Wer sich mal wieder in den kindlichen Zustand des staunenden Entdeckens versetzen möchte, einen Ort erkunden will, der sich Stück für Stück erschließt und dabei immer Neues und Überraschendes bereithält, der oder die sollte während der Berlin Art Week unbedingt ins MaHalla gehen. Laut Wikipedia ist das der Name für ein Stadtviertel mit institutionalisierter Selbstverwaltung in islamisch geprägten Ländern. Bei der Berliner Version handelt es sich um einen Veranstaltungs- und Kulturort mit den Schwerpunkten Kunst, Musik, Spirituelles, Gesellschaft und Wissenschaft.
In der ehemaligen, heute denkmalgeschützten Turbinenhalle der AEG in Oberschöneweide findet noch bis Sonntag im Rahmen der Reihe BAW Featured das fünftägige Festival MaHalla Open - Together statt. Zwölf Kuratoren, Kuratorinnen und Gruppen haben hier mit rund 100 Künstlerinnen und Künstlern ein vielfältiges Programm zusammengestellt, das den Besuch dieses Ortes definitiv zu einem besonderen Erlebnis macht.
Eines der zahlreichen Projekte ist die von Onome Ekeh kuratierte und von der AOA;87 Gallery präsentierte Protest Lounge. Die Zwölf-Kanal-Sound- und Textinstallation bringt Werke zweier Künstler zusammen: Holger Schmidhubers "Carpets of the Forgotten" und die Soundarbeit "All the World’s Protest" des nigerianischen Künstlers, Kurators und Autors Ayọ̀ Akínwándé. Letztere entstand ursprünglich 2022 für den Pulverturm des Edith-Russ-Hauses für Medienkunst.
Inspiriert von dem sogenannten "Jahr der Proteste" 2019, sammelte Akínwándé Aufnahmen sozialer und politischer Unruhen und kombinierte dieses Material mit zwölf Jazz-Kompositionen. In den improvisierten Jam-Sessions reagierten sechs Musikerinnen und Musiker auf die Originalgeräusche der Demonstrationen, während sie isoliert voneinander – es war die Zeit der Pandemie – über Zoom verbunden waren. Mit ihren Anspielungen auf die politischen und sozialen Krisen sowie auf die Corona-bedingte Isolation ließ die Installation ein Spannungsfeld zwischen der Unmöglichkeit der Partizipation und dem Bedürfnis nach Verbundenheit und gegenseitigem Halt in einer aus den Fugen geratenen Welt entstehen.
In der Protest Lounge sind keine Videos zu sehen, die Soundaufnahmen der ursprünglichen Arbeit wechseln zwischen den zwölf, im Kreis angeordneten Lautsprechern. In ihrer Mitte liegen auf einem Podest Schmidhubers "Carpets of the Forgotten": Der Künstler fügte den handgeknüpften, zum Teil sehr alten Teppichen Farbe und kurze Botschaften hinzu. Schwarzlicht bringt einige der Wörter zum Leuchten. "Let’s destroy it!" steht dort, oder "Tell me why", bemalte Kissen sind ebenso verteilt.
Die Besuchenden sind eingeladen, sich auf den Teppichen niederzulassen, von hier lässt sich die große "Main Hall" der MaHalla gut überblicken. Aus einem Lautsprecher sind Schüsse zu hören, sie vermischen sich mit den Schreien der gerade am anderen Ende der riesigen Halle stattfindenden Performance. Ein tiefer Bass dringt aus der benachbarten "Black Hall", metallische Schläge werden zu einem treibenden Rhythmus, dann wieder Sirenen und Sprechchöre aus einem der Lautsprecher, von links riecht es nach Essen, von rechts nach Räucherstäbchen, in dem vor mir liegenden Katalog "Broken Territories – Holger Schmidhuber" lese ich: "Design, Fashion, Digital-Ästhetik, Rudimente populärer Zusammenhänge unterliegen keinen Tabus, sondern genießen in einem dezidiert 'offenen' Programm eine befruchtende, ja notwendige und selbstverständliche Funktion" (Ellen Maurer Zilioli).
Diese Distanz der sozial und geografisch Privilegierten
Auf den Kissen leuchten die Worte "Lose", "Every" und "Thing". Gleich startet hier das von dem mexikanischen Künstler Nahum kuratierte Performance-Programm "Acts of Defiance", das die Natur des Widerstands und seine Rolle im menschlichen Dasein erforscht.
Auf dem Teppich sitzend, von all den Eindrücken etwas überwältigt, drängen sich Fragen auf: Was genau ist eigentlich eine Protest Lounge, also wie gehen diese beiden Begriffe zusammen? Und: Worum geht es hier eigentlich? Vielleicht exakt um diese Unvereinbarkeit, um diese Distanz der sozial und geografisch privilegiert Geborenen.
Ekehs Werk kann als eine immersive Versuchsanordnung verstanden werden, in der deutlich wird, wie sehr die einzelnen Ereignisse um unsere Aufmerksamkeit kämpfen und wie kurz diese anhält – ungeachtet der Wichtigkeit des jeweiligen Anliegens. Da wird nebenan der Bass auch schon wieder drängender, im Keller geht gleich die nächste Performance los, "I need to grab some food", schnell noch ein Räucherstäbchen an, oder eine Zigarette. Alles vibriert, alles dröhnt. Man könnte auch mal wieder ins Berghain gehen.