Louis-Armstrong-Ausstellung in Potsdam

Immer auf die Zwischentöne achten

Das Potsdamer Kunsthaus Das Minsk zeigt eine Ausstellung über die DDR-Tour des US-Jazzmusikers Louis Armstrong. Dabei gelingt ein spannender Balanceakt zwischen Dokumentation und zeitgenössischer Kunst

Am 19. März 1965 sitzt Louis Armstrong zwischen zahlreichen weißen Männern auf dem Podium einer Pressekonferenz in Ostberlin, Hauptstadt der DDR. Die Männer um ihn herum wirken beflissen bis verkrampft, Armstrong sitzt zurückgelehnt da und feuert gelegentlich sein breites Grinsen ab. Dass er hier ist, ist eine kleine Sensation. 17 Konzerte in neun Tagen wird er spielen, in Ostberlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt und Schwerin.

45.000 Menschen werden den großen US-amerikanischen Jazzmusiker und seine Band sehen. Doch erst einmal muss er sich den Fragen der Journalisten stellen. "Haben Sie die Mauer gesehen?" Die Frage kommt von einem Journalisten aus dem Westteil der Stadt. Ja, hat er, brummt Armstrong zurück. Aber: "Ich mache mir keinen Kopf um die Mauer, ich ma­che mir einen Kopf um das Publikum, vor dem ich morgen auftrete. Ich kann nicht sagen, was ich sagen will, aber wenn Sie es erlauben, sage ich es: Vergessen Sie all den anderen Bullshit."

Jason Moran, selbst Jazzmusiker, Künstler und Co-Kurator der Ausstellung "I’ve Seen the Wall. Louis Armstrong auf Tour in der DDR 1965", zeigt diese Szene in einer dokumentarischen Videoarbeit im Erdgeschoss des Kunsthauses Das Minsk in Potsdam. Die Zusammenschnitte der Pressekonferenz machen unbehaglich. Ein Schwarzer Künstler, umzingelt und bestaunt von Weißen, die ihn vorzeigen wie eine Trophäe? Ein politisches System, das einen Künstler einkauft, damit er einen totalitären Staat legitimiert? Ein Künstler, der sich kaufen lässt und Fragen nach den politischen Zuständen in dem Land, in dem er Auftritt, lieber abwiegelt?

Thema DDR auf denkbar originelle Art interpretiert

Moran lässt das Material selbst sprechen – und stellt der seltsamen Veranstaltung Ausschnitte aus den Konzerten gegenüber, die alle Verkrampftheiten lösen. Louis Armstrong im Friedrichstadt-Palast, das ist nicht nur perfektes Entertainment, das ist auch eine Feier der Freiheit.

Mit der Ausstellung über den bemerkenswerten Besuch von Louis Armstrong in der DDR zu Hochzeiten des Kalten Krieges hat Minsk-Direktorin Paola Malavassi das Thema ihres Hauses – die Kunst der DDR  – auf denkbar originelle Weise interpretiert. Das Ergebnis ist ein spannender Balanceakt nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Dokumentation und zeitgenössischer Kunst.

Im Erdgeschoss des Museums nähert sich die Schau den historischen Ereignissen, zeigt vergrößerte Fotocollagen von Armstrong selbst, der diese kleinen Kunstwerke als Cover für seine Tapes anfertigte, und einen eigens produzierten Film, der ein stimmungsvolles Re-Enactment von Armstrong backstage in Berlin mit seiner Ehefrau Lucille zeigt. Wir sehen Noten, Notizen, Plattenspieler, Möbel. Doch die Themen, die Armstrongs Besuch aufwirft, die Fragen nach Rassismus und dem Verhältnis von Schwarz und Weiß oder auch nach dem Klang und seinem Ort in der Bildenden Kunst, wird zusätzlich im Obergeschoss mit einigen wenigen zeitgenössischen Kunstwerken zielgenau aufgegriffen.

Von Blues zu Bruise

Glenn Ligon lässt abwechselnd die großen blauen Neonbuchstaben "Blues" und "Bruise" aufleuchten, von der Musik gehen die Assoziationen über die Trauer zu den Verletzungen und der Gewalt, von der Afroamerikaner immer noch überdurchschnittlich betroffen sind. Lorna Simpsons Installation "Hypothetical?", erstmals auf der Whitney Biennale von 1992 gezeigt, stellt eine beeindruckende Wand mit Mundstücken von Blasinstrumenten einer Fotografie von den verschlossenen Lippen einer Schwarzen Frau gegenüber, dazu hört man den Klang menschlichen Atems. Ein kleiner Ausschnitt eines Zeitungsartikels, der dazwischen hängt, verweist wieder auf Polizeigewalt gegen Schwarze.

Doch auch der Dialog zwischen der Schwarzen Kultur der USA und der DDR geht weiter: Willi Sitte, allseits beliebter Staatskünstler, malte 1972 die afroamerikanische Aktivistin Angela Davis und ihren Richter. Und Ruth Wolf-Rehfeldt, im Verborgen arbeitende Wort- und Konzeptkünstlerin, tippte ein Wortmeer aus "We Shall Overcome" in ihre Schreibmaschine.

Armstrong selbst, auch in den USA in rassistischen Strukturen gefangen, ist von den radikaleren Kräften häufig kritisiert worden, dass er die Bürgerrechtsbewegung nicht explizit genug unterstützt habe. Was können Künstler und Künstlerinnen aussprechen? Und was sagen die Farben, Formen und Klänge von ganz allein? Auch das schwingt als ein gemeinsames Thema von Louis Armstrong und den Künstlerinnen und Künstlern der DDR in dieser Ausstellung mit – die einem in ihrer Komplexität nicht zuletzt einen guten Rat mitgibt: Immer auf die Zwischentöne achten.