Gleich neben der Admiral-Spielhalle, der Eventlocation The Gate und der Cocktailbar Oase begrüßt den Besucher ein Plakat an einem Bauzaun: "Herzlich willkommen in Memmingen". Direkt gegenüber befindet sich das ehemalige königlich bayerische Postamt, die MEWO-Kunsthalle, in der nun schon seit mehr als zehn Jahren ein ganz und gar nicht provinzielles Programm zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu sehen ist.
"Nacherlebt. Zwischen Geschichtserfahrung und Karneval" heißt die aktuelle Schau. Schon von Weitem wird man von dem Gebrüll aus dem einstündigen Video des Turner-Preisträgers Jeremy Deller empfangen, der 2001 "The Battle of Orgreave", einen der blutigsten Bergarbeiterstreiks der Geschichte
Großbritanniens von 1984, nachstellen ließ: unter tatkräftiger Mitwirkung von einst Beteiligten, die nun, und das ist das Spannende, nicht selten ihre Rolle vergessen und den Kampf noch einmal kämpfen, als wäre er retrospektiv zu beeinflussen. Ganz anders, extrem assoziativ, nähert sich Shezad Dawood in "Feature" (2008) der Schlacht am Little Bighorn. Diese spielt nun in einer englischen Landschaft, wo neben Indianerhäuptling Crazy Horse auch Zombies, Fetisch-Cowboys und eine Walküre performen dürfen. Was ist hier authentisch, was im Wortsinn verrückt?
Ob es sich um die schon heute legendären Aufführungen des Schweizer Regisseurs Milo Rau ("Die letzten Tage der Ceausescus", "Breiviks Erklärung" und "Hate Radio") handelt, die allesamt in Videos dokumentiert und mit Begleitmaterial angereichert zu sehen sind, oder um Frédéric Mosers und Philippe Schwingers "Acting Facts", in dem der Text von Zeugenaussagen des Massakers an der Bevölkerung des vietnamesischen Dorfes My Lai 1968 eingesprochen wird: Die klug inszenierte Schau lässt den Betrachter beunruhigt zurück, angesichts dieses "Making-of" von Gewaltgeschichte und einer konstruktiven Verwirrung um Formen und Ansprüche des Dokumentarischen.
In der Wallenstein-Stadt Memmingen, in der alle vier Jahre das größte Historienfestspiel Europas stattfindet, gelingt mit dieser Ausstellung der Beleg, dass im Reenactment mehr Enactment steckt, als man denkt.