Diese Wohnung war von Anfang an eine Herausforderung. Allein, sie überhaupt zu finden. Denn wer vermietet in Algier an eine unverheiratete Frau? 34 Apartments musste sich Lydia Ourahmane ansehen, bis sie Glück hatte. So erzählt es die Künstlerin im Skype-Interview.
Ourahmane, 1992 in Algerien geboren, ist mit neun Jahren mit ihrer Familie nach Großbritannien ausgewandert, wo sie später an der Goldsmiths University studierte. Vor zwei Jahren zog es sie zurück in das nordafrikanische Land, um wieder dauerhaft an dem Ort zu sein, über den sie in ihrer Kunst so viel spricht.
In besagter Wohnung, die Ourahmane schließlich fand, hatte bis zu deren Tod ebenfalls eine alleinstehende Frau gewohnt: eine Algerierin, deren deutscher Mann ihr die Wohnung nach der Scheidung in den 1960er-Jahren gekauft und mit Möbeln aus ihrer gemeinsamen Zeit ausgestattet hatte. Die Künstlerin fand sich in einem seltsamen Mix an Dingen wieder. "Die Familie hat alles so gelassen, wie es war", erzählt sie. "Decken, Besteck, Bettwäsche, Fotografien, halb heruntergebrannte Kerzen, Taschentücher."
"Meine Kunst ergibt sich aus dem Leben"
Ourahmane lebte inmitten all dieser Sachen, auch während des ersten harten algerischen Lockdowns im Frühjahr 2020. Sie hatte viel Zeit, sich umzusehen und darüber nachzudenken, wie sich in den Dingen und der Architektur persönliche wie kollektive Erinnerungen miteinander verschränken. Und über ihre eigene Rolle in einem Land, in dem sie ihre Weiblichkeit in der Öffentlichkeit verbergen soll. Von Objekten und deren Geschichten auszugehen und daraus mit persönlichem Zugang etwas zu entspinnen, ist typisch für Ourahmane. "Es klingt wie ein Klischee, aber meine Kunst ergibt sich aus dem Leben, aus dem, was sich direkt vor mir befindet", sagt sie.
Für ihre Ausstellung in der Kunsthalle Basel, die Ourahmane von einer Residency in Marseille aus vorbereitete, ließ sie alles, was sich in ihrer algerischen Wohnung befand, in die Schweiz transportieren – inklusive zweier Türen mit insgesamt zehn Schlössern, die vor allem in den 1990ern während des Bürgerkriegs Schutz bieten sollten.
So abenteuerlich das Projekt schon klingt, die Ausmaße werden erst klar, als Ourahmane nach dem Gespräch ein 54-seitiges Dokument mailt – mit Fotos von allen Räumen und endlosen Listen an zu verschiffenden Besitztümern. Immerhin ist es für Ourahmane nicht das erste Mal, dass sie für ihre Kunst Objekte auf denkwürdige Reisen schickt. Für die Manifesta in Palermo ließ sie Ölfässer auf Fluchtrouten von Menschen reisen und machte dabei Audioaufnahmen. In der Installation "The Third Choir" wurden diese Klänge mit Smartphones eingespielt, die Fässer zum Resonanzkörper.
Auch in Basel lässt sie in ihren Werken Themen unserer Zeit und der jüngeren Geschichte wortwörtlich nachhallen. Dieses Mal durch speziell entwickelte Wanzen und Lasermikrofone, die Geräusche, Bewegungen, Wetterlagen in und um die Kunsthalle aufnehmen und wiedergeben. Spürbar werden soll so das Gefühl, das Ourahmane in Algerien verfolgte: als Frau ständiger Beobachtung ausgesetzt zu sein.