Ich hatte schon immer ein Ding für Hände. Vielleicht, weil ich mit meinen eigenen nicht so viel anfangen kann. Alles, was auch nur im entferntesten Sinne mit Basteln oder Bauen zu tun hat, habe ich seit einer traumatischen Erfahrung im Handarbeitsunterricht, die mit einer Blattsäge und einem Plexiglasfisch begann und mit einer Narbe in Form eines kleinen silbrigen Monds auf der Rückseite meines Daumens endete, erfolgreich aus meinem Leben verbannt. Weil ich es aber karrieretechnisch noch immer nicht zu einem Leben gebracht habe, in dem ich mir einen Personal Facility Manager leisten könnte, kommt es doch vor, dass ich ab und zu, wenn auch nur äußerst widerwillig, selbst Hand anlegen muss. So wie jetzt.
Die Plastik-Duschkabine, die noch von meiner Vormieterin stammt, ist ein persönliches Desaster: ein Albtraum aus Hartplastik, in dem ich mich nur in Kauerhaltung und unter Inkaufnahme eines blauen Fleckenteppichs auf meinem Körper bewegen kann. Für das neue Jahr habe ich mir Kompromisslosigkeit vorgenommen, was wohl oder übel auch auf Sanitäranlagen zutrifft, also auf in den Bauhaus-Heimwerkermarkt! Da gibt es Lösungen für fast alle Probleme, die man denken kann, und obendrein grobe Männerhände mit schwerem Gerät, die sich begaffen lassen, während ich so tue, als würde ich über Dichtungsringen kontemplieren.
Unter dem monumentalen Grau des Januarhimmels prangt das rote Bauhaus-Logo auf dem Glasbau am Ende des Parkplatzes von Huxleys Neue Welt in Neukölln. Die drei zusammengewachsenen Häuschen haben mich immer schon irritiert, vielleicht auch weil sie mich an die Corporate Identity von SOS Kinderdorf erinnern, die auf diesen durchsichtigen Spendeboxen an der Kasse von McDonald's drauf ist. Mit dem Bauhaus hat das Bauhaus nichts zu tun. Obwohl die gläserne Front und der Schriftzug schon verdächtige Ähnlichkeiten aufweisen. Und na ja: Dem Satz "Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau" aus dem Gründungsmanifest würde das PR -Team des Baumarkts vielleicht auch zustimmen.
Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl, das gleiche vielleicht, das ich bekomme, wenn ich bei Ikea an dem Kinderzauberwald vorbei hoch zur Möbelausstellung fahre. Vielleicht hat es etwas mit dem Versprechen zu tun, das in diesen Orten liegt. Hier gibt es etwas für alle, egal, wer Du bist und woher Du kommst – für jedes Familiendrama eine GRÖNLID-Couchlandschaft, für jede Hysterektomie eine Bohnermaschine.
Als sich die Automatiktüren öffnen, bläst mir die warme Luft den Geruch von Sägespänen und Axe-Deo ins Gesicht. Die Dame am Infotisch ist freundlich und schickt mich zu den Teleskop-Duschstangen im ersten Stockwerk. Die Bereiche sind gegliedert in:
- Ambiente
- Bauelemente
- Baustoffe
- Eisenwaren
- Elektro/Elektroinstallation
- Farben
- Fliesen
- Holz
- Leuchten
- Sanitär/Sanitärinstallation/Badzubehör/Heizung
- Gartenhartware/Pflanzen ("Stadtgarten")
- Werkzeuge/Maschinen.
Was sich ein bisschen nach "12 Punkte für eine neue Architektur" anhört, schaut in Wirklichkeit unendlich unübersichtlich aus. Weil ich immer noch keine Ahnung habe, wo die Sanitäranlagen sind, und weil ich mich noch ein bisschen vor meiner Aufgabe drücken will, streife ich durch die Holzabteilung. In den Achtsamkeits-Apps werden einem ja auch immer Slideshows von Holz gezeigt, das beruhigt und erhöht die Konzentrationsfähigkeit.
Das öde Gefühl, das bei den Grabbeltischen im Eingangsbereich kurz einer Euphorie gegenüber den kleinen glücklichen Kehrschaufelhäufchen gewichen war, ist spätestens bei den MDF-Platten wieder da.
