Lucia Moholys klar komponierten Schwarz-Weiß-Bilder der Bauhaus-Gebäude in Dessau sind zum visuellen Synonym für die Schule geworden. Beigetragen zum weltweiten Ruhm haben auch ihre Fotografien der Sitzmöbel von Marcel Breuer oder der Tischlampe von Carl Jakob Jucker und Wilhelm Wagenfeld, die in unzähligen Zeitschriften erschienen sind. Dennoch wird die Fotografin, nicht zuletzt wegen des übergroßen Schattens ihres Mannes, des ungarischen Malers, Fotografen und Bauhaus-Professors László Moholy-Nagy, immer noch unterschätzt.
Die Retrospektive "Lucia Moholy: Exposures" ist da ein längst fälliger Riesenschritt auf dem Weg zur Anerkennung als Virtuosin der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Denn sie umfasst die 1910er- bis 1970er-Jahre und richtet den Fokus damit auf das Lebenswerk; was in Moholys Fall bedeutet, dass auf zwei Etagen mit insgesamt mehr als 600 Fotos, Briefen, Audiointerviews und Dokumenten nicht zuletzt ihre Multidisziplinarität gewürdigt wird.
Die Pragerin wurde 1894 als Lucie Schulz geboren und wuchs in einem tschechisch-deutsch-jüdischen Haushalt auf. Nach einem Studium der Philosophie, Pädagogik und Anglistik ging sie nach Deutschland und arbeitete als Redakteurin und Lektorin, zuletzt im Ernst-Rowohlt Verlag in Berlin. Den Lebensunterhalt für sich und ihren anderthalb Jahre jüngeren Mann, den sie 1921 heiratete, hatte vorwiegend sie bestritten - bis Gropius Moholy-Nagy zum Bauhaus nach Dessau holte. Von 1923 bis 1928 dokumentierte Lucia Moholy hier im neusachlichen Stil die Architektur und die Produkte des Bauhauses. Ohne Entgelt, versteht sich. Gropius nutzte die Bilder trotzdem bedenkenlos für Repräsentationszwecke.
Kampf um finanzielle Anerkennung
Währenddessen entwickelte Moholy neue Foto-Techniken, schrieb Artikel und porträtierte Bauhaus-Persönlichkeiten wie Oskar Schlemmer, die Surrealistin Florence Henri oder die Textilkünstlerin Otti Berger. 1928 ging sie zurück nach Berlin und trennte sich von ihrem Mann, um einen kommunistischen Reichstagsabgeordneten und späteren Widerstandskämpfer zu heiraten. Nach seiner Verhaftung floh sie 1933 nach London und ließ 500 Glasnegative in der Obhut von Gropius, der sie bis nach dem Krieg nicht herausrücken wollte.
Moholy ließ sich von dem Verlust nicht demoralisieren. Sie arbeitete als Fotografin für die Unesco im Nahen Osten, betrieb in London ein Porträtstudio, in dem sie Mitglieder der Bloomsbury Group fotografierte, und schrieb die erste Kulturgeschichte der Fotografie für den Massenmarkt: "A Hundred Years of Photography 1839–1939".
Nachdem ihr Studio 1940 durch Bombardierung zerstört worden war, widmete sie sich der Mikrofilmtechnologie. Als Direktorin des Aslib Microfilm Service im Victoria and Albert Museum kopierte sie geschmuggelte deutsche wissenschaftliche Publikationen für den strategischen Einsatz der Briten im Krieg und entwickelte eine Methode zur Textprojektion für bettlägerige Soldaten.
Das Vakuum der verschwundenen Werke
Noch nach dem Krieg wurden viele ihrer Bilder weiterhin ohne Quellenangabe reproduziert und veröffentlicht. Erst viele Jahre später konnte Moholy nach langwierigen Verhandlungen einige ihrer Negative wiedererlangen. Bis heute sind etwa 330 ihrer Glasplattennegative verschollen. Die Schau geht auf das Vakuum dieser Werke ein und kombiniert den geschmackvoll inszenierten Parcours mit Installationen des zeitgenössischen tschechischen Künstlers Jan Tichy. Eine der Arbeiten trägt den Titel "Installation Nr. 30 (Lucia)", eine Videoprojektion aus 330 auf dem Boden angeordneten Glasplatten, die ein betörendes Wechselspiel aus Spiegelungen und Formen erzeugen.
Selbst eine Lesetisch erweist sich am Ende dieser bis ins kleinste Detail durchdachten Hommage als Einladung zu einer Begegnung mit der resoluten Stimme der bis ins hohe Alter scharfsichtigen Jahrhundertzeugin. Hat man vor dem Katalog Platz genommen, hört man ein Interview, in dem Moholy dem besserwisserischen Fragesteller Paroli bietet und mit ihrer Direktheit keinen Zweifel daran lässt, dass sie in ihrem Leben Hindernisse aufgrund des Geschlechts oder der herrschenden künstlerischen Konventionen nicht akzeptierte. Beim Rausgehen schaut man noch auf das großformatige Selbstporträt einer in der Sonne liegenden jungen Moholy. Die Augen sind geschlossen, die Gesichtszüge gelöst. Und die Fallstricke der Migration noch in weiter Ferne.