Wer in den 90ern groß geworden ist, kann sich vielleicht noch an die australische Band Silverchair mit ihrem Debutalbum "Frogstomp" erinnern, die spöttisch Nirvana in Pyjamas genannt wurde. Weil der 15-jährige Sänger Daniel Johns halb wütend ins Mikro grölte, das Wasser aus dem Hahn sei nicht leicht zu trinken, und dabei sein langes blondes Haar schüttelte wie Kurt Cobain. Witwe Courtney Love fand das alles irgendwie niedlich und bestätigte, dass der Junge aussehe wie ihr verstorbener Ehemann. Ein paar Jahre und Alben später war die Band erwachsener und ernster geworden und schielte nicht mehr nach Seattle hinüber zu Pearl Jam und Soundgarden, sondern ließ den Komponisten Van Dyke Parks einige Songs arrangieren. Der wiederum nannte den Sänger entzückt "young modern". So lautete dann auch der Titel des fünften Albums, für dessen Gestaltung und Musikvideos man in die Trickkiste der Klassischen Moderne griff und alles hervorholte, was nicht in eine Ecke gerutscht war. Das Albumcover sah nach einem 3D-Mondrian aus, durch den im Musikvideo zur Single "Reflections of a Sound" die Band spazierte und musizierte – mal als Magrittes Mann mit Melonenhut, mal als dadaistische Collage und mal versteckte man sich hinter dem Lächeln der Mona Lisa.
Verwendung fand, was mit dem Begriff modern assoziiert werden konnte. Dalis weiche Uhr, Warhols Suppendose und von Magritte der Apfel, die Pfeife und der Hut.
Magrittes Motive und plakative Bildsprache sind bekannter als die Zusammenhänge, in denen sie in seinem Werk stehen. Die Äpfel, Pfeifen, Hüte, Wolken und Tauben machen sich gut auf Produkten, die man in Museums- und Onlineshops finden kann: T-Shirts, Smartphonehüllen, Kissenbezüge, Sticker, Kunstdrucke, Poster, Grußkarten, Krawatten, Schiebepuzzle, Ketten, Buttons, Ohrringe. Darauf gedruckt: Dies ist keine Krawatte. Dies ist kein Kissen. Dies ist keine Pfeife.
Trump hätte sicherlich auch Magritte widersprochen, aber nicht wie Magritte es sich in Bezug auf sein berühmtes Gemälde "Der Verrat der Bilder" aus dem Jahr 1929 gewünscht hätte. Dies ist keine Pfeife. Doch, das ist eine Pfeife. Trump hätte sicherlich gesagt, dass er noch nie so viele Pfeifen auf einmal gesehen habe. "Great pipes!" Oder er hätte gezetert "Fake pipe!", weil er nach der gemalten Pfeife nicht greifen kann. Das Abbild einer Pfeife ist nun einmal keine Pfeife, die man rauchen kann, und auch die Bezeichnung des Gegenstandes ist nicht der Gegenstand. "Kein Gegenstand ist so mit seinem Namen verbunden, dass man ihm nicht einen anderen geben könnte, der besser zu ihm passt", schrieb Magritte in einer Abhandlung für die letzte Nummer der Zeitschrift "La Révolution surréaliste". Oder: "Ein Objekt hat nie die gleiche Wirkung wie sein Name oder sein Abbild." Deshalb malte Magritte Wort-Bilder und kombinierte beispielsweise das Bild Melonenhut mit dem Wort Schnee – in seiner Malerei reflektierte er das Verhältnis von Bild und Sprache.
In der Schirn Kunsthalle ist jetzt unter dem Titel "Magritte. Der Verrat der Bilder" eine Ausstellung zu sehen, die das Werk des belgischen Surrealisten in seinem Verhältnis zur Philosophie seiner Zeit abbildet. Als Magier der verrätselten Bilder wird er auf der Homepage groß angekündigt. Am ersten Ausstellungstag fand abends ein so genanntes Meetup für Instagrammer statt. Zuerst stand ein Vortrag auf dem Programm, dann wurden die Besucher mit dem Smartphone durch die Ausstellung geführt, damit sie aus der Ausstellung – und generell von der Veranstaltung – Fotos unter dem Hashtag #imaginemagritte mit ihren Followern teilen.
In seinem Vortrag enträtselte Klaus Speidel von der Universität Wien ein wenig die verrätselten Bilder, indem er über Magrittes Bildrhetorik sprach. "Pointierte Bilder. Bildrhetorik von Magritte bis Instagram", lautete der Titel seines Vortrags. Opportunistisch sei die Wahl des Titels, gab er zu, da es um Instagram gar nicht gehen werde, aber wenn man schon einmal vor Instagrammern spricht ... Oder: Wenn dem Museum der Marketingaul durchgeht. Pinterest sei eigentlich gesetzt gewesen, weil er versuchen werde, Sachen übersichtlich darzustellen, erklärte er sich.
Der Vortrag kann in voller Länge hier angesehen werden.
Speidel nennt Magritte einen Meister der pointierten Bilder, denn wie ein guter Witz so haben auch die Bilder von Magritte eine überraschende Pointe. Ein Zug kommt dampfend aus der Wand gefahren ("Die erstochene Zeit"), eine Giraffe steht in einem Sektglas ("Das Kristallbad"). Vor 1927, bis zu seiner ersten Einzelausstellung in Brüssel, malte Magritte postkubistische Bilder. Dann traf er die bewusste Entscheidung, wie er selbst später erläuterte, in seine Bilder Elemente mit allen Einzelheiten einzubeziehen, "die sie uns auch in Wirklichkeit zeigen". Er abstrahierte zu standardisierten Bildzeichen, damit, wie er schrieb, "diese so dargestellten Elemente ihre Entstehung in der realen Welt in Frage stellen". Kurz: Eine Überraschung lässt sich nur provozieren, wenn eine gemalte Pfeife tatsächlich aussieht wie eine Pfeife und man dennoch felsenfest behauptet, es sei gar keine Pfeife.