Neben mir steht ein junges Pärchen. Sie diskutieren darüber, ob Eiche hell oder Eiche dunkel, die richtige Wahl für ihr Schreibtisch-Projekt ist. Er fährt mit dem Zeigefinger über die Platte, während sie leise miteinander sprechen und sich dabei so fest an den Händen halten, als könnte jeden Moment der Boden unter ihnen wegbrechen. Derweil streichelt ein paar Meter weiter auf dem Gang eine Frau bedächtig den Griff eines Bunsenbrenners, der heute im Angebot ist.
Ich glaube, ich weiß jetzt, was es ist: Es ist das Potential, der Anfang, der in den ganzen Dingen hier steckt. Das ist zu viel. Aus jedem Brett hier, jedem Gipsstein, jedem Fläschchen Flüssigkleber könnte etwas Großes, Ganzes, Neues werden. Gerade für jemanden wie mich, der nicht mal einen Nagel gerade in die Wand hauen kann, erzeugt dieser ganze Haufen Material, der genug wäre für hunderte erfüllte Bastlerleben, ein Gefühl totaler Unzulänglichkeit.
Ich steige auf das Rollband und lasse mich nach oben fahren, vorbei an den Auslagen mit Sicherheitshandschuhen und Zollstöcken für Schnellentschlossene. Das langsame Gleiten hebt meine Stimmung ein bisschen. Wie alle Faulen liebe ich es, befördert zu werden.
Oben angekommen, muss ich erst einmal durch das Leuchtenparadies, um zu den Regalen mit den Duschstangen vorzudringen. Eine Wand ganz vorne wurde zur Präsentationsfläche umfunktioniert. Vor einer Tapete mit Backsteinaufdruck hängen eine ganze Reihe Kupferlampen, die vielleicht wie dänisches Design oder Industrieklassiker aussehen sollen. Ich denke, dass Patti Smith an allem Schuld ist und will kurz weinen, weil man den ganzen Tribeca-Vibe jetzt hier für 19,99 zusammen mit dem "I love New York"-Stockfoto für sein Wohnzimmer in der Linienstraße bekommt. Dann denke ich, dass ich ein nostalgisches Arschloch bin und mich zusammenreißen muss, wenn ich das mit dem Duscharrangement heute noch hinbekommen will.
Ich schaue so lange in das Lichtermeer, bis ich halb erblindet bin, und taumle etwas belämmert zu den Stangen. Die Auswahl ist enttäuschend klein. Die, die ich wahrscheinlich brauche, ist ein 185 Zentimeter langes Edelstahlohr der Marke "Venus". Ich ziehe es aus dem Regal, wiege es in meiner Hand und befühle das Material. Irgendwie gut. Die Riffel graben sich in meine Haut, während ich die Stange umfasse und sie auf- und abfahre. Wenn ich nicht wüsste, dass Thomas Pynchon das nur erfunden hat, würde ich sagen, die Stange ist aus Imipolex G. So was habe ich noch nie gefühlt. Was für ein Ding. Mit so einer Stange könnte alles anders werden. Ich stelle mir vor, mit welcher Leichtigkeit sie sich zwischen meinen Wänden einfügen würde. Jedes Mal, wenn ich dusche, werde ich es da oben glänzen sehen, dieses Stück formvollendeter Stangenhaftigkeit. Die Wassertropfen werden sich in ihr spiegeln, meinen von der Arbeit gestählten Körper in Demut vor ihrem Anblick in sanftem Fließen umspülen. Das wird mehr als Duschen. Das wird eine rituelle Reinigung. Ein dionysisches Fest, begleitet von dem leisen Summen des Erinnyenchors aus der Lüftungsanlage.
Ich lege mir meine Stange über die Schulter und mache mich auf dem Weg zu den Silikonlösern. In meinem Kopf stehe ich schon oberkörperfrei und verschwitzt in der Wanne und spachtle was das Zeug hält, bis ich den Albtraum von Kabine aus den Angeln heben und mit Karacho in den Gang schleudern werde, bevor ich mir mit beiden Fäusten auf die Brust trommle, während mir der Schweiß den Rücken herunter rinnt. Von den Regalen schaut mich das Elektrobohrset "Stanley" aufmunternd an. Ja, wie er, wie Stanley Kowalski werde ich mich fühlen, ein bildnerischer Berserker wider die Hässlichkeit und Dysfunktionalität!
Das richtige Fläschchen springt mir sofort in meine neugewachsenen Handwerker-Augen, ein scharfer Blick für das, was weg muss. Neue Funktionalität für den neuen Menschen, auf einmal macht alles Sinn. Bauhaus über alles! Jetzt will ich sie alle haben. Den Herkules-Aircompressor (keine Ahnung, für was der ist, egal!), das Party-Grillbuch und die Feuerschale. Ich will flüssigen Gips zwischen den Fingern haben und damit rohes Fleisch in lodernde Flammen werfen. Die Axt kostet nur 69,90, die will ich auch. Was soll das Spachteln, ich hau die ganzen Altlasten einfach zusammen. Ich mach Hackfleisch aus dem alten Leben.
Ich rolle die Treppe wieder nach unten auf dem Weg zur Kasse, während sich die Gartenlandschaft sich zu meinen Füßen erstreckt. Eine Frau in einer schwarzen Bomberjacke macht ein Foto von sich neben einem Gummibaum, hält ihr Gesicht dabei ganz nah neben die Blätter. Das ist nicht die Vorhölle, das ist das Paradies und hier ist der Garten Eden! Neben ihr steht eine Gruppe junger Leute, die Rohre nebeneinander halten. Den einen kenne ich. Er ist Künstler. Ich nicke ihm zu, wir tauschen einen wissenden Blick aus. Rohre für die Kunst! Ja, das sind die Hände, die Zukunft schaffen. Er baut. Ich baue. Alle bauen! Ich sehe auf meine Hand, die sich fest um die Stange schließt. Es ist nicht mehr dieselbe, wie noch vor zehn Minuten. Es ist eine neue Hand, die alles schaffen kann. Schwitzig und blutdurchströmt, bereit alles zu tun, was ein menschlicher Geist denken kann.
Kein Wunder, dass das Zentrum von Buonarottis' "Erschaffung Adams" die Berührung zweier Hände ist: der göttliche Funke der Kreation, übergesprungen auf die menschliche Hand. Und wer ist mehr Kreateur als der Künstler selbst. Im Bauhaus sind wir alle Künstler. Gott hat Adam aus Lehm gebaut, und wir bauen jetzt die Welt, aus MDF-Platten und Plastikrohren, ein ganzes Reich aus Küchenregalen, Ablaufanlagen und Hochbetten. Jeder für sich. Jeder nach seinem Geschmack. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Bis es fertig ist. Dann stehen wir vor unserem Werk, und sehen, dass es gut war.
An der Kasse nehme ich mir noch einen Lion-Riegel aus dem Regal. Wer arbeiten will, braucht Energie. Der junge Kassierer wirft mir einen komplizenhaften Blick zu, als ich meine EC-Karte in das Gerät stecke. Er kann es auch sehen. Mein neues Bauhaus-Selbst. "Vorgang nicht möglich" blinkt auf dem Display auf. Nach einem kurzen Blick auf meinen Kontostand über die Bank-App und in die Reihe immer ungeduldiger werdender Kunden in der Schlange hinter mir, muss ich feststellen, dass ich wirklich pleite bin. Unter dem jetzt auf einmal gar nicht mehr so wohlgesinnten Blick des Kassierers, muss ich die Feuerschale und den Herkules-Aircompressor mit beschämt-gesenktem Kopf hinter die Kasse hieven. Nur für die Teleskopstange und das Fläschchen Silikon reicht das Geld noch. Wie peinlich. Und was für eine verdammte Enttäuschung. Hier drin liegt die ganze Welt und ich muss sie mit quasi leeren Händen wieder verlassen.
Mit bebender Brust und Tränen in den Augen raffe ich meine Sachen zusammen und stürme Richtung Ausgang. Für das neue Leben braucht es nicht nur Spirit, sondern auch Liquidität. Wie an eine Waffe klammere ich mich an die Duschstange, als ich wieder hinaus auf den Parkplatz trete. Der kalte Wind bläst mir ins Gesicht, während die anderen Leute ihre Schätze in großen roten Tüten an mir vorbeitragen. Ich starre auf die wehenden, rot-weißen Fahnen, als mich ganz plötzlich die Erkenntnis trifft, wie ein Schlag: Um arbeiten zu können, muss man arbeiten. Ich muss mein Leben ändern. Die Kreativindustrie wartet nicht auf Dich. Ich beiße in mein Lion, recke die Stange in den grauen Himmel und brülle meinen Schlachtruf über den Parkplatz.
Kann ich das schaffen? Jo, ich schaffe das!