Ist zu den rechten Aufmärschen in Chemnitz schon alles gesagt? Der Berliner Galerist Alexander Koch meint: nein. Spontan hat er das Programm der Galerie KOW geändert und zeigt seit Samstag die Gruppenausstellung "Was euch am Leben hält, ist, was bei uns zu Asche zerfällt". Das Zitat stammt von einem Graffito, das Tobias Zielony 2003 in Thüringen fotografiert hat. Wir haben Koch gefragt, wie die politischen Lager wieder ins Gespräch kommen können.
Alexander Koch, eine Galerie ist normalerweise eine eng getaktete Maschinerie mit lange vorausgeplanten Ausstellungen. Wenn Sie innerhalb einer Woche Ihr Programm ändern, muss etwas Außergewöhnliches passiert sein …
Wir haben am Sonntagabend entschieden, dass wir nach den Ereignissen von Chemnitz etwas tun wollen und auch können. Wir hatten wie immer lange im Voraus geplant, aber dann gab es Gründe, um abzuwägen, ob wir die Ausstellung, die eigentlich anstand, verschieben. Und da haben wir umgeschaltet und gesagt: Lasst uns etwas machen, das auf das antwortet, was gerade passiert. Wir haben 2012 schon einmal eine spontane Ausstellung gemacht: "Believers". Damals tobte der Streit um Mohammed-Karrikaturen und wir fanden, der lief grundfalsch. Man beschuldigte den Islam, er sei ein Glaubensregime, das keine abweichenden Darstellungen zulasse. Wir wollten zeigen, dass solche Glaubensregime auch bei uns verbreitet sind.
Inzwischen ist "Chemnitz" ja ein Sammelbegriff für alle möglichen politischen Phänomene geworden, von offen gezeigtem Rechtsradikalismus über die Rechtfertigungen der Aufmärsche durch Politiker bis zum Anti-Nazi-Gegenkonzert. Auf was genau wollen Sie antworten?
Im öffentlichen Diskurs werden falsche Gründe für die Angst in der Bevölkerung diskutiert. Seit dem Auftreten der AfD verfestigt sich das Argumentationsmuster, dass die Migration das größte Problem in unserer Gesellschaft ist. Aber der Grundkonflikt liegt doch darin, wie unser Wirtschaftssystem aufgebaut ist und wer hier eigentlich den gesellschaftlichen Druck erzeugt, der Menschen ängstigt und erzürnt. Der Druck kommt maßgeblich von oben, aus den großen Vermögen, die sich vermehren wollen und die Klemmschrauben immer schärfer andrehen. Es wird viel dafür getan, dass diese Vermögen auf Kosten derer weiter wachsen, die unvermögend sind. Der Staat hilft dabei. Der Kunstmarkt übrigens auch.
Im Ausstellungstext benutzen Sie den Begriff vom "staatlich geförderten Klassenkampf". Was meinen Sie damit?
Vieles in unserer Gesellschaft ist darauf ausgelegt, die Privilegien von Bessergestellten zu stärken. Steuerrecht, das Niedrighalten von Löhnen, Hartz IV und viele andere gesetzliche Regelungen beschützen diese Privilegien oder stärken sie noch. Man kann durchaus sagen, und Warren Buffett und Alan Greenspan haben das wörtlich oder sinngemäß getan, dass hier ein Krieg der Reichen gegen die Armen stattfindet. Auch die Deutsche Bundesregierung trägt seit langem dazu bei, dass dieser Kampf überhaupt geführt werden kann, denn das geht ja nur innerhalb bestimmter Regularien. Die Stichworte sind Deregulierung, Austerität, Sparpolitik, steigende Mieten – Dinge, die sich mit einem solidarischen Gemeinwesen nicht vereinbaren lassen.
In Chemnitz wurde aber nicht gegen Ungleichheit demonstriert. Dort wurde ein mutmaßliches Tötungsdelikt durch Flüchtlinge vor allem für rassistische Hetze instrumentalisiert.
Man muss unmissverständlich sagen, dass Rassismus und Antisemitismus eine deutsche Realität sind, und dass es einen beängstigenden Prozentsatz von Faschisten in dieser Gesellschaft gibt. Aber dass solche Feindbilder populärer und weiter aufgeheizt werden und sich gar eine Partei gründet, die sie ins Parlament trägt, das steht unserer Ansicht nach auch in kausalem Zusammenhang damit, dass sich der Druck auf die Gesellschaft erhöht. Die Angst, von der so viel die Rede ist, ist ja berechtigt. Sozialer Abstieg, Prekariat und Armut sind für viele real. Und auch das Leben in Gegenden, für die sich kein Schwein mehr interessiert, oder Biografien, die als wertlos gelten. Aber es ist nicht so leicht, den Grund für diese Angst zum Beispiel an der Wall Street oder im Finanzkapitalismus auszumachen. Und selbst wenn, wie soll man darauf reagieren? Da ist es naheliegender, sich anderer Feindbilder zu bedienen. Das haben mehrere Leute auf der Straße in der vergangenen Woche wortwörtlich in Interviews gesagt: "Mir ist schon klar, dass das alles mit der Globalisierung und dem Kapitalismus zu tun hat, aber das kann ich nicht greifen. Die Migranten sind hier vor meiner Haustür."
Ist diese Legimation der Ängste von vermeintlich besorgten Bürgern nicht auch eine Strategie der Rechten?
Zu sagen, der einzige Grund von Rassismus oder Islamfeindlichkeit wäre der Neoliberalismus, ist Blödsinn. Aber man muss auf die anderen Zusammenhänge mehr hinweisen, als man es bisher tut. Im Mainstream-Fernsehen wäre eine These wie die vom Kampf der Reichen gegen die Armen schwer vorstellbar, ohne dass sie als völlig irrational oder "ideologisch" diskreditiert würde. Man schießt sich aus dem Rennen, wenn man ernsthaft anfängt, an unserem System zu zweifeln. Ich denke der einzige Weg ist generell, sich offensiv den Problemen zu stellen. Gibt es Gewalt von Migranten? Klar! Aber statistisch wissen wir doch, dass sie weit weniger ins Gewicht fällt, als zur Zeit immer behauptet wird. Und spätestens wenn Seehofer von der Migration als der "Mutter aller Probleme" spricht, sind wir an dem Punkt der vorsätzlichen Hetze durch einen Staatsminister angelangt. Dem muss man eine ernsthafte Diskussion entgegensetzen.
Der Ausstellungstext liest sich wie ein politisches Pamphlet. Was kann da die Kunst noch hinzufügen, was der Text nicht sagen kann.
Die Arbeiten, die wir Dank der sofortigen Zustimmung aller Beteiligten zeigen können, zeigen, dass sich Künstler lange schon mit der Thematik beschäftigen. Wenn die Ausstellung auf eines hinweist, dann sicherlich darauf, dass das Bewusstsein der Künstlerschaft und ihre Kritik an den Umständen, über die wir sprechen, längst vorhanden sind. Man kann das alles schon sehr lange wissen und sehen. 1992 hat Alice Creischer die Titelseite der Chemnitzer "Bild"-Zeitung mit Lippenstift abgeküsst. Die Headline: "Asylanten jetzt auf Schulhöfen. Jede Minute kommen zwei Neue." So weit zurück geht die Diskreditierung von Asylsuchenden in der Nachwendezeit und die Auseinandersetzung Creischers damit, wie man sich um Himmels willen zu diesem Wahnsinn verhalten kann. Es gibt eine große Installation von Henrike Naumann von 2013, die sich mit dem rechtsradikalen Milieu in Chemnitz auseinandersetzt. Ein Knetfigurenfilm von 1998 beschreibt, wie die Berliner Politik damals gemeinsam mit den Wirtschaftsbossen den Berliner Grund und Boden neu verteilte – zu Gunsten der Konzerne und zum Nachteil der Stadt. Da zoomt man einmal ran, wie das praktisch funktioniert, wenn sich einige wenige greifen, was eigentlich allen gehört.
Kann man in einer solch politisch gemeinten Ausstellung den einzelnen Arbeiten gerecht werden, ohne ihnen eine Ideologie aufzudrücken?
Der Text, den wir zu der Ausstellung veröffentlicht haben und auf den Sie anspielen, steht Seite an Seite mit den Werken. Er stülpt ihnen nichts über. Wir haben im Team intensiv über ihn diskutiert und die Künstler haben ihn umgehend freigegeben, sie fanden es gut, dass wir uns gemeinsam so positionieren. Er setzt selbstverständlich einen Rahmen, in dem man über die gezeigten Arbeiten nachdenken kann. Das sollte er auch. Wir alle schauen immer durch diese oder jene Brille, wenn wir Kunst sehen. Wir finden es richtig, dieser Brille eine gesellschaftskritische Färbung zu geben. Das heißt nicht, dass wir als Ausstellungsmacher nicht zugleich auch der Integrität jedes Werkes verpflichtet wären.
Die Kultur gibt sich nach Chemnitz gern als Bastion der Guten – Stichwort #wirsindmehr. Aber ist die Kunst nicht auch ein neoliberaler Spielplatz der Reichen?
Absolut. Je höher ihre Preise, umso mehr ist sie einer der Mechanismen der Umverteilung von unten nach oben. Das wird zum Beispiel durch das Stiftungsrecht gesetzlich unterstützt oder dadurch, dass der Verkauf von Werken aus der eigenen Sammlung steuerfrei ist. Wenn man davon spricht, dass Gewinne privatisiert, aber Verluste sozialisiert werden, dann trifft das in hohem Maße auf die zeitgenössische Kunst zu. Was keine Gewinne abwirft, ist steuerfinanziert, während das, was hohe Gewinne erzielt, das Kapital einiger Privatpersonen vermehrt.
Ist es dann nicht ein wenig absurd, diese Ungleichheit in einer Galerie zu thematisieren? Sie wollen ja auch Geld mit Kunst verdienen.
Ist eine Galerie nicht gerade ein guter Ort dafür? Hier überkreuzen sich die Interessen und Ökonomien der eigenen Firma und des eigenen Engagements mit denen von Sammlern, Museen, Künstlern, Presse und dem Publikum. Die private und die öffentliche Sphäre begegnen sich, wir stehen also mitten in den Verhältnissen, über die wir sprechen möchten. Der Verkauf von Kunst ist nicht das Problem, sondern die Vermehrung der Vermögen von Vermögenden, vor allem auf dem Sekundärmarkt. Die meisten Galerien sind im Vergleich zu andern Unternehmen winzig, machen kaum Gewinne, genießen keine Steuervorteile und kämpfen ums Überleben. Außerdem ist KOW ja auch eine Plattform, auf der die Künstler zu einer breiteren Öffentlichkeit sprechen, auch über Ungleichheit.
Wen wollen Sie mit der aktuellen Ausstellung ansprechen? Das Problem von engagierter Kunst ist doch oft, dass diejenigen kommen, die sowieso schon zustimmen.
Es werden keine Busse voll Menschen aus Chemnitz oder Dortmund kommen, um die Ausstellung zu sehen. Aber nicht in Panik geraten, weil Kunst nicht die Probleme der Welt löst! Gleichzeitig sollte man nicht unterschätzen, wie Kunst wirken und die Mentalität einer Gesellschaft prägen kann, übrigens immer geprägt hat. Sie gehört zu dem was wir sind. Deshalb hat sich die AfD ja auch den Kultursektor als Agitationsfeld ausgesucht, weil sie das versteht. Wir vertreten unter anderem Olu Oguibe in den Verhandlungen mit der Stadt Kassel über den Documenta-Obelisken, und wir bekommen täglich Anrufe und E-Mails von Bürgern, die sagen: "Geben Sie nicht auf, der Obelisk muss bleiben wo er ist. Das ist wichtig für uns." Kunst kann Menschen viel mehr bedeuten als die Szene gerne glaubt. Eine Galerie ist ein Punkt, von dem aus Kunstwerke ihren Weg in das Gemeinwesen finden und dort wirken.
Wie kann man damit umgehen, wenn die Rechten behaupten, der wahre Widerstand gegen den systemnahen, "linksversifften" Kulturklüngel zu sein?
An der Stelle merkt man, wie schwierig die Zuschreibungen rechts und links geworden sind. Man sieht es ja an Trump: Viele der Argumente von ganz rechts sind nahezu identisch mit denen von links. Trump sagt: die Großkonzerne zahlen ihre Steuern nicht, das ist ungerecht. Stimmt, das würden Sozialisten auch sagen. Es gibt rechte Ideologen und Faschisten, die muss man aber unterscheiden von Menschen, die sich vom Rechtspopulismus einfangen lassen, weil er ihnen das Gefühl gibt, Widerstand gegen ein Establishment zu leisten, das ihre Leben kontrolliert. Dabei haben sie inhaltlich ja recht. Diese Verstrickung aus durchaus korrektem Problembewusstsein, erlebten sozialen Spannungen und menschenfeindlicher Gesinnung und Politik muss man entwirren. Da setzt unsere Ausstellung an.