Die Surrealisten provozierten einen ästhetischen Schock durch – so die bekannte Formulierung des französischen Dichters Lautréamont – "das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch". Also durch die Zusammenstellung von Objekten, zwischen denen es eigentlich keinerlei Verbindung gibt. Aus der surrealistischen Lust an der Provokation wurde bei Magritte die Suche nach Wahlverwandtschaften, er setzte beispielsweise im gleichnamigen Gemälde 1932 statt eines Vogels ein Ei in einen Käfig. Magritte arbeitete sich an Mysterien und Rätseln ab, die er, wie Klaus Speidel zeigte, durch Begegnungen als Zusammenstellungen, Szenen, Fusionen, Collagen und Textur erreichte, durch Enthüllungen und Verhüllungen, durch das Spiel mit dem Rahmen und der Wahrnehmung. Und da es ja irgendwie um Instagram gehen sollte, warf Speidel mit der Hoffnung auf eine Antwort die Frage in den Raum, wie sich der Surrealismus von Magritte zur Fotografie verhalte und ob die Bildprinzipien vielleicht ein Äquivalent in der Fotografie haben?
Magritte war lange Jahre in der Werbung als Grafiker tätig. Er entwarf Anfang der 20er-Jahre Muster für eine Tapetenfabrik, zwischen 1931 und 1936 führte er mit seinem Bruder Paul das Studio Dongo, ein Werbestudio für Schaufenstergestaltung, Plakate, Zeichnungen, Fotomontagen und Werbetexte. Er war also vertraut mit der Bild- und Textproduktion für ein kommerzielles Publikum. Seine plakative Bildsprache war schon früh von der Werbung übernommen worden. Magritte copy und paste, das ist schnell gemacht, auch heute noch und natürlich auch auf Instagram oder für Tumblr. Man setze einem Mann einen Melonenhut auf, ziehe ihm einen Anzug an und fotografiere ihn mit einem Apfel vor dem Gesicht.
Um eine Hommage an Magrittes Liebende handelt es sich ganz deutlich, wenn zwei Menschen ihre Köpfe mit Stoff verhüllen und sich küssen. Man könnte nun weiter die Hashtags #magritte, 130.000 Beiträge, und #renemagritte, 34.000 Beiträge, nach Referenzen absuchen, um zu zeigen, dass die Bilder des belgischen Surrealisten in den sozialen Medien weiterleben, dass Magrittes Kunst dort wieder auflebt und seine Bildsprache in die Bildsprache auf Instagram & Co. übersetzt wird.
Magritte ging es darum, dass Denken ins Bild zu bringen, er wirbelte Begriffe und Dinge durcheinander, stellte die Ordnung der Dinge in Frage und setze bei all dem auf einen denkenden Betrachter, dessen Wahrnehmung er schärfte. Sein Malstil war bewusst unpersönlich, er wiederholte Bilder, Motive und ganze Kompositionen. Subversiv brachte er normale Gegenstände in absurde Zusammenhänge. Auf Instagram ist nicht das Denken, sondern der Daumen gefragt. Ein Bild muss in Sekundenschnelle beim Scrollen gefallen, damit der Daumen zweimal klickt und ein Like hinterlässt. Bloß nicht auffallen, immer schön angepasst sein. Auf Instagram muss Normales möglichst normal abgebildet werden und genau so, wie es der normale Instagram-Nutzer macht. Der Besuch im Café zum Beispiel, will dokumentiert werden. Kaffee auf den Boden oder auf den Tisch stellen, Magazin daneben, fertig ist das Foto. Hashtag: #onmytable. Oder der Kaffeekonsum im Bett. Ins Bett legen, Kaffeetasse festhalten, Magazin daneben, Foto machen lassen. Das übernehmen im Zweifel die Instagram Husbands oder die Boyfriends of Insta, die gerade wegen ihrer Leidensfähigkeit und ihres Durchhaltevermögens im Internet für Freude sorgen. Und weil die Inszenierung des Alltags für Instagram schon lange normal ist und kaum Provokationen und Überraschungen zu erwarten sind, lässt sich all das wunderbar parodieren – wie vor einiger Zeit von der Socality Barbie.
Selbst wenn Abenteuerlust von so genannten Influencern für einen zahlenden Auftraggeber ins Bild gebracht werden soll, wird nur irgendwas auf den Tisch gelegt, nicht übersichtlich wie sonst – Hashtag #thingsorganizedneatly –, sondern auch mal möglichst unübersichtlich, vielleicht geht ja das zu bewerbende Produkt unter. Und vielleicht merkt niemand, dass man gerade Werbung macht. Subversiv, das ging bei Magritte noch anders.
Obwohl man Romo Jack damit natürlich unrecht tut, gehört er doch zu den Instagrammern, die ihre Bildsprache und Motive gefunden haben und damit im Rahmen der Möglichkeiten auf Instagram arbeiten. "There’s something behind the wall", schreibt er unter einem anderen Foto, ganz so, als würde er wie Magritte mit visuellen Bruchstellen, mit Illusion und Realität spielen.
Durchschnitt, das war für Magritte der Mann im Anzug mit Melone auf dem Kopf. Heute ist das der Mensch mit Smartphone in der Hand, allzeit bereit auf Instagram zu posten.