. Ich meine, in Bayern haben wir eine CSU, die vor der AfD einknickt und den ganzen politischen Diskurs nach rechts verschiebt. Es gibt einfach viele Leute in Deutschland, die diesen Rechtsruck nicht mittragen und anders diskutieren möchten, das war ja auch eine Erkenntnis aus den bayerischen Landtagswahlen. Die Kunst hat keine Wirtschaftsmacht, aber laut auszusprechen, dass man gegen diese Tendenzen ist, finde ich richtig und wichtig